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Kronzprinz Mohammed bin Salman al-Saud von Saudi-Arabien.
© Rainer Jensen/dpa
Update

Der Fall Kaschoggi: Eine gesichtswahrende Lösung für den Kronprinzen

Sollte die saudische Führung gestehen, dass Kaschoggi tot ist, würde das Machthaber bin Salman aus der Schusslinie nehmen. In Istanbul gab es neue Hinweise.

Die Suche dauerte bis in den frühen Morgen. Nach mehr als neun Stunden verließen Experten der türkischen Spurensicherung vor Sonnenaufgang am Dienstag das Gebäude des Konsulats von Saudi-Arabien in Istanbul. Ob sie neue Hinweise auf den Tod des vermissten saudischen Dissidenten Dschamal Kaschoggi gefunden hatten, blieb offen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan äußerte die Vermutung, der Journalist könne vergiftet worden sein. Nach Angaben Erdogans prüften die Ermittler unter anderem, ob in dem Fall Gift eine Rolle gespielt haben könnte. Erdogan sagte vor Journalisten, die Ermittler gingen "vielen Dingen nach, wie etwa toxischen Materialien und solchen Materialien, die entfernt wurden, indem sie übermalt wurden".

Doch unter dem wachsenden Druck der Ermittlungen und internationaler Proteste bewegt sich die Führung in Riad inzwischen offenbar auf das Eingeständnis zu, dass Kaschoggi im Konsulat starb – für den Ölstaat am Golf und seinen starken Mann, Kronprinz Mohammed bin Salman, könnte der Fall dennoch glimpflich ausgehen.

Seit Kaschoggi am 2. Oktober von einem Besuch in dem Konsulat im Istanbuler Stadtteil Levent nicht mehr zurückkehrte, lässt die türkische Polizei immer wieder Ermittlungserkenntnisse an die Öffentlichkeit durchsickern, die auf einen Mord hindeuten. Auch die Residenz des saudischen Konsuls in der Nähe des Konsulats wurde am Dienstag durchsucht. Schon davor war die ursprüngliche saudische Darstellung, Kaschoggi habe das Konsulat lebend verlassen, kaum noch zu halten gewesen. Der Fernsehsender CNN und die „New York Times“ meldeten, die Regierung in Riad wolle offiziell zugeben, dass der regimekritische Journalist tatsächlich im Konsulat starb – weil ein Verhör aus dem Ruder gelaufen sei und tödlich endete. Die Verantwortung dafür solle auf Mitarbeiter von Kronprinz Mohammed abgewälzt werden, um den Thronfolger aus der Schusslinie zu nehmen, heißt es.

Reformer und Autokrat

Ein kurzfristig anberaumter Besuch von US-Außenminister Michael Pompeo in Riad deutet darauf hin, dass Washington nach einem gesichtswahrenden Ausweg für das saudische Königshaus sucht. US-Außenminister Mike Pompeo wird nach seinem Treffen mit König Salman in Riad an diesem Mittwoch in die Türkei weiterreisen. „Mein Urteil nach den Treffen ist, dass es ein ernsthaftes Bekenntnis gibt, alle Fakten zu finden und Verlässlichkeit zu garantieren, auch die Verlässlichkeit gegenüber hochrangigen saudischen Führungsfiguren und Beamten“, hieß es in einem Statement Pompeos vom Dienstagabend.

US-Präsident Donald Trump hatte ebenfalls mit Salman sowie dessen Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman telefoniert. Der Kronprinz hatte Trump zuvor nach den Angaben des US-Präsidenten versichert, dass die saudische Führung nichts von den angeblichen Vorkommnissen in der saudischen Botschaft in Istanbul gewusst habe.

Die „New York Times“ schrieb allerdings in der Nacht zu Mittwoch unter anderem unter Berufung auf Gesichtserkennung, Profile in den sozialen Netzwerken, Medienberichte und geleakte saudische Regierungsdokumente, dass mehrere der von der Türkei identifizierten Verdächtigen aus dem direkten Umfeld des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman stammten.

Ein Verdächtiger sei gesehen worden, wie er mit dem Kronprinzen aus Flugzeugen in Paris und Madrid gestiegen sei, zudem sei er beim Wachestehen während seiner Besuche in diesem Jahr in Houston, Boston und bei den Vereinten Nationen fotografiert worden. Drei weitere Verdächtige seien anhand von Zeugen und anderen Aufzeichnungen dem Sicherheits-Einsatzkommando des Kronprinzen zugeordnet worden. Der fünfte sei ein Gerichtsmediziner, der eine hochrangige Position im saudischen Innenministerium innehabe.

Die „New York Times“ berichtete weiter, von den 15 von türkischen Behörden identifizierten Verdächtigen hätten mindestens neun für saudische Sicherheitsdienste, Militär- oder Regierungseinrichtungen gearbeitet. Wenn diese Leute tatsächlich im saudischen Konsulat gewesen wären zu jener Zeit, als auch Kaschoggi dort war, gebe es einen direkten Bezug von den Geschehnissen zum Kronprinzen. Trump sagte am Dienstagabend (Ortszeit) in einem Interview des US-Senders Fox Business, entscheidend sei, ob die saudische Führung von den Vorkommnissen gewusst habe. „Wenn sie davon gewusst hätten, dann wäre das sehr schlecht“, sagte Trump.

IWF-Chefin Lagarde sagt Teilnahem an Investorenkonferenz in Saudi-Arabien ab

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte die Reaktion von US-Präsident Donald Trump auf das Verschwinden Kaschoggis. "Der Hase im Pfeffer liegt im Verhalten des amerikanischen Präsidenten", sagte er am Mittwoch in der ARD. Trump habe dem saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman praktisch einen Freifahrtschein für alles gegeben, solange dieser nur Waffen in den USA kaufe. Diese Haltung der USA müsse korrigiert werden, sagte Röttgen.

Zuvor hatte IWF-Chefin Christine Lagarde die Teilnahme an einer internationalen Investorenkonferenz in Saudi-Arabien abgesagt. Sie gab damit ein Signal nach dem Verschwinden Kaschoggis.

Die Außenminister der sieben führenden Industrieländer (G7) äußerten sich "sehr besorgt" über das Verschwinden des regimekritischen Journalisten. Zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini verlangten sie Aufklärung vom Königreich Saudi-Arabien. In einer gemeinsamen Erklärung vom Dienstag (Ortszeit) hieß es, die Verantwortlichen für Kaschoggis Verschwinden müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Man setze auf die Zusammenarbeit der Türkei und Saudi-Arabiens und hoffe darauf, dass das Königreich eine „gründliche, glaubwürdige, transparente und sofortige Ermittlung“ vornehme. Zu den G7-Staaten gehören die USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Deutschland, Japan und Italien.

Dass die US-Regierung nicht bereit ist, den Fall Kaschoggi zum Anlass einer ernsten Krise in den Beziehungen zu Riad zu machen, liegt an der wichtigen Rolle der Saudis als Verbündete. Diese Bedeutung ist mit dem Aufstieg von Thronfolger Mohammed bin Salman, der sein Land wirtschaftlich modernisieren und von der Abhängigkeit vom Öl befreien will, noch gestiegen.

Obwohl der Kronprinz konservative Regeln wie das Fahrverbot für Frauen abgeschafft hat, will er mit dem Umbau keine demokratischen Reformen verbinden. Schon vor Kaschoggis Verschwinden war MBS, wie der Thronfolger oft genannt wird, mit der Verhaftung von Widersachern und Aktivisten aufgefallen. Beobachter sprechen von einer „Entwicklungsdiktatur“, die einen Umbau und die Modernisierung des Staates ohne mehr Demokratie und politischer Freiheit anstrebt – vergleichbar mit Mustafa Kemal Atatürk, der die Türkei grundlegend veränderte, aber bis zu seinem Tod einen Ein-Parteien-Staat regierte.

Gnadenloser Kriegsherr

Unnachgiebig zeigt sich MBS auch, wenn es um den Krieg im benachbarten Jemen geht. Vor dreieinhalb Jahren griff Saudi-Arabien in den Konflikt ein und schlug sich im Kampf gegen die aufständischen Huthis auf die Seite der sunnitischen Regierung. Damals war in Riad die Zuversicht groß, dass die Schlacht rasch gewonnen sein würde. Doch davon kann keine Rede sein. Hunderte für die Zivilbevölkerung verheerende Luftangriffe haben die Huthis nicht in die Knie zwingen können. Deren Milizen feuern sogar Raketen Richtung Riad. Doch an einen Rückzug denkt der Prinz nicht. Den Preis dafür zahlen die Jemeniten. Mehr als 10.000 Menschen wurden getötet, Millionen hungern.

Verbündeter des Westens

Trotz der wachsenden Kritik am Jemen-Krieg entspricht die Politik des Prinzen insgesamt amerikanischen Interessen. Washington wünscht sich ein Saudi-Arabien, das nicht zuletzt wegen seiner Bedeutung für den weltweiten Öl-Handel stabil bleibt, Amerikas Gegner in der Golf-Region bekämpft und Israel stärkt. Kronprinz Mohammed bin Salman, ein enger persönlicher Freund von Trumps Schwiegersohn und Nahost-Beauftragtem Jared Kushner, ist bei all diesen Punkten ein wichtiger Mann.

So teilt MBS die kompromisslose Gegnerschaft der US-Regierung gegenüber dem Iran. Auch unterstützt er Kushners Plan für einen Friedensschluss zwischen Israel und den Palästinensern, der dem Vernehmen nach vor allem israelischen Interessen dient. Darüber hinaus hat der saudische Thronfolger den Amerikanern neue Rüstungsaufträge in Höhe von mehr als 100 Milliarden Dollar versprochen – was Trump zu der öffentlichen Erklärung veranlasste, er wolle die erhofften Einnahmen für die US-Rüstungsindustrie nicht dem Fall Kaschoggi opfern.

Auch Deutschland bemüht sich um ein besseres Verhältnis zu Saudi-Arabien. Der damalige Außenminister Sigmar Gabriel hatte Ende 2017 dem Golfstaat außenpolitisches „Abenteurertum“ vorgeworfen. Riad zog daraufhin verärgert seinen Botschafter aus Berlin ab. Der ist jetzt zurückgekehrt – nachdem Deutschlands heutiger Chefdiplomat Heiko Maas (SPD) die „Missverständnisse“ der Vergangenheit bedauert hatte. Saudi-Arabien wertete dies als Entschuldigung.

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