Hungersnot: "Die Jemeniten haben keine Zeit mehr"
Nirgendwo wütet der Hunger so sehr wie im Jemen, sagt der Chef des Welternährungsprogramms. Ein Gespräch mit David Beasley über Krieg, Hunger und Völkerrecht
Herr Beasley, in vielen Regionen der Welt hungern die Menschen. Wo ist die Not momentan am größten?
Im Jemen! Zwei Drittel der Jemeniten sind auf Überlebenshilfe angewiesen. Das sind 18 Millionen Menschen, fast die Hälfte steht kurz vor dem Hungertod. Wir versorgen derzeit etwa acht Millionen Menschen mit Nahrung.
Warum ist die Lage in dem arabischen Staat so dramatisch?
Der brutale Krieg tobt schon seit Jahren. Das Land und dessen Einwohner sind einfach am Ende. Die Leute haben nichts mehr, ihre Ressourcen sind längst aufgebraucht. Kein Geld, keine Jobs, unerschwinglich hohe Preise, eine weitgehend zerstörte Infrastruktur. Viele wissen einfach nicht, ob und woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen. Wenn es nicht bald eine politische Lösung gibt, droht eine verheerende Hungerkatastrophe. Eine, die wir so noch nicht erlebt haben. Die Menschen haben einfach keine Zeit mehr.
Für die desaströse Situation sind Menschen verantwortlich. Was bedeutet das für eine Organisation wie das Welternährungsprogramm?
Das erschwert unsere Arbeit enorm. Wir müssen mit den verschiedenen Kriegsparteien immer wieder über einen Zugang zu den Bedürftigen verhandeln. Dabei muss selbstverständlich die Sicherheit der Helfer gewährleistet sein. Das ist alles andere als einfach. Von zentraler Bedeutung für die Versorgung ist zudem der Hafen Hudeida. Müssten wir unsere Hilfslieferungen infolge von Kämpfen dort unterbrechen – es hätte mit Blick auf den Kampf gegen den Hunger fatale Folgen. Noch etwas bereitet uns Sorgen.
Und zwar?
Es gibt immer wieder Versuche, Einrichtungen der humanitären Hilfe zu missbrauchen. Vor Kurzem erst haben die Huthi-Rebellen eine unserer Vorratshallen besetzt. Das geht gar nicht und ist ein elementarer Verstoß gegen das humanitäres Völkerrecht. Dies habe ich der Führung der Aufständischen unmissverständlich klargemacht.
Dramatische Ausmaße haben Armut und Hunger auch in Syrien. Hat sich dort mit dem sich abzeichnenden Kriegsende etwas zum Besseren gewendet?
Die Not ist nach wie vor immens. Das Welternährungsprogramm kümmert sich derzeit um mehr als drei Millionen Syrer. Viele der Menschen besitzen nichts mehr, sind schon zwei, drei, vier Mal vertrieben worden. Und: Noch ist der Konflikt nicht beendet. Derzeit treffen wir Vorkehrungen für den Fall, dass es doch zu einer großen Schlacht um die Provinz Idlib kommen sollte.
Und die Situation im Rest des Landes?
Wir erreichen die Notleidenden jetzt alles in allem besser als früher. Aus dem Blickwinkel der humanitären Hilfe gibt es also eine Art Licht am Ende eines sehr dunklen Tunnels. Und wir müssen uns auf die Nachkriegszeit vorbereiten. Denn die Not wird ja mit einer politischen Lösung nicht über Nacht verschwinden. Dankenswerterweise hat Deutschland gerade zusätzlich mehr als 180 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um unsere Arbeit in Syrien zu unterstützten.
Zum festen Bestandteil des Konflikts gehört, den Menschen Lebensmittel zu verwehren oder zivile Einrichtungen wie Kliniken und Schulen anzugreifen. Schert sich niemand mehr um das humanitäre Völkerrecht?
Das ist offenkundig – und eine Schande! Jeden Tag werden humanitäre Helfer attackiert und riskieren ihr Leben. Die Extremisten haben überhaupt keinen Respekt vor humanitären Prinzipien. Wir sind neutral! Mir ist es völlig egal, ob das von Extremisten gemacht wird oder von Regierungen: Alle müssen die Menschenrechte respektieren. Wenn sie es nicht tun, werde ich sie an den Pranger stellen.
Wie kann Regeln wie der Genfer Konvention wieder zu Geltung verholfen werden?
Ich habe sehr klare Worte gesprochen, als diese Gräueltaten in Myanmar passiert sind. Wir müssen als UN zusammen mit der Weltgemeinschaft handeln: Die Menschenrechte sind verletzt worden und das muss untersucht werden. Und ganz praktisch: Das WFP versorgt mehr als 90 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe. Warum.. für die Menschenrechte. Und deswegen reise ich non-Stopp. Syrien, Jemen, Niger, Bangladesch, USA, Berlin, London. Wir bitten die Geberländer um finanzielle Hilfe für unsere Arbeit. Wenn sie uns keine Gelder geben können, dann bitte ich sie um politische Hilfe, diese Kriege zu beenden.
Oft mangelt es Organisationen wie dem Welternährungsprogramm an finanziellen Mitteln, um helfen zu können. Wie kann den Gebern klargemacht werden, dass ihr Geld gut angelegt ist?
Ganz einfach – indem man ihnen vorrechnet, wie viel Geld sie sparen, wenn die Menschen an Ort und Stelle mit dem Notwendigen versorgt werden! Ein Syrer, der geflohen ist und heute in Deutschland lebt, kostet den Staat 50 Euro pro Tag. Wäre er in seiner Heimat geblieben, bräuchten wir lediglich 50 Cent pro Tag, um ihm sinnvoll zu helfen. Und nicht zu vergessen: Die Menschen wollen doch gar nicht ihre Heimat verlassen. Oft zwingt sie aber der Hunger dazu.
Nehmen Sie zum Beispiel die Sahel-Region. Dort gibt es so viele Faktoren, die die Region destabilisieren. Wenn wir dort unsere Programme für mehr Nahrungssicherheit durchführen, wissen wir: Migration geht herunter, Jugendschwangerschaften gehen herunter, die Rekrutierung durch Extremisten geht herunter, Konflikte zwischen Bauern gehen herunter. Wenn die Ernährung besser wird, wird die Gesundheit besser. Wir sparen langfristig Geld, indem wir schon früh Geld investieren.
Das Gespräch führte Christian Böhme.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität