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Für Thomas Kemmerich hat die Abgrenzung nach rechts auch nach dem Dammbruch von Erfurt offenbar keine Relevanz.
© Michael Reichel/dpa
Update

Unterstützt von stadtbekannten Rechtsradikalen: Thüringens FDP-Chef Kemmerich teilt sich Bühne mit Corona-Leugnern in Gera

Thüringens FDP-Vorsitzender Thomas Kemmerich macht sich gemein mit Verschwörungstheoretikern. Parteikollegin Strack-Zimmermann fordert seinen Parteiaustritt.

Den Begriff „Spaziergang“ für Demonstrationen haben die Gegner der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus von der rassistischen Pegida-Bewegung übernommen. Eigentlich hätte spätestens hier Thomas Kemmerich, der FDP-Vorsitzende von Thüringen, hellhörig werden müssen, als er sich als Hauptredner für einen „Spaziergang“ in Gera verpflichten ließ.

Aber Kemmerich, der sich am 5. Februar mit den Stimmen auch von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen ließ, zeigte am Samstag erneut, dass Abgrenzung nach rechts auch nach dem Dammbruch von Erfurt praktisch keine Relevanz hat. 

Stur verteidigte er zunächst am Samstagabend auf Twitter seinen Auftritt und schrieb, er habe an einer Veranstaltung „für Verhältnismäßigkeit und einen Coronaexit mit Maß und Mitte“ teilgenommen. Veranstalter und neben ihm der einzige Redner sei der Geraer Unternehmer Peter Schmidt gewesen, Mitglied im Wirtschaftsrat der CDU. Seinen Eintrag auf Twitter versah Kemmerich mit dem Hashtag #NoAfD.

Angesichts der harschen Kritik an seinem Demo-Auftritt von aus- und innerhalb seiner Partei zeigte sich Kemmerich am Sonntagnachmittag zerknirscht. In einer Videokonferenz distanzierte er sich maximal von der AfD, wie er sagte. „Ich mache mit denen nichts gemeinsam. Ich möchte sie bekämpfen.“

Kemmerich entschuldigt sich

Dass an dem „Spaziergang“ in der AfD-Hochburg Gera eben auch Rechtspopulisten, Coronaleugner und Verschwörungsideologen teilgenommen haben, sei ihm an Samstag nicht aufgefallen, versicherte Kemmerich. Sowohl er als auch der Veranstalter Schmidt hätten im Vorfeld „keine Vorstellung“ von der Dynamik und Größenordnung der Demo gehabt. „Das habe ich vorher so nicht gesehen“, sagte Kemmerich. Er habe AfD-Leuten keine Bühne geben wollen – habe „das aber leider getan“.

Während der Demonstration habe er „peinlich darauf geachtet“, die Abstandsregeln einzuhalten und einen Mundschutz getragen, versicherte Kemmerich. Für die Bilder, die ihn ohne Maske und eng mit anderen Demoteilnehmer zeigen, entschuldigte er sich.

Kemmerich war einen Monat lang Regierungschef in Thüringen – nach seinem auch auf Druck von Parteifreunden erfolgten Rückzug allerdings die längste Zeit nur geschäftsführend. Mit seinem überraschenden Auftritt in Gera verhalf er den Kritikern der Maßnahmen gegen die Pandemie dort erhöhte Aufmerksamkeit - und das in einer Stadt, um die sich wie ein Hufeisen der Landkreis Greiz zieht, in der es eine besonders hohe Zahl von Infektionen gibt.

Etwa 750 Menschen beteiligten sich laut „Ostthüringer Zeitung“ am Samstag an dem Protestzug. Die meisten von ihnen missachteten die Abstandsregeln und verzichteten auch auf einen Mundschutz.

Die Strippen im Hintergrund zogen, allen Beteuerungen des thüringischen FDP-Spitzenmannes zum Trotz, Rechtsradikale. Das hätte Kemmerich wissen müssen, wenn er sich vorher mit Unternehmer Schmidt und seinem Netzwerk in Gera befasst hätte.

Unterstützung von stadtbekannten Rechtsradikalen

Zwar ist Schmidt tatsächlich Funktionär des unabhängigen Organisation Wirtschaftsrat der CDU, allerdings nach Angaben des CDU-Landesverbandes kein Parteimitglied in Gera. Der illustre Unternehmer verweist im Internet stolz auf seine Beziehungen zur Politik - in einer Bildergalerie dokumentiert Treffen mit dem wegen rassistischer Thesen scharf kritisierten SPD-Mitglied Thilo Sarrazin, aber auch mit FDP-Bundeschef Christian Lindner.

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Schmidt ließ sich bei der Mobilisierung für den bei den Behörden angemeldeten Protest am Samstag und auch bei einem ungenehmigten „Spaziergang“ in Gera eine Woche zuvor von stadtbekannten Rechtsradikalen helfen. Von Menschen, die auf Facebook Postings der AfD und anderen extrem rechten Organisationen teilen und mit denen er dort befreundet ist.

Eine zentrale Rolle spielt dabei das Paar Vanessa P. und David S. aus Gera. Sie ist selbsternanntes „Krawallmädchen“. Er sammelt nach eigenen Angaben Spenden für den Reichsbürger und früheren Mister Germany Adrian Ursache, der im April 2019 nach einem Schuss auf einen SEK-Beamten vom Landgericht Halle an der Saale zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

Mit Davidstern beim Protestzug

Am Samstag reihte sich Vanessa P. mit einem großen umgehängten Davidstern in den Protestzug ein. David S. dokumentierte den „Spaziergang“ in einem Video, das später von Schmidt auf Facebook geteilt wurde.

Vanessa P. und David S. geben an, dass sie für Peter Schmidt auf dem Geraer Schloss Osterstein arbeiten, wo der Unternehmer seit 2017 einer von zwei Eigentümern ist.

Aus ihrer Gesinnung machen beide keinen Hehl. Auf Facebook teilt David S. Beiträge, laut denen Deutschland nicht seine „,Befreiung', sondern die totale Niederlage und Unterwerfung“ erlebt habe. Er verbreitet Videos der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ und Appelle des AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner gegen eine „Zwangsimpfung“.

David S. soll nach Berichten von Antifa-Beobachtern zum Umfeld der rechtsextremen Thügida-Bewegung gehören. Namens seiner Organisation „Wir sind Thüringen“ hat er demnach Gegendemonstranten eines rechten Protests mit September 2016 in Gera mit dem Hitlergruß begrüßt.

Beide sind bei all dem sehr eng mit Unternehmer Schmidt, Geschäftsführer einer Firma für Industriemontagen. Der postete nach dem ersten Corona-„Spaziergang" am 2. Mai, er sei „sehr dankbar“, gemeinsam mit Vanessa P. und David S. auf dem Marktplatz in Gera gewesen zu sein: „Ich poste einfach nur mal, dass ich ein bisschen spazieren gehe und über tausend Leute spazieren mit. Ihr seid einfach nur geil.“

Am Samstagabend schrieb Schmidt auf Facebook, in vielen anderen Städten seien die Menschen ebenfalls auf der Straße gewesen: „WIR SIND MILLIONEN!!!“

Thesen von Verschwörungstheoretikern 

Im Aufruf zu dem Protest hatte Schmidt erklärt, er werde nicht schweigend zusehen, wie wir entmündigt und unsere Grundrechte mit Füßen getreten werden". Ausdrücklich teilte er die These von Verschwörungstheoretikern, wonach staatliche Stellen nicht vollständig und nicht wahrheitsgemäß über die Pandemie informieren würden.

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Im Netz sorgte Kemmerichs Auftritt in Gera schnell für Aufregung. Prominente Liberale, vor allem aus dem Westen der Republik, sahen sich zu einer raschen Klarstellung gezwungen: Die FDP stehe auch in Coronazeiten zum Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit – allerdings unter Einhaltung der Abstandsregeln und ohne sich mit Rechten gemein zu machen, lautete die Botschaft.

„Wer bewusst Hygienemaßnahmen missachtet und sich mit Rechtsextremen einreiht, der ist nicht Mitte“, twitterte etwa Ria Schröder, die Vorsitzende der Jungen Liberalen. Konstantin Kuhle, Bundestagsabgeordneter und FDP-Generalssekretär in Niedersachsen, schrieb bei dem Kurznachrichtendienst: „Die freiheitliche Demokratie und die offene Gesellschaft sind in Gefahr – durch das Abkippen ganzer Bevölkerungsteile in unerreichbare Politikferne und Verschwörungstheorien.“

Kemmerichs Namen erwähnten die FDP-Politiker dabei nicht – auch, wenn jeder weiß, dass er gemeint ist. Nur Tobias Raab, stellvertretender Vorsitzender der FDP im Saarland, schrieb, er habe „keine Lust mehr“, sich als Liberaler für seinen Thüringer Parteikollegen rechtfertigen zu müssen. „Er ist entweder völlig lernresistent oder hat ein Problem mit der Abgrenzung von Rechten.“

FDP-Chef Lindner hat kein Verständnis

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sagte am Sonntag dem Tagesspiegel: „Friedliche Proteste gegen grundrechtseinschränkende Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie sind in einer Demokratie absolut legitim und notwendig.“ Dabei gelte es aber auch, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. „Wenn sich bei ,Hygiene-Demos' und dem sogenannten Widerstand 2020 die bürgerliche Mitte mit Nazis und Verschwörungstheoretikern verbinden, muss das jeden Demokraten alarmieren! Jeder sollte sich vorher genau über die Demonstration informieren, an der er teilnehmen will.“

Am Sonntagmittag äußerte sich dann auch der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner. Er schrieb auf Twitter: „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz. Die Aktion von @KemmerichThL schwächt unsere Argumente. Ich habe dafür kein Verständnis.“

Strack-Zimmermann fordert Kemmerichs Parteiaustritt

Etwa zum gleichen Zeitpunkt meldete sich FDP-Bundesvorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann zur Causa Kemmerich - und legte dem thüringischen FDP-Chef den Austritt aus der Partei nahe. „Er sucht offenbar nicht nur physisch die Nähe zur AfD und Verschwörungstheoretikern, sondern teilt offensichtlich auch deren Demokratie zersetzenden Kurs“, sagte Strack-Zimmermann dem Tagesspiegel. „Er täte gut daran, die FDP zu verlassen.“

Die Bundestagsabgeordnete sagte weiter: „Manchmal wundert man sich schon, wie Menschen sich politisch neu orientierten, ja abdriften. Thomas Kemmerich hat vor kurzem einen coolen Wahlkampf gemacht und war ein angenehmer Kollege.“ Den Bundesvorstand ihrer Partei forderte die Politikerin auf, sich eindeutig von Kemmerich zu distanzieren. „Der Umgang und die scharfe Abgrenzung gegenüber dem Rechtspopulismus wird uns als Partei auch weiterhin beschäftigen, von der Bundesebene bis in die Kommunen“, sagte sie. „Die Causa Kemmerich ist noch nicht abgehakt.“

Ministerpräsident von Gnaden der AfD

Dass die Distanzierung vieler Liberaler von Kemmerich recht so schnell kam, hat mit der Vorgeschichte aus dem Februar zu tun, als sich Kemmerich mithilfe der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen ließ – ein Ereignis, das die gesamte FDP in eine tiefe Krise stürzte, eine verlorene Wahl zur Hamburger Bürgerschaft inklusive

Damals war der Umgang mit Kemmerich zunächst noch widersprüchlich: Nach dessen Wahl zum Thüringer Landeschef am 5. Februar gratulierten einige Liberale zu dem gelungenen Coup, andere forderten den sofortigen Rückzug des FDP-Ministerpräsidenten. 

Schließlich musste Liberalen-Chef Lindner seinen Parteifreund persönlich zum Amtsverzicht drängen und sich später öffentlich für das „Fiasko von Thüringen“ entschuldigen. Das Verhältnis der beiden gilt seither als zerrüttet – und der Name Kemmerich löst bei vielen Liberalen nur noch Augenrollen aus.

Ramelow nennt Kemmerich-Auftritt sehr irritierend

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte am Sonntag dem Tagesspiegel, es sei für ihn „sehr irritierend“, dass sich Kemmerich als Thüringer FDP-Landesvorsitzender in ein solches Umfeld begeben habe. Der Veranstalter habe mit seinen Veröffentlichungen im Internet Hinweise auf eine Grundhaltung gegeben, die Kemmerich nun mit seinem Besuch ausdrücklich unterstützt habe, mit der er sich gemein gemacht habe.

Und: „Der Veranstalter hat offensichtlich billigend in Kauf genommen, wer da sonst so mitgelaufen ist. Eine erkennbare Abgrenzung zu Antisemitismus oder Rechtsextremismus hat es nicht gegeben.“

Ramelow verwies zudem darauf, dass der Jenaer Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) „sorgend und achtsam“ gegen die Gefahren der Pandemie agiert habe und früher als in anderen Städten eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet wurde. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Nitzsches Parteifreund Kemmerich nun dagegen demonstriere.

Rolle der AfD in Gera ist nicht ganz klar

Welche Rolle die AfD bei der Organisation der Corona-„Spaziergänge“ in Gera spielt, ist nicht vollständig klar. Die Partei sucht in Gera die Nähe zu den Demonstranten und mobilisiert auch zu den Protesten, wird aber wegen Rivalitäten in der rechten Szene offenbar bei den konkreten Vorbereitungen zum Teil außen vor gelassen.

Beim ersten Mal in Gera am 2. Mai war der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner dabei. Zum Protest am Samstag hatte die AfD einen Infostand aufgebaut. Brandner lobte den Protest als „Freiheitsspaziergang in der Gewinner-Stadt“, kritisierte allerdings die Rede von Kemmerich als „Schnapsidee“ und schalt die FDP als „Umfallerpartei“. Brandner hatte bei der Wahl von Kemmerich zum Ministerpräsidenten im Hintergrund die Fäden gezogen.

In anderen Städten werden die Proteste der Coronaleugner maßgeblich von der AfD organisiert, beispielsweise im sächsischen Pirna. Dort ging die CDU auf Distanz. 

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In Sachsen wehrte sich der Landesvorsitzende und Ministerpräsident Michael Kretschmer mit dem Hinweis gegen die Coronaproteste, es sei, „weder cool noch besonders männlich, sich mit Handschlag und großartiger Umarmung zu irgendeiner Kundgebung zu begrüßen“. Das Auftreten mancher Demonstranten sei „sehr verantwortungslos“.

Am Sonntag schrieb Thüringens kommissarischer CDU-Chef Christian Hirte auf Twitter: „Das Verbreiten von Verschwörungstheorien und die bewusste Missachtung von Demonstrationsauflagen sind nicht in Ordnung.“ Die CDU stehe für so viel Freiheit wie möglich und so viel Einschränkung wie nötig. „Die Missachtung der Regeln in Gera lehne ich ab, auch im Namen der CDU Thüringen.“

CDU-Stadtrat in Torgau mit Neonazis unterwegs

Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, schrieb auf Twitter: „Dass in Thüringen jetzt die FDP mitmischt bei den Verschwörungsdemos ist erschreckend. Fürchte, in Sachsen ist das dort auch mehrheitsfähig.“

Auf einen Fall, wenige Tage zuvor im sächsischen Torgau, ging Wanderwitz nicht ein. Dort hatte sich Edwin Bendrin, ein CDU-Stadtrat, beim Corona-„Spaziergang“ nach Angaben von Antifa-Aktivisten in Reih und Glied mit der örtlichen Neonazi-Kameradschaft gezeigt. Der stellvertretende CDU-Kreisvorsitzende Marian Wendt bestätigte den Fall auf Tagesspiegel-Anfrage. Die Sache sei „sehr schlecht gelaufen“. Bendrin sei Mitglied der Fraktion, aber kein Parteimitglied. Mit ihm werde in der Stadtratsfraktion ein „klärendes Gespräch geführt“.

Ein Problemfall wie Sarrazin und Palmer

Ein regionaler Vorgang in der CDU. Der Thüringer FDP-Chef und Kurzzeit-Ministerpräsident a.D. Kemmerich aber droht für die Freidemokraten zu einem Dauerproblem zu werden, wie es der Berliner Ex-Senator Sarrazin für die SPD oder Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer für die Grünen ist.

Beide provozieren gerne und stehen deshalb in der jeweils eigenen Partei in der Kritik. Gegen Sarrazin läuft in der SPD ein Ausschlussverfahren, der Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg hat am Freitag Palmer zum Austritt aufgefordert. Der hatte zuvor in einem Interview gesagt mit Blick auf die Anti-Corona-Maßnahmen gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“

Sollte Palmer den Grünen tatsächlich den Rücken kehren, wäre er in der FDP willkommen. Ein entsprechendes Angebot gibt es aus der Südwest-FDP. Deren Vorsitzender Michael Theurer, ein Vertreter des „Öko-Liberalismus“, sagte der „Bild am Sonntag“: „Bei uns in der FDP Baden-Württemberg ist Boris Palmer herzlich willkommen. Wir sind eine Heimat für kritische Köpfe. Wir halten das aus, wir kämpfen für Meinungsfreiheit.“ Palmer hat das Angebot  inzwischen ausgeschlagen.

Als „kritischen Kopf“ würde sich wohl auch Kemmerich selbst bezeichnen. Bis er durch seine Wahl zu zum Thüringer Ministerpräsidenten in Ungnade fiel, sahen ihn viele Liberale tatsächlich als Mann der klaren Worte, mit Ecken und Kanten – als „Marke“, wie es im FDP-Sprech heißt.

FDP beim Thema Corona im Spagat

Dass Kemmerich, der Beisitzer im Bundesvorstand ist, nun auf einer Demonstration von Coronaleugnern auftritt, kommt allerdings nicht von ungefähr. In Zeiten der Pandemie beschreitet die FDP insgesamt einen schmalen Grat. 

Sie präsentierte sich zunächst in der Rolle als staatstragende Partei, die den Lockdown der Bundesregierung anfangs ausdrücklich mittrug, übt inzwischen aber zunehmend schärferer Kritik an den Anti-Corona-Maßnahmen.

So sagte FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki kürzlich, die Informationen des Robert-Koch-Institutes (RKI) „vermitteln eher den Eindruck, politisch motivierte Zahlen zu sein als wissenschaftlich fundiert“. Parteichef Lindner verteidigte die Aussage später – eine Position, die auch bei Coronaleugnern durchaus Anklang finden dürfte.

Der Kurs der Liberalen in der Pandemie erinnert damit an die FDP-Linie in der Klima-Debatte. Auch dort wollen sich die Freidemokraten ausdrücklich nicht mit Leugnern des Klimawandels gemein machen. Zugleich versuchen sie jedoch, sich vom Öko-Mainstream abzusetzen. Nicola Beer, Vizechefin der Partei, warnte etwa Anfang 2019 vor „Panikmache“ in der Klimafrage und verneinte die „Brisanz“ des Themas.

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