Proteste in Sachsen: Die AfD als Lobby der Coronaleugner
Immer wieder in Sachsen gibt es illegale Proteste gegen den Lockdown. Die AfD mobilisiert zu diesen sogenannten „Spaziergängen“.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer macht sehr klar, was er von den „Spaziergängen“ der Coronaleugner hält. Es sei „weder cool noch besonders männlich, sich mit Handschlag und großartiger Umarmung zu irgendeiner Kundgebung zu begrüßen“, sagte der CDU-Politiker am Anfang Mai in einer Videobotschaft.
Die Landesregierung, versicherte Kretschmer, treffe ihre Entscheidungen über Einschränkungen wegen der Coronapandemie „auf der Basis von klugen Überlegungen“, es müsse abgewogen werden zwischen verschiedenen Schutzgütern. „Wer da etwas dagegen hat, soll das in einer vernünftigen Art und Weise zu jedem Zeitpunkt sagen können.“
Das Auftreten mancher Demonstranten bei Coronaprotesten - von Pirna über Olbernhau bis Annaberg-Buchholz - aber nannte der Regierungschef „sehr verantwortungslos“. Er sagte: „Ich finde, es spricht eine eindeutige Sprache.“ Zuvor hatte bereits Sozialministerin Petra Köpping (SPD) davor gewarnt, sich mit Verschwörungstheoretikern gemein zu machen und ihre Landsleute dazu aufgerufen, die sogenannten „Coronaspaziergänge“ zu meiden. Die Begrifflichkeit „Spaziergang“ haben die Veranstalter von Pegida adaptiert.
69 Ordnungswidrigkeitsverfahren in Pirna
Wenige Stunden nach der Botschaft Kretschmers versammelten sich dann am Mittwochabend in Pirna aber zum wiederholten Male Hunderte von Menschen, um gegen eine Einschränkung von Grundrechten in Zeiten der Coronakrise zu demonstrieren. Die Elbestadt ist in den vergangenen Wochen zu einem Mittelpunkt der Coronaproteste in Sachsen geworden, von Beginn an mobilisierte die AfD dabei an führender Stelle.
Das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hatte auf Antrag des Pirnaer AfD-Stadtrats Tim Lochner eine Versammlung unter strikten Auflagen genehmigt - 250 Menschen trafen sich für eine Viertelstunde auf dem Markt. Darunter waren zahlreiche AfD-Kommunalpolitiker und auch der Generalsekretär der Landespartei, Jan Zwerg.
Daneben mischten sich Reichsbürger unter die Demonstranten, Beobachter entdeckten am Mittwochabend sogar einen Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“. Die neue Coronaskeptiker-Partei „Widerstand 2020“ spielt in Sachsen bisher keine große Rolle. Die originären Initiatoren, die ihre Aufrufe im Netz platzieren, seien „schwer auszumachen“, erklärt ein Sprecher der Polizeidirektion Dresden auf Tagesspiegel-Anfrage zur Mobilisierung.
Der genehmigte Protest am Mittwochabend, der laut Polizei „ohne Vorfälle“ stattfand, genügte vielen nicht. Etwa hundert Demonstranten blieben weiter auf dem Markt und entfernten sich erst nach mehreren Aufrufen der Polizei einzeln. Zwei weitere größere Gruppierungen zogen anschließend durch die Altstadt, „Unbelehrbare“, wie der Einsatzleiter der Polizei, Hendrik Schlicke, sagte. Sie müssten nun „die Konsequenzen ihres Handelns tragen“. Die eingesetzten Beamten stellten die Personalien von insgesamt 69 Männern und Frauen fest und leitete gegen alle Ordnungswidrigkeitsverfahren ein.
„Corona wurde geplant“, schwadronierte die Leipziger AfD
Die AfD ist in Sachsen die einzige politische Kraft, die das Milieu der Coronaleugner offensiv umwirbt. Laut einem Bericht der „Freien Presse“ macht sie dabei auch vor Verschwörungstheorien nicht halt. „Corona wurde geplant“, hieß es demnach in einem später gelöschten Posting auf der Facebookseite des Leipziger AfD-Kreisverbandes. Schuldig an der Pandemie seien Politik, Medien, Pharmaindustrie und Nichtregierungsorganisationen. Die steile These wurde gestützt mit der Feststellung: „Merkel besuchte Wuhan im September 2019 kurz vor Ausbruch des Virus in China.“
Auch wenn der AfD-Landesvorstand diese These als zu zugespitzt empfand: Die „Coronaspaziergänge“ findet die Partei gut. „Die Erzgebirger haben das Spazieren für sich entdeckt - körperliche Betätigung ist gut für Psyche und Physis“, schwärmt der AfD-Landtagsabgeordnete Torsten Gahler auf Twitter.
In einer Erklärung der AfD-Landtagsfraktion ist mit Blick auf Coronaproteste die Rede von „kreativen Aktionen“ auf den Straßen und Marktplätzen des Freistaates: „Wir freuen uns über diese Zivilcourage.“ Die massiven Einschränkungen zeitlichen Umfangs und der Personenzahl bei Versammlungen seien nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und der sächsischen Verfassung, denn jeder Bürger habe das „Recht auf Bewegungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit“.
[Die Coronavirus-Krise ist auch für die Politik eine historische Herausforderung. Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]
Der Dresdner Polizeipräsident Jörg Kubiessa verteidigt die von den Beamten gesetzten Grenzen. Nach spontanen Versammlungsanzeigen sei der Polizeivollzugsdienst für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zur Coronaschutzverordnung unter keinen Umständen zuständig, sagt er. „Wir werden immer versuchen, von der zuständigen Behörde eine Entscheidung zu erhalten. Ist diese jedoch nicht erreichbar, bleibt die Versammlung verboten.“
Polizisten als „Merkel-Schergen“ beschimpft
Einer der ersten „Coronaspaziergänge“ hatte am 22. April in Pirna stattgefunden. Die eingesetzten Polizisten wurden damals von Teilnehmern übel beschimpft, als „Merkel-Schergen“ und „Wichser“. Wie sich später herausstellte, war der damalige Versammlungsleiter Steffen Janich nicht nur Kreisrat der AfD, sondern auch Beamter der sächsischen Polizei.
Am Donnerstag erklärte die Polizei zum Stand der Ermittlungen gegen den Beamten: „Die strafrechtlichen Ermittlungen sowie das disziplinarrechtliche Verfahren dauern an. Vor diesem Hintergrund werden wir keine weiteren Aussagen hierzu treffen.“ Geprüft werden soll in dem Verfahren unter anderem, ob Janich künftig die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt wird. Beim Protest am Mittwochabend in Pirna war Janich erneut dabei.
[Richtigstellung zu der behaupteten Teilnahme von Antje Hermenau an einer „Corona-Leugner-Demonstration“ Anfang Mai in Pirna, bei uns erschienen am 7. Mai 2020:
Wir haben geschrieben: „Das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hatte auf Antrag des Pirnaer AfD-Stadtrats Tim Lochner eine Versammlung unter strikten Auflagen genehmigt - 250 Menschen trafen sich für eine Viertelstunde auf dem Markt. Darunter waren zahlreiche AfD-Kommunalpolitiker und auch der Generalsekretär der Landespartei, Jan Zwerg. Am Rande der Proteste zeigte sich auch die frühere sächsische Grünen-Spitzenpolitikerin Antje Hermenau, inzwischen im rechtspopulistischen Milieu unterwegs, unter den Sympathisanten des Protests. Daneben mischten sich Reichsbürger unter die Demonstranten, Beobachter entdeckten am Mittwochabend sogar einen Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“.“
Dazu stellen wir richtig: Frau Hermenau war dort gar nicht.
Die Redaktion.]