zum Hauptinhalt
Erfurt, 5. Februar: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gratuliert dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich zur Wahl zum Ministerpräsidenten.
© imago images/STAR-MEDIA

„Die Brandmauer zur AfD muss halten": FDP will nie wieder gemeinsam mit Höcke & Co. agieren

„Das war der Super-Gau“, sagt der FDP-Politiker Benjamin Strasser über den 5. Februar in Erfurt. Er soll den Umgang mit der AfD grundsätzlich klären.

Der 5. Februar in Erfurt „war der Super-Gau“, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser im Rückblick. Mit den Stimmen auch von AfD und CDU war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden. Und Strasser gibt zu: „Wir dienten unfreiwillig als dankbare Statisten für Herrn Höcke.“

Der Politiker aus Oberschwaben sagt das in neuer Funktion. Strasser ist Chef einer Arbeitsgruppe der FDP-Bundestagsfraktion, die sich nach dem - inzwischen korrigierten - Dammbruch von Thüringen mit der Aufarbeitung befassen soll. Und der Frage, wie sich die FDP künftig gegenüber der rechtsradikalen Partei verhalten soll, auch und zum Beispiel im Bundestag.

Strategiewechsel der AfD übersehen

Die elfköpfige Arbeitsgruppe hat sich diese Woche konstituiert - und Strasser ist noch immer etwas fassungslos, dass die Sache im Erfurter Landtag so laufen konnte, wie sie gelaufen ist. FDP-Chef Christian Lindner hatte Kemmerich zunächst sogar gratuliert, ihm nach Angaben des Kurzzeit-Regierungschefs „starke Nerven“ gewünscht. Im Netz und bei Protest-Demonstrationen in Erfurt, Berlin und anderen Städten wurde die FDP als „AFDP“ attackiert.

Protest gegen den Dammbruch in Erfurt: Rosenmontagsumzug in Düsseldorf.
Protest gegen den Dammbruch in Erfurt: Rosenmontagsumzug in Düsseldorf.
© Ina Fassbender/AFP

Die Gründe für die neue Arbeitsgruppe erläutert Strasser im Gespräch mit dem Tagesspiegel so: „Lange Zeit hatte die AfD alle Parteien von Linke bis CDU als Altparteien und Kartellparteien diskreditiert.“ Nun aber habe sie gemeinsam mit FDP und CDU zum bürgerlichen Lager gehören wollen. „Diesen Strategiewechsel übersehen zu haben, war ein Fehler“, sagt der Arbeitsgruppen-Chef.

„Für mich stellt sich die Frage: Hat am 5. Februar unser Frühwarnsystem versagt?“ Strasser fordert: „Die Brandmauer zur AfD muss ohne Wenn und Aber halten.“

„Prinzip der Selbstverharmlosung“

Signale, dass sie eingerissen werden könnte, gab es vor dem 5. Februar durchaus. Auch schon in den Landtagswahlkämpfen in Sachsen und Brandenburg im Sommer 2019 sprach die AfD gezielt bürgerliche Wähler an.

Nach der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 mit ihren unklaren Mehrheitsverhältnissen bot der ultrarechte thüringische AfD-Chef Björn Höcke CDU und FDP die Bildung einer von drei Parteien getragenen „Expertenregierung“ an, ersatzweise die Duldung einer „bürgerlichen“ Minderheitsregierung.

Strasser sieht hinter solchen Avancen ein klares Konzept, diktiert von neu-rechten Vordenkern wie Götz Kubitschek. Die AfD selbst spreche vom „Prinzip der Selbstverharmlosung“, sagt er. Der AfD-Gedanke dahinter: „Mit knallhartem Nazi-Sprech erreicht man nur ein gewisses Wählerpotenzial.“

Der baden-württembergische FDP-Bundestagabgeordnete Benjamin Strasser.
Der baden-württembergische FDP-Bundestagabgeordnete Benjamin Strasser.
© imago images/Christian Spicker

In den ersten Wochen bis Mitte April geht es der FDP-Arbeitsgruppe zunächst darum, die Rahmenbedingungen zu klären: Was ist, wenn die rechtsradikale Partei Wünsche für Anhörungen äußert, was, wenn sie an Tagesordnungspunkte eigene Anträge anhängen möchte. Dazu: Ist es richtig, einen AfD-Politiker - egal welcher Kandidat - grundsätzlich nicht zum Parlamentsvizepräsidenten zu wählen?

FDP will keinen Parlamentsvizepräsidenten der AfD

Zu letzter Frage hat ein Kurswechsel bereits stattgefunden. Strasser selbst hat noch keinen der AfD-Kandidaten gewählt, doch Parteifreunde hielten das anders.

Sie argumentierten, dass man der AfD nicht eine Opferrolle zubilligen sollte. Strasser dagegen lehnt auch die „vermeintlichen Mauerblümchen“ ab, die das „bürgerliche Feigenblatt für Hardcore-Rechtsradikale einnehmen wollen“. Er hat für diese Linie inzwischen den Rückhalt der Fraktionsführung.

Sie empfiehlt nun generell ein Nein zu allen Kandidaten der AfD für das auch nach mehreren Anläufen noch unbesetzte AfD-Vizepräsidentenamt im Parlament.

„Rechtsextremistischer harter Kern“

Phase zwei der Arbeit der Arbeitsgruppe: aufklären und mehr lernen über die AfD, von Politikwissenschaftlern, Kommunikationsexperten, Rechtsextremismusforschern. Was unterscheidet sie von der FPÖ in Österreich? Wie gefährlich ist die Partei, deren ultrarechter „Flügel“ um Höcke erst am Donnerstag vom Verfassungsschutz offiziell zum Beobachtungsobjekt erklärt wurde?

Strasser sagt dazu: „Die AfD hat einen harten Kern, der rechtsextremistisch auftritt und mittlerweile das Sagen hat. Diese Partei duldet Rechtsradikale nicht nur, sie wählt sie sogar an Spitzenfunktionen.“

Beispielhaft verweist er auf den brandenburgischen AfD-Chef Andreas Kalbitz, der „eine glasklare Vergangenheit in rechtsextremistischen Organisationen“ habe. Und darauf, dass Abgeordnetenmitarbeiter der AfD im Bundestag Mitglied von rechtsextremen Organisationen wie der „Identitären Bewegung“ seien.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion schließt - anders als die FDP - seit Jahren grundsätzlich jede Zusammenarbeit mit der Linksfraktion aus. Zu Beginn der Wahlperiode hatte die Union diesen Beschluss gleichlautend auf die AfD ausgeweitet. Der Hamburger CDU-Bundesparteitag im Dezember 2018 hatte dann bekräftigt, dass es Koalitionen und „ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ weder mit AfD noch mit Linkspartei geben darf.

Strasser differenziert zwischen AfD und Linkspartei

Können die späteren Schlussfolgerungen der FDP-Arbeitsgruppe auch Handreichung für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden? „Die Union muss sich schon selbst klar werden, wie sie agieren will“, sagt Strasser. Nachholbedarf in der Frage des Umgangs mit der AfD hätten alle Fraktionen.

Strasser indes will ausdrücklich differenzieren, wenn es um den Vergleich von AfD und Linkspartei gehe. Zwar habe auch die Linke „extremistische und verfassungsrechtlich problematische Strömungen“, sagt der FDP-Mann.

Dennoch sehe er beide Parteien, was ihre extreme Ausrichtung betreffe, nicht auf gleicher Höhe. „Es gibt keine Koalition mit der Linken und keine Kooperation mit der AfD“, beschreibt er die FDP-Linie, das sei „ein struktureller Unterschied“.

Mit der Linksfraktion habe es, etwa zur Reform des Wahlrechts, schon gemeinsame Anträge gegeben. Die FDP sei auch bei der Linken „sehr zurückhaltend", aber: „Eine punktuelle Zusammenarbeit ist - anders als mit der AfD - möglich.“

Matthias Meisner

Zur Startseite