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1. September 2018 in Chemnitz: Polizisten schützen den Trauermarsch von AfD, Pegida & Co.
© Ralf Hirschberger/dpa

Braune Staatsdiener: Rechtsradikale in Sicherheitsbehörden bedrohen die Demokratie

Rechtsextreme bei Polizei, Bundeswehr, Justiz und Verfassungsschutz - nur Einzelfälle? Das Buch „Extreme Sicherheit“ klärt über die Netzwerke auf. Ein Auszug.

Wie steht es um die demokratische Verfasstheit von Polizei, Justiz, Bundeswehr und Verfassungsschutz? Hat die gesellschaftliche Polarisierung auch diejenigen Institutionen erfasst, die dem Staat und damit dem Wohl aller dienen sollen – ohne Ansehen der Person? Es ist kein Thema wie jedes andere. Denn es geht um die Institutionen und ihre Funktionsträger, deren zentrale Aufgaben darin bestehen, den demokratischen Rechtsstaat und die Menschen zu schützen, die hier leben.

Dafür hat der Gesetzgeber, das Parlament, der Exekutive und ihren Vertretern und Vertreterinnen weitgehende Befugnisse und Instrumente verliehen: Polizisten und Soldaten dürfen Waffen tragen und sie im Ernstfall auch einsetzen, Richterinnen dürfen den Freiheitsentzug anordnen und Haftstrafen verhängen, Polizei und Verfassungsschutz dürfen Menschen überwachen und sie nach den neuen Polizeiaufgabengesetzen auch präventiv in Haft nehmen.

Wenn die demokratische Grundordnung schutzlos scheint

Mit diesen Worten beginnt das von uns herausgegebene Buch „Extreme Sicherheit“. Wir fragen, wie viele Sorgen wir uns darum machen müssen, wer die demokratische Grundordnung schützt – wo sie plötzlich schutzlos scheint. Wie steht es um den Staatsschutzbeamten, der sich bei einer Razzia einer als kriminellen Vereinigung bekannten Neonaziband ein Autogramm von deren Sänger geben lässt?

Was ist mit dem Polizei-Ausbilder, der seine Schüler und Schülerinnen beim Schießtraining auffordert, das Zielen zu lernen - wegen der „vielen Gäste“ in Deutschland? Mit dem Staatsanwalt, der eine Anzeige wegen antisemitischer Morddrohungen bearbeiten soll – und stattdessen dem Sohn der bedrohten Familie rät, nicht mehr „so provokant“ öffentlich gegen Rechtsextremismus aufzutreten? Dem Bundeswehrsoldaten, der auf der Stube Nazi- Lieder singt und in seiner Freizeit zu Neonaziaufmärschen geht? Oder gar mit dem langjährigen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz?

Einer der Anlässe, dieser Frage nachzugehen, liegt einige Jahre zurück: 2016, als die Anzahl der rechten Gewalttaten wieder das Niveau der frühen 1990er Jahre erreicht hatte und wöchentlich Pegida in Dresden und „Nein zum Heim“-Initiativen zehntausende rechte Wutbürger auf die Straßen der Republik brachten, wurde in der sächsischen Kleinstadt Freital – auf Intervention des Generalbundesanwalts – die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ festgenommen.

Sie hatte in nur sechs Monaten fünf Anschläge auf Flüchtlinge, Kommunalpolitiker sowie alternative Wohnprojekte verübt. Im Raum stand auch ein Verdacht: Polizeibeamte sollen die Neonazis mit Informationen versorgt und vor Maßnahmen von Kollegen gewarnt haben.

Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) machte sich damals bei der Polizei extrem unbeliebt mit seiner in einem „Zeit“-Interview geäußerten Vermutung, dass dort „die Sympathien für Pegida und die AfD größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt“. Dulig sagte: „Unsere Polizisten sind die Vertreter unseres Staates. Als Dienstherr dürfen wir erwarten, dass sie die Grundelemente politischer Bildung verinnerlicht haben.“ Dulig bezog sich auf die Polizei – und Sachsen.

Seit Einzug der AfD in die Parlamente ein bundesweites Phänomen

Seit dem Einzug der AfD in alle Landesparlamente und den Bundestag haben wir es mit einem bundesweiten Phänomen zu tun. Einem in allen Bereichen der Sicherheitsarchitektur. Experten und Praktiker streiten seit langem darüber, ob die Polizei ein „Spiegelbild der Gesellschaft“ ist und die Bundeswehr zunehmend durch Rechtsaußen-Strukturen unterwandert wird.

Vor allem für die Innenminister der Länder und des Bundes und auch das Verteidigungsministerium ist es praktisch, dass es an Zahlenmaterial fehlt. Sie können bei jedem neuen Skandal und jeder Enthüllung mit der immer gleichen Standardformulierung von den „bedauernswerten Einzelfällen“ beschwichtigen.

So wie der amtierende Innenminister Horst Seehofer (CSU). Ende Juni 2019 stellte er den Verfassungsschutzbericht 2018 der Öffentlichkeit vor. Das 388-Seiten-Dokument enthält keine Zeile über Netzwerke von Rechtsradikalen in Polizei, Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden. Der CSU-Politiker verliert bei seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz auch zunächst kein Wort darüber. Auf Nachfrage hebt der Heimatminister dann zunächst die Verfassungstreue seiner Staatsdiener hervor.

Dass es in der Bundespolizei - Seehofer will nur für die ihm unterstehende Behörde mit knapp 40.000 Beamtinnen und Beamten sprechen - „mal eine rechtsextremistische Erscheinung“ gebe, sei zwar richtig. Es handele sich aber nur um Fälle im Promillebereich. In konkreten Fällen werde „ohne Ansehen der Person gehandelt“, es gelte „null Toleranz“. Von einem „Massenphänomen“ könne keine Rede sein.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2018 mit dem damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2018 mit dem damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen.
© Michael Kappeler/dpa

Fast täglich kommen neue Fälle hinzu, die stereotyp weiter zu Einzelfällen heruntergespielt werden. Vor wenigen Tagen etwa recherchierte das Leipziger Stadtmagazin „Kreuzer“, dass am Überfall von mehr als 200 vermummten Hooligans auf den als linksalternativ geltenden Stadtteil Connewitz im Januar 2016 ein sächsischer Justizvollzugsbeamter beteiligt war.

Drei Jahre lang konnte er danach noch Dienst im Gefängnis tun, bevor er suspendiert wurde. In Hessen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ein halbes Dutzend Polizeischüler, die in einer Chatgruppe den Holocaust verherrlichte und rassistische Mordaufrufe geteilt haben sollen.

Die Wissenschaftler Tobias Singelnstein und Christoph Kopke warnen: „Die Rechtsentwicklung, die unsere Gesellschaft gerade durchmacht, können wir in der Polizei wie unter einem Brennglas sehen. Das liegt nicht vorrangig daran, dass nun ganz viele rassistisch oder rechtsextrem eingestellte Personen zur Polizei gehen. Sondern dass es schon immer einen Anteil an Personen in der Polizei gab, die solche Einstellungen haben. Inzwischen äußern sie sich aber offener.“

Zäsur nach dem Mord an Lübcke?

Das sollte nicht nur diejenigen beunruhigen, die aufgrund von Hautfarbe und (vermeintlicher) Herkunft häufiger als andere mit anlasslosen Polizeikontrollen konfrontiert sind, sondern uns alle. Denn nicht erst, aber spätestens mit dem Mord eines Neonazis an Walter Lübcke, dem langjährigen Regierungspräsidenten von Kassel, im Juni 2019 sollten wir uns doch sicher sein können, dass keine Polizisten, keine Bundeswehrsoldaten, keine Staatsanwälte und keine Verfassungsschutzmitarbeiter unter denjenigen sind, die die kaltblütige Hinrichtung des christdemokratischen Politikers in sozialen Netzwerken als „mutiges Fanal“ verherrlichen.

Und nicht den Mörder und seine Helfer, sondern die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für das Attentat verantwortlich machen und Listen weiterer potenzieller Opfer anlegen.

Bedroht vom "NSU 2.0": die Rechtsanwaltin Seda Basay-Yildiz aus Frankfurt am Main.
Bedroht vom "NSU 2.0": die Rechtsanwaltin Seda Basay-Yildiz aus Frankfurt am Main.
© Matthias Rietschel/imago images/epd

Diese Sicherheit gibt es jedoch nicht. Das ist seit den wiederholten Morddrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess („Nationalsozialistischer Untergrund“) Seda Basay-Yildiz und ihre Familie durch eine Gruppe namens „NSU 2.0“ deutlich geworden. Denn die Spur zu den mutmaßlichen Tatbeteiligten führt zu einem Dienstcomputer des 1. Polizeireviers der Frankfurter Polizei. Basay-Yildiz appelliert im Vorwort für das Buch: „Wir haben ein strukturelles Problem bei der Polizei. Wer heute noch von Einzelfällen spricht, hat nichts verstanden.“

Monitor-Redaktionsleiter Georg Restle bezweifelt, dass der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke zu einer Zäsur geführt habe. Im Interview mit dem Medienmagazin „Journalist“ sagt er, solange kein ernsthafter Aufklärungs- und Ermittlungswille gegenüber den rechten oder gar rechtsextremen Netzwerken in den eigenen Reihen erkennbar sei, bleibe „die Zäsur für mich vor allem eine rhetorische“.

[Heike Kleffner ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Matthias Meisner ist Redakteur des Tagesspiegels. Gemeinsam geben beide das Buch „Extreme Sicherheit - Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“ heraus, das am 18. September im Herder Verlag erscheint (320 Seiten, 24 Euro). Vom Tagesspiegel außerdem an dem Sammelband beteiligt: Maria Fiedler, Robert Kiesel, Sebastian Leber und Jost Müller-Neuhof. Die Buchpremiere mit zahlreichen Autorinnen und Autoren sowie Innenpolitikern aus dem Bundestag findet am 25. September um 19 Uhr in der taz-Kantine, Friedrichstraße 21 in Berlin statt. Anmeldung: puettmann@herder.de]

Rechtsextreme Netzwerke, in denen ehemalige SEK-Beamte und Bundeswehrsoldaten aktiv sind, haben Daten von mehr als 25.000 so genannten politischen Gegnern zusammengestellt. Die Frage, wer Zugriff auf sensibelste Informationen hat und in wessen Hände sie gelangen, ist damit eben nicht nur ein Thema für Datenschutzbeauftragte.

Sondern auch zu einer Frage der Sicherheit für all jene geworden, deren politische Meinung sie zu potenziellen Feindbildern der extremen Rechten macht: So wurde etwa im Konflikt um das alternative Musikfestival „Fusion“ in Mecklenburg-Vorpommern bekannt, dass die persönlichen Telefonnummern und Wohnanschriften von Organisatoren und privaten Festival-Ordnern ausgerechnet an einen wegen Körperverletzung verurteilten und strafversetzten ehemaligen Polizisten und ehemaligen stellvertretenden AfD-Kreisvorsitzenden weitergegeben worden waren, der an der Polizeihochschule Neubrandenburg als Dozent für Einsatzlehre tätig ist.

Rechtsradikale unterwegs auf dem Marsch durch die Institutionen

Hat der Staat die Sache nicht mehr im Griff? Sind Rechtsradikale unterwegs auf dem Marsch durch die Institutionen? Bereiten sich manche von ihnen auf einen Tag X vor, wollen dann sogar von der Waffe Gebrauch machen?

Haben die Wahlerfolge der AfD in Bund, Ländern und Kommunen und die gesellschaftliche Polarisierung, die sich darin abbildet, dazu beigetragen, dass sich Rechte in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz und Justiz noch besser als vor Jahren vernetzen? Zusammengefasst lautet die Antwort auf diese Fragen: ja. Ohne dabei nun jeden einzelnen Staatsbediensteten unter Generalverdacht zu stellen.

Bislang ist das Ausmaß des Problems nicht ausreichend vermessen: Die ersten veröffentlichten Rechercheergebnisse zu rechtsextremen Netzwerken in Bundeswehr und Polizei - insbesondere durch die „taz“ - führten bei Politik und bei Journalistenkollegen gleichermaßen zu Skepsis und der saloppen Vermutung, es würden ein paar „harmlose Spinner“ zu einem gefährlichen Neonazinetzwerk umgedeutet.

Inzwischen hat die Öffentlichkeit erfahren, dass SEK-Beamte, ehemalige Bundeswehroffiziere und aktive Reservisten für einen Tag X die Internierung politischer Gegnerinnen und Gegner in Gestalt von Kommunalpolitikerinnen und -politikern aus Rostock, Schwerin und Umgebung planten, Zehntausende Schuss Munition horteten und 200 Leichensäcke und Löschkalk bestellt hatten.

Vermeintliche „Feinde“ werden vorsorglich für den drohenden Zusammenbruch verantwortlich gemacht: Flüchtlinge und Migranten, Politikerinnen und Politiker von Linkspartei bis Union, sofern sie den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stützen.

In Whatsapp-Gruppen, Tweets und Facebook-Postings werden sie mit Zuschreibungen wie „Invasoren“, „Volksverräter“ oder „Volksschädlinge“ so weit ihrer Individualität und Menschenwürde beraubt, dass die Wege vom hasserfüllten Eintrag „Merkel an den Galgen“ im sozialen Netzwerk bis zum politischen Mord immer kürzer werden.

Polizisten, das soll ausdrücklich erwähnt werden, gehören ebenfalls zu den Opfern, wenn Neonazis den Krieg gegen den demokratischen Rechtsstaat eröffnen: Mindestens sechs Polizeibeamte und -beamtinnen sind seit 1990 von neonazistischen Tätern erschossen worden. Inzwischen fürchten kritische Beamte, dass auch sie selbst am Tag X als „Sympathisanten des Systems“ zu denjenigen gehören könnten, die von den eigenen Kollegen an die Wand gestellt werden.
Manchmal müssen offenbar erst dramatische Dinge geschehen, bis Behörden wirklich wach und reaktionsschnell werden. In Bayern betrachten die Behörden die Reichsbürger-Bewegung seit dem 19. Oktober 2016 nicht mehr als abseitiges Phänomen und Spinnerei, sondern als reale Gefahr. Damals hatte im mittelfränkischen Georgensgmünd ein Reichsbürger einen SEK-Beamten erschossen. Seither wird gründlich entwaffnet.

Kritischen Staatsdienern den Rücken stärken

Wir wollen nicht den Daumen senken über Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten und Vertreterinnen und Vertreter der Justiz, sondern eine dringend notwendige Debatte anstoßen. Und vor allem denjenigen den Rücken stärken, die in ihren Polizeidienststellen, Revieren, Bundeswehreinheiten und Verfassungsschutzabteilungen die Alarmglocken läuten und als Nestbeschmutzer gemobbt und an den Rand gedrängt werden, die als Vorgesetzte auf demokratische Bildung pochen und das Thema des institutionellen Rassismus offensiv bearbeiten wollen.

Wir bedanken uns bei allen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern aus der Zivilgesellschaft für ihren wachsamen Blick. Eine demokratische Gesellschaft braucht eine Polizei und eine Armee, die das Vertrauen aller Bürgerinnen und Bürger haben.

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