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Gregor Gysi
© Mike Wolff

Linken-Politiker Gregor Gysi im Interview: "Putin ist nicht mein Typ"

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über russenfeindliche Grüne, eine EU-Perspektive für die Ukraine und Englisch für Grundschüler in Europa.

Herr Gysi, waren Sie in der DDR Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft?
Aber selbstverständlich! Wobei das nicht bedeutet, dass alle das so sahen. Alle Schüler in der DDR wurden zum Beispiel gezwungen, Russisch zu lernen, was vielen missfiel. Die Abhängigkeit von Moskau führte dazu, dass alles bei uns im Land so gemacht wurde, wie die es wollten, selbst wenn es Unsinn war. Die Stimmung gegenüber der UdSSR änderte sich, als Gorbatschow kam. Die SED-Führung meinte aber ernsthaft, sich gegen ihn stellen zu können. Wie Honecker auf eine solche Idee kommen konnte, ist mir völlig schleierhaft.

Wie gut kannten Sie die UdSSR?
Ich habe zweimal dort Urlaub gemacht. Einmal war ich mit meinem Sohn auf einer größeren Reise, von Kiew bis Samarkand. Dann war ich noch einmal in Jalta. Das war’s dann auch schon. Aber nach dem Zerfall der Sowjetunion war ich nicht mehr dort im Urlaub. Dienstlich vorher einmal bei den Rechtsanwälten, und nachher wohl vier Mal.

Was bedeutet das für Ihr Verhältnis zu Russland und Putin heute?
Ganz viele Russen fühlen sich gedemütigt durch den Zerfall des Sowjetreichs. Was der Putin gemacht hat in Georgien, in Syrien und jetzt in der Ukraine, gibt auch einfachen Russen das Gefühl, dass sie wieder wichtiger werden. Auf der anderen Seite: Putin ist im alten Denken verhaftet. Er versucht – ähnlich wie übrigens die USA – seine Einflusssphären zu erhalten und auszubauen. Das muss man wissen, wenn man die Regierung in Moskau für einen Akt der Deeskalation gewinnen möchte.

Gibt es  denn auch Dinge, die Sie an Putin bewundern?
Der ist nicht mein Typ.

Müssen sich die Vertreter der deutschen Wirtschaft bei Ihnen bedanken, weil Sie gegen Russland-Sanktionen sind?
Eigentlich schon. Dadurch, dass wir gegen die Sanktionen kämpfen, kämpfen wir auch für unsere Wirtschaft, die darunter natürlich litte. Der Obama möchte die Sanktionen. Die Antwort Russlands trifft ja auch nicht ihn, sondern uns.

Polens Außenminister Radoslaw Sikorski hat von der Nato die Stationierung von Bodentruppen in seinem Land gefordert. Was würde das bedeuten?
Polen hat seine eigenen  Erfahrungen mit Russland gemacht, allerdings auch mit Deutschland und Österreich. Die baltischen Republiken sind in die Sowjetunion einverleibt worden. Dort leben heute ähnlich wie auf der Krim viele Russen. Deshalb verstehe ich auch die Sorge der Balten, dass das Vorgehen Russlands auf der Krim Schule machen könnte. Die Nato sollte diesen Staaten eine Sicherheitsgarantie geben und ein Eingreifen zusichern, wenn sie angegriffen werden sollten. Aber wenn man in der jetzigen Situation Flugzeuge losschickt und Manöver veranstaltet, dann eskaliert man, dann reizt man  natürlich Putin – und dann bekommt man ihn auch nie weg von den Grenzen der Ukraine.

Soll die Ukraine Mitglied der EU werden?
Letztlich muss man auch die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft aufbauen. Aber schon aus wirtschaftlichen Gründen geht das absehbar nicht – die Ukraine ist zurzeit ruiniert. Ich würde darüber auch mit Russland sprechen. Ich würde dafür sorgen, dass Russland eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine nicht als einen Schritt gegen sich empfindet. Wir müssen wegkommen von diesem Denken in Alternativen, wonach die Ukraine entweder uns oder denen gehört. Das ist - von beiden Seiten - Quatsch.

Darf die Ukraine in die Nato?
Auf keinen Fall. Nato und EU haben schon genug Fehler im Bezug auf Russland und die Ukraine begangen. Russland würde einen solchen Schritt immer als Bedrohung empfinden. Aus Putins Sicht hätte sich dann  seine Schwarzmeerflotte gewissermaßen mitten in der Nato befunden. Deshalb die Einverleibung. Alternativ könnte Russland auch Nato-Mitglied werden, aber dann  würden wir über eine völlig neue Struktur reden. Ich bin Putin nie begegnet, aber mir ist gesagt worden, er würde wenig langfristige Entscheidungen treffen, sondern Entscheidungen nur über die nächsten 48 Stunden hinweg. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Aber wenn es zuträfe, wäre es nicht gut.

Außenminister Steinmeier hat gesagt, die EU dürfe die Ukraine nicht mehr vor die Wahl stellen, entweder zum Westen oder zum Osten zu gehören. Das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen.
Natürlich. Die Bundesregierung ist nicht der Scharfmacher in der ganzen Angelegenheit. Aber sie macht eben auch fast alles mit. Und sie muss sich jetzt dafür einsetzen, dass wir in Europa eine Deeskalation erreichen. Ohne oder gar gegen Russland bekommen wir keine Sicherheit in Europa.

Grüne und Linke sind "auch ein bisschen aufeinander angewiesen"

"Ich drücke mich immer anders aus". Genossen Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi
"Ich drücke mich immer anders aus". Genossen Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi
© dpa

Ihre Stellvertreterin Sahra Wagenknecht hat die Ukraine-Politik von Steinmeier als „zutiefst heuchlerisch“ bezeichnet.
Ich drücke mich immer anders aus. Ich glaube, Steinmeier  ist erst zu kurz im Amt. Wenn man sich die Entwicklung bei der Assoziierung zwischen der EU und der Ukraine ansieht, dann muss man ihm zugute halten, dass schon alles vorbereitet war, als er ins Amt gekommen ist. Das Versagen der Bundesregierung besteht darin, das Problem gar nicht erkannt zu haben – nämlich dass Russland aus einer Haltung des Gedemütigt-Seins dann seinerseits mit der Annexion der Krim einen Völkerrechts-Bruch begeht. Mich stört sehr, dass Steinmeier mit dem Chef der faschistischen Swoboda-Partei, Oleg Tjagnibok verhandelte und sich mit ihm fotografieren ließ.

Ist die rechtsextreme Swoboda-Partei für die Ukraine wirklich so gefährlich?
Gegenfrage: Wieso sind die überhaupt mit in die Regierung in Kiew gekommen? Natürlich wird bei der Präsidentschaftswahl im Mai kein rechtsextremer Kandidat zum Staatschef gewählt. Anders sieht es bei der Parlamentswahl aus. Eine Regierung, an der die Rechtsextremen beteiligt sind, sollte keine Hilfe von der EU erhalten.

Ist es ein Dilemma, dass bei der Präsidentschaftswahl zwei Oligarchen als Favoriten antreten?
Na klar. Daran kann man schon ablesen, wie schwierig die Gesamtsituation in der Ukraine ist. Es ist auch ein Problem, dass es für die Präsidentschaftswahl keinen nennenswerten Kandidaten aus der Ostukraine gibt. Deshalb braucht die Ukraine ja auch eine föderale Struktur. Damit hat Putin Recht. Aber er kann es für die Ukraine nicht vorschreiben.

Soll der Oligarch und Süßwarenfabrikant Pjotr Poroschenko, der bei der Wahl antritt, enteignet werden? Man könnte die Schokolade ans Volk verteilen.
Das wäre ja nur ein einmaliger Akt. Das eigentliche Problem ist folgendes: Die Oligarchen haben dafür gesorgt, dass das Eigentum der Ukrainer zu wesentlichen Teilen in Westeuropa liegt. Die Konten des ehemaligen Präsidenten Janukowitsch sind gesperrt worden. Warum werden nicht auch die Konten der anderen gesperrt? Selbst wenn ein Oligarch die Wahlen gewinnen sollte, müsste man mit ihm darüber reden, einen großen Teil seiner Milliarden wieder an den Staat zurückzugeben.  

Über die Ukraine zur Innenpolitik: Die Auseinandersetzungen haben tiefe Spannungen gezeigt zwischen Grünen und Linkspartei. Haben Sie sich das Agieren auf den Oppositionsbänken harmonischer vorgestellt?
Die beiden Parteien haben eine sehr unterschiedliche Kultur und auch eine sehr unterschiedliche Geschichte. Dass es nicht so leicht mit den Grünen wird, das habe ich schon vorher gewusst. Ich fand die Position der Grünen bei der Ukraine nicht richtig. Ich verstehe die Kritik an Putin. Aber sie darf nicht so einseitig sein, quasi russenfeindlich, wie das bei den Grünen der Fall war. Dazu kommt, dass sie sich nicht genügend von den Faschisten in der Ukraine distanziert haben. Trotzdem: Die beiden Oppositionsfraktionen werden bestimmte Dinge in den nächsten Jahren auch gemeinsam machen. Wir sind ja auch ein bisschen aufeinander angewiesen.

Sind die Grünen der rechte Rand im Bundestag, wie das Ihr Parteifreund Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, gesagt hat?
Nein. Man darf zwar auch mal übertreiben, wenn man sich ärgert. Aber ich würde das nie so formulieren. Und ich weiß, dass es Katrin Göring-Eckardt persönlich sehr getroffen hat.

Dürfen Linken-Bundestagsabgeordnete den Bundeswehreinsatz zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen ablehnen?
Wir haben welche, die sehen das abrüstungspolitisch. Die sind für Ja. Wir haben welche, die sehen das verteidigungspolitisch, die sind für Nein. Und wir haben welche, die sehen beides und sind für Enthaltung.

Sie gehören zur letzten Gruppe.
Ja. Ich werde dafür plädieren, dass sich bei der Abstimmung im Bundestag möglichst viele von uns enthalten. Andere Stimmen sind auch nicht tragisch. Letztlich geht es ja um den Schutz für eine Abrüstungsmaßnahme, aber wir sind auch gegen die Ersetzung Russlands. Ich denke, wir bekommen eine Mehrheit, die sich enthält.

Aufhören? Schon gar nicht jetzt

Gregor Gysi auf dem Europaparteitag der Linken im Februar in Hamburg
Gregor Gysi auf dem Europaparteitag der Linken im Februar in Hamburg
© dpa

Die SPD hat im November auf einem Parteitag beschlossen, dass auch Koalitionen mit der Linkspartei grundsätzlich möglich sein müssen. Meinen es die Sozialdemokraten nach Ihrem Eindruck ernst damit?
Die Sozialdemokraten sind in einem schweren Konflikt. Sie wissen letztlich nicht, wohin sie politisch wollen. Es gibt aber in der SPD welche, die raus wollen aus der Juniorrolle gegenüber der Union. Dann gibt’s die Sorge, dass Union und Grüne koalieren. Dann hätten wir einen konservativen Block – na, bis SPD und Linke den geknackt hätten, das kann dauern! Dann gibt’s die Gegner, die sagen: Es stimmt das Vertrauen nicht, es stimmt die Chemie nicht. Für mich gibt’s für Rot-Rot-Grün, egal wann,  drei Bedingungen: Es muss von den Mehrheiten mehr und inhaltlich gehen, und es muss eine Wechselstimmung in der Bevölkerung geben. Ich sage nicht, dass das leicht ist. Und ich sage auch nicht, dass das leichter wird. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang stellt sich demnächst in Thüringen.

Wird es dort einen linken Ministerpräsidenten geben?
Ich hoffe es und halte es für möglich. Die Situation ist dort völlig anders als 2009. Ein linker Ministerpräsident wäre ein völliges Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Kommen wir zum bevorstehenden Europawahlkampf. Werden Sie da auch etwas Positives über Europa sagen?
Ja natürlich. Wir sind Anhänger der europäischen Integration. Es geht doch nicht darum, ob man die EU will oder nicht. Sondern es geht darum, wie die EU gestaltet wird. Das heißt: Wie kann man den umfassenden Sozialabbau verhindern und umkehren? Wie kann man den Demokratieabbau verhindern und umkehren?

Nun versuchen Europas Parteienfamilien gerade, Europa demokratischer zu machen – sie haben gemeinsame Spitzenkandidaten aufgestellt. Können Sie dem nichts Positives abgewinnen?
Doch. Ich finde auch unseren Spitzenkandidaten, den griechischen Oppositionsführer Alexis Tsipras, gut. Ich hätte übrigens noch einen Kulturvorschlag für ganz Europa, nicht nur für die EU: Von Russland bis Portugal  sollten alle Kinder ab der ersten Klasse die gleiche Fremdsprache lernen. Sinnvollerweise sollte das Englisch sein. So würde es das erste Mal in Europa eine Generation geben, die deutlich leichter miteinander kommunizieren kann.

Die verbreitete EU-Skepsis stärkt Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern. Nutzt sie auch der Linkspartei?
Nicht in dem Maße. Es ist wahr, dass wir Bürokratie und Demokratiedefizite kritisieren. Aber die anderen appellieren an Instinkte, die wir nicht bedienen wollen.

Wie gefährlich ist die AfD?
Sie ist eine rechtspopulistische Partei. Aber es sind keine Nazis. Aber sie erzählen auch ganz schönen Kohl. Leider am wenigsten verbreitet wird, dass sie gegen Lohnerhöhungen, gegen Rentenerhöhungen, gegen höhere Sozialleistungen sind. Die werden bei der Europawahl eine Rolle spielen. Ich bin aber relativ optimistisch, dass sie in den nächsten Bundestag nicht einziehen.

Herr Gysi, macht Politik süchtig?
Ich kenne welche, die nicht aufhören können. Bei mir kann ich es mir deshalb nicht vorstellen, weil ich gleichermaßen positive wie negative Gefühle habe. Wenn ich von Politik abhängig wäre, gäbe es keine Erklärung für die negativen Gefühle. Und die sind nicht ohne Gewicht bei mir: Es wiederholt sich viel, es verändert sich zu wenig. Mein Leben ist, seit ich Oppositionsführer bin, aber sehr viel stressiger geworden.

Und trotzdem denken Sie nicht ans Aufhören?
Selbstverständlich nicht. Schon gar nicht jetzt. Ich bin doch fit. Oder?

Gregor Gysi (66) ist Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Das Gespräch führten Albrecht Meier und Matthias Meisner.

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