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Donald Tusk wirbt für ein Polen im Einklang mit der Europäischen Union.
© Slawomir Kaminski/Agencja Gazeta via REUTERS

Das letzte Duell der Dinosaurier: Ex-Premier Donald Tusk kehrt in Polens Politik zurück

Zwei Mal hat er die PiS in Wahlen besiegt. Das ist einige Zeit her. Nun soll er die Opposition zum dritten Triumph über den Strategen Jaroslaw Kaczynski führen.

Polens Opposition greift tief in die Vergangenheit, um die Zukunft zu gewinnen. Zwei Jahre vor der nächsten regulären Parlamentswahl 2023 übernimmt Donald Tusk nach sieben Jahren außerhalb des Landes wieder die Führung der Bürgerplattform (PO). Von 2007 bis 2014 war der Liberalkonservative Regierungschef, von 2003 bis 2014 Parteichef.

Sein Weggang aus Polen 2014 war einerseits eine Beförderung und glich andererseits einer Flucht. Tusk wurde damals Vorsitzender des Europäischen Rats, des Gremiums der Regierungschefs der EU-Staaten; 2017 wurde er bestätigt. In Polen hinterließ er eine müde Koalition, die nach zwei Amtszeiten von Skandalen und inneren Machtkämpfen ausgelaugt und bei der Wahl 2015 chancenlos war.

Ebenfalls am Wochenende wählte die regierende nationalpopulistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) erneut Jaroslaw Kaczynski zu ihrem Vorsitzenden. So inszenieren die beiden Lager ihre Aufstellung für die Wahl 2023 wie ein letztes Duell der Polit-Dinosaurier, deren Machtkampf Polen seit zwei Jahrzehnten prägt.

Aufruf zum "Kampf gegen das Böse"

Hier der inzwischen 64-jährige Tusk, der das urbane, weltoffene und EU-freundliche Polen der Wendegewinner repräsentiert; zu seiner Aura zählt, dass ihm als erstem Premier Polens nach der Wende 1989 die Wiederwahl gelang. Und dort der 72 Jahre alte Überlebende der beiden Kaczynski-Zwillinge, dessen Einfluss sich auf das nationale, ländliche und ökonomisch zurückgebliebene Milieu stützt und der über die EU oft wie über eine feindliche Besatzungsmacht spricht. Sein Zwillingsbruder Lech Kaczynski, der diplomatischer auftrat, war Staatspräsident, als er 2010 im Flugzeugabsturz von Smolensk beim Landeanflug in dichtem Nebel ums Leben kam.„Wrócilem“ – „ich bin zurück“, rief Tusk unter lautem Jubel der Parteigänger im Expo-Zentrum in Warschau. Seine Rede intonierte er, als gehe es um die Rettung Polens und Europas vor finsteren Mächten. „Wenn du das Böse siehst, bekämpfe es. Frag nicht nach weiteren Gründen!“ Mit Charisma, Rhetorik und Kampfgeist riss er den Kongress mit und wurde am Ende ohne eine Gegenstimme als zunächst kommissarischer Parteichef gewählt. Das letzte Wort haben die Parteimitglieder bei der Urwahl im Herbst.

Die PiS als Verteidigerin sozialer Gerechtigkeit

Der PiS warf Tusk Korruption, Vetternwirtschaft und Missmanagement in der Corona-Pandemie vor. Mit ihrer Anbiederung an US-Präsident Donald Trump und den Konflikten mit der EU um Rechtsstaatlichkeit habe sie Polens Ansehen und internationalen Einfluss beschädigt. Sie verniedliche den Klimawandel und zeige Verachtung für Minderheiten, darunter die LGBT-Bewegung.

Der am Wochenende wiedergewählte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski hat seine Partei bisher mit taktischer Finesse an der Macht gehalten.
Der am Wochenende wiedergewählte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski hat seine Partei bisher mit taktischer Finesse an der Macht gehalten.
© Alik Keplicz/AP/dpa

Kaczynski beschrieb die Lage ebenfalls als ein episches Ringen zwischen guten und bösen Kräften, nur in umgekehrter Rollenverteilung. Zu den „historischen Leistungen“ der PiS zähle, dass sie Polen Stolz und Selbstbestimmung zurückgegeben habe und die Früchte der wirtschaftlichen Erfolge sozial gerechter verteile.

Direkt vor dem Parteitag hatte er in einer gemeinsamen Erklärung mit anderen rechten Parteiführern – der Französin Marine Le Pen, dem Ungarn Viktor Orbán, dem Italiener Matteo Salvini, dem Spanier Santiago Abascal – das Ziel ausgegeben, die EU als „Union souveräner Völker“ gegen eine drohende „Kulturrevolution“ linker Kräfte zu verteidigen. Die Allianz richtet sich gegen die Konferenz zur Zukunft Europas, die über Wege zu mehr Integration diskutiert.

In den Umfragen profilieren sich dritte Kräfte

Es ist allerdings offen, ob die Realität dem Drehbuch folgt und die Wahl 2023 zu einem letzten Duell der beiden Politdinosaurier wird. Sowohl die frühere Regierungspartei PO als auch die PiS als aktuelle Partei der Macht ist weit von ihren Glanzzeiten entfernt. Die Vereinigte Rechte hatte bei der Wahl 2019 45 Prozent erzielt. Jetzt liegt die PiS in Umfragen bei 30 Prozent. Sechs Regierungsjahre haben auch bei ihr zu Skandalen und, das gestand Kaczynski ein, zu Vetternwirtschaft geführt.

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Die PO hat ihren Rang als stärkste Oppositionskraft verloren und kommt bei den Demoskopen auf 15 bis 19 Prozent. Deutlich vor ihr liegt mit 28 Prozent die zentristische Bewegung „Polen 2050“ des populären früheren TV-Moderators Szymon Holownia. In den vergangenen Jahren sind mehrfach neue Parteien und Bewegungen mit frischen Gesichtern an der Spitze aufgestiegen. Mal galt der schwule Bürgermeister von Slupsk, Robert Biedron, mit seiner neuen Partei „Wiosna“ (Frühling) als Hoffnungsträger. Mal der Warschauer OB Rafal Trzaskowski, der in der Präsidentenwahl 2020 gegen Andrzej Duda antrat. Die wechselnden Parteichefs der PO konnten keine dauerhafte Begeisterung entfachen.

Zu Tusks Aura gehört: Er hat die PiS schon zwei Mal besiegt

Die PiS hatte in ihren Regierungsjahren nie die absolute Mehrheit der Bürger hinter sich. Die Mehrheit im Sejm verdankte sie vor allem der Zersplitterung der Opposition in Kombination mit dem polnischen Wahlsystem. Mit taktischem Geschick hat Kaczynski bisher alle Risiken für den Machterhalt der PiS neutralisiert.

Tusk wird mit offenen Armen empfangen, weil ihm zwei Mal gelungen war, woran seine Nachfolger scheiterten: ein Sieg gegen die Kaczynski-Partei, 2007 und 2011. Die Zeiten haben sich geändert, Polen ist ein anderes Land. Die Hoffnung der PiS-Gegner klammert sich an das Sprichwort: „Do trzech razy sztuka“ – aller guten Dinge sind drei.

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