Finanz- und Abhöraffäre in Polen: Schmutzige Saubermänner
Polens rechtspopulistische Regierung greift zu brachialen Methoden, um Banken und Medien unter ihre Kontrolle zu stellen. Fragen und Antworten zum Thema.
Polen, Deutschlands größter Nachbar im Osten und sein mittlerweile siebtwichtigster Handelspartner, erlebt den größten Skandal seit dem Wahlsieg der nationalpopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) 2015. Elf Monate vor der Parlamentswahl 2019 belegen heimliche Tonaufnahmen, wie die PiS Druck auf Unternehmer ausübt, um die Kontrolle über die Wirtschaft zu gewinnen, ganz voran über Banken, aber auch über Medien, die sich der Regierungspropaganda widersetzen. Am Freitag ernannte Regierungschef Mateusz Morawiecki einen Nachfolger für den in der Affäre schwer belasteten Vorsitzenden der staatlichen Finanzaufsicht, Marek Chrzanowski: den Finanzwissenschaftler Jacek Jastrebski.
Welche Methoden nutzen Regierung und Unternehmer im Kampf gegeneinander?
Beide Seiten operieren mit unfeinen Methoden: die eine mit Erpressung, die andere mit geheimen Tonaufnahmen. Das enthält eine gewisse Ironie: Eine multiple Abhöraffäre hatte der PiS 2015 zum Wahlsieg verholfen. Nun wird sie selbst durch solche Aufnahmen in die Enge getrieben. Vor Jahren hatten sich hohe Politiker der zuvor regierenden Bürgerplattform (PO) bevorzugt im Warschauer Nobelrestaurant „Sowa & Przyjaciele“ getroffen, bei Delikatessen und teuren Weinen über Geschäfte diesseits und jenseits der Legalität gesprochen und sich in Gossensprache über ihre Gegner ausgelassen. Kellner schnitten die Gespräche mit und verkauften die Aufnahmen 2014 an konservative Medien. Ein Sturm der Entrüstung über die Arroganz der Macht, die unflätige Wortwahl und das offenkundige Fehlen jeglicher Skrupel war die Folge. Die PO verlor an Ansehen und in der Folge sowohl die Präsidentschafts- als auch die Parlamentswahl 2015.
„Tasma“ (Tonband) wurde zum Inbegriff des moralischen Niedergangs, auch wenn das Abhören digital erfolgt. Die PiS machte das Versprechen einer Wende zum Guten („Dobra zmiana“) zum Kern ihres Wahlkampfs.
Im November 2018 ist das Wort „Tasma“ erneut in aller Munde. Dabei hatten die PiS und ihre willigen Helfer Vorsorge getroffen, dass ihnen keine heimliche Mitschnitte von Gesprächen zum Verhängnis werden. Marek Chrzanowski, der bisherige Chef der Finanzaufsicht (KNF), hatte Störsender eingeschaltet, die Tonaufnahmen verhindern sollen, als er Leszek Czarnecki, einen der reichsten Männer Polens, Ende März zum Gespräch in seinem Büro empfing. Damit hatte der Unternehmer gerechnet. Er hatte drei versteckte Aufnahmegeräte bei sich; zwei wurden lahmgelegt, das dritte nicht. Inzwischen sind weitere Aufnahmen aus dem Februar aufgetaucht. Die Abhöraffäre wird zur Fortsetzungsgeschichte.
Wie setzt die PiS Banken unter Druck?
In dem Gespräch Ende März ging es um zwei Banken, die Czarnecki gehören und in Schieflage geraten sind: die Getin Noble Bank und die Idea Bank. Kredite, die sie in Schweizer Franken ausgegeben hatten, aber bei verändertem Wechselkurs teurer bedient werden mussten, was manche Kreditnehmer überforderte, wurden zu einem Problem: in Polen wie auch anderswo in Ostmitteleuropa. Daneben hatten die Banken in faule Finanzpapiere investiert. Verschärfte Sicherheitsauflagen und höhere Steuern trugen ebenfalls bei.
Chrzanowski unterbreitete einen Vorschlag der PiS-Regierung, den, wie er sagte, Zdzislaw Sokal ausgearbeitet habe. Als Chef des Einlagensicherungsfonds gehört der ebenfalls zur Finanzaufsicht; zudem ist er ein Vertrauter des Staatspräsidenten Andrzej Duda. Die Getin Noble Bank solle Zahlungsunfähigkeit erklären. Dann werde eine andere Bank sie für einen symbolischen Zloty übernehmen. Die Regierung werde frisches Kapital zuschießen. Und so Einfluss gewinnen.
Das sei „rechtswidrig“ wandte Czarnecki ein. Ja, bestätigte Finanzaufseher Chrzanowski, „aber wir sprechen hier diskret unter uns“. Es gebe da Leute über ihm, die andere Vorstellungen hätten, was gehe und was nicht. Der Finanzaufseher machte einen weiteren Vorschlag: Unternehmer Czarnecki können einen Anwalt für sich arbeiten lassen, den die Regierung vorschlage und der Einsicht in die Papiere bekomme. Das sei von beiderseitigem Nutzen. Der Anwalt werde die Bank bei ihrer Restrukturierung unterstützen. Angeblich gab es auch einen Vorschlag, wie dieser Anwalt entlohnt werden solle. Der wurde nicht ausgesprochen, sondern auf ein Papier geschrieben: „1%“. Gemeint waren laut Czarnecki ungefähr zehn Millionen Euro, ein Prozent des Werts der Bank.
Czarnecki ging auf die Vorschläge nicht ein. Er führte weder eine fingierte Pleite der Bank herbei, noch beauftragte er den Anwalt.
Die Angaben über die weiteren Ereignisse gehen auseinander. Czarnecki sagt, er sei mit Finanzaufseher Chrzanowski anschließend zum Chef der Nationalbank gegangen, Adam Glapinski. Der ist ein Förderer Chrzanowskis und Freund des PiS-Parteichefs Jaroslaw Kaczynski. Kaczynski hat kein Staatsamt inne, ist aber der eigentliche Machtfaktor in Polen. Alle angeblich eingeweihten Figuren – Sokal, Glapinski, Kaczynski – bestreiten aber, von dem Komplott gewusst zu haben.
Wie nutzt die PiS EU-Vorgaben?
Erste Tonaufnahmen wurden publik, als die Regierungspartei PiS ihren Druck auf Czarnecki weiter erhöhte. Am 9. November stimmte sie für ein Gesetz, das es der Finanzaufsicht erlaubt, eine Bank in Schieflage zu verstaatlichen. Oder deren Konten und Depots an eine andere Bank zu übertragen. Sie berief sich auf Vorgaben der EU. Sie sollen Verbraucher vor den Folgen schützen, wenn eine Bank die Bedingungen für finanzielle Stabilität nicht erfüllt.
Nun erstattetet Czarnecki Anzeige gegen Finanzaufseher Chrzanowski wegen Verdachts auf Anstiftung zur Korruption und fügte eine Kopie der Tonaufnahmen bei. Eine weitere Kopie kam zur Zeitung „Gazeta Wyborcza“, die sich zur kämpferischsten Stimme der Opposition gegen die PiS entwickelt hat. Sie veröffentlichte am 13. November ein Dossier. Chrzanowski trat zurück.
Nachdem die Affäre publik war, meldeten sich weitere Unternehmer. Auch auf sie sei Druck ausgeübt worden. Zygmunt Solorz-Zak, Besitzer des privaten Fernsehsenders Polsat, berichtete, auch ihm habe Finanzaufseher Chrzanowski empfohlen, den besagten Anwalt zu nutzen. Solorz- Zak gab ihm tatsächlich ein Mandat, nicht für den Sender, aber für die Plus Bank in seinem Besitz. Beobachter der Medien wollen wahrgenommen haben, dass Polsat freundlicher als früher über die Regierung berichte.
Schadet der Skandal der PiS?
Das ist noch unklar, die Ergebnisse sind widersprüchlich. Das traditionelle Forschungsinstitut CBOS gab der PiS in einer Umfrage aus der Woche 8. bis 15. November – der Skandal wurde an deren Ende publik – 42 Prozent, der PO 21 Prozent, der Bauernpartei PSL sieben Prozent, der populistischen Kukiz15 sechs Prozent und der Vereinigte Linken SLD fünf Prozent. Milward Brown hingegen sieht die PiS in einer am 20. November veröffentlichten Umfrage im Auftrag des regierungskritischen Senders TVN bei 33 Prozent, fünf Prozentpunkte tiefer als im September. Die PO kommt hier auf 26 Prozent, die SLD und Kukiz15 auf je sieben Prozent; die PSL bleibt draußen. Die PiS hat sich als Vertreterin der kleinen Leute und der Landbevölkerung gegen die großstädtischen Eliten positioniert. Sie muss nicht fürchten, dass ihre Klientel plötzlich mit Bankbesitzern und reichen Unternehmern sympathisiert. Aber ihre Glaubwürdigkeit als „saubere“ Partei gegenüber der „korrupten“ PO leidet, wenn sie nun selbst Skandale produziert und mit Vetternwirtschaft verbunden wird.
Das polnische Wochenmagazin „Newsweek“ schreibt, Parteichef Kaczynski wolle sich eine Klasse ihm ergebener Oligarchen heranziehen und so Kontrolle über Banken, Medien und andere Unternehmen gewinnen – wie Viktor Orban das in Ungarn vorgemacht habe. Die Loyalisten kennen sich untereinander, kooperieren in Seilschaften und schanzen sich ebenso einflussreiche wie einträgliche Posten zu.
Die „Gazeta Wyborcza“ berichtet, Nationalbankchef Glapinski habe Kacpar Kaminski, dem Sohn des Geheimdienstkoordinators Mariusz Kaminski, einen hohen Posten bei der Weltbank beschafft, obwohl die professionelle Eignung fehle. Die Wochenzeitung „Polityka“ zitiert einen Unternehmer, der plötzlich keine Kredite mehr bekomme und dem ein Politiker die Erklärung gab, seine Firma sei „für den Konkurs bestimmt“. Ein anderer Unternehmer sagte der „Polityka“, wenn man ihm vorschlage, sich bestimmter Anwälte zu bedienen, dann tue er das. Denn es stehe in der Macht der Regierung, ihn zugrunde zu richten.
Einer hat gewiss den Schaden: Czarneckis Bank hat 20 Prozent ihres Börsenwerts verloren.