Rechter Terror seit drei Jahren: Die Wut der Menschen in Neukölln wächst
Brandanschläge und Hakenkreuze: Seit drei Jahren terrorisieren rechte Gewalttäter Neukölln, das Vertrauen in die Polizei schwindet.
Um kurz nach drei zieht die Demonstration die Wildenbruchstraße entlang. Vorbei an den Schaufenstern, an denen vor zwei Wochen morgens die Hakenkreuze und die SS-Runen prangten. Der Betreiber des Burgerladens hatte sie entdeckt, er nahm einen Eimer Wasser mit Spülmittel und versuchte, die rote Farbe abzuwischen. Sehr gern wäre er an diesem Sonnabend selbst im Demonstrationszug mitgelaufen. Doch sein Mitarbeiter wurde krank, deshalb steht er jetzt selbst hinterm Tresen und blickt durch die Scheiben auf die Menschenmenge, die sich da versammelt hat.
Die Schmierereien waren der jüngste Vorfall in einer inzwischen drei Jahre andauernden Reihe von rechten Attacken in Berlin-Neukölln. Autos wurden angezündet, Scheiben eingeschlagen, Wände mit Morddrohungen beschmiert. Meistens richteten sich die Angriffe gegen Einrichtungen oder Personen, die sich im Bezirk offen gegen Rechtsextreme engagieren. Mehrfach wurden Menschenleben gefährdet, der Staatsschutz vermutet die Täter in der Neonaziszene. Drei Ermittlungsgruppen wurden eingerichtet, beim Landeskriminalamt und beim zuständigen Abschnitt. Dennoch hat die Polizei bis heute keinen Täter ermittelt.
Der Demonstrationszug hat sich am frühen Nachmittag am Hermannplatz in Bewegung gesetzt. Rund 1000 Menschen sind gekommen, viele Linke, Grüne und Sozialdemokraten, die „Omas gegen Rechts“, Antifa-Gruppen, der Evangelische Kirchenkreis Neukölln. Auf der Bühne des Lautsprecherwagens steht Ferat Kocak, 39, eines der Anschlagsopfer.
Im Februar 2018 hatten Unbekannte nachts das Auto des Linken-Politikers angezündet. Die Flammen sprangen auf die Garage über und fast auch auf die Gasleitung und das Wohnhaus nebenan, in dem Kocak und seine Eltern schliefen. Später kam heraus, dass zwei polizeibekannte Rechtsextreme aus dem Bezirk gezielt Kocaks Wohnort ausspioniert hatten – und dass die Polizei davon wusste. Trotzdem warnten sie Kocak nicht.
Das Versagen der Ermittler ist im November im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses behandelt worden. Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärte, im Fall von Ferat Kocak hätten die Beamten die vorliegenden Informationen nicht „zeitgerecht zusammengeführt“, so habe es eine „lückenhafte Bewertung“ gegeben. Konkret habe ein Ermittler im September 2017 ein Telefonat der verdächtigten Rechtsextremen abgehört, bei dem über Kocak gesprochen wurde. Allerdings habe der Beamte den Namen in falscher Schreibweise notiert, nämlich „Kotschak“ statt Kocak. Dies habe zu Folgefehlern geführt.
Ferat Kocak sagt: „Es ist gut, dass nun endlich Fehler zugegeben werden.“ Die Erklärungen überzeugten ihn allerdings nicht, im Gegenteil: „Je mehr solcher kurioser Aussagen es gibt, desto weniger Vertrauen habe ich in die Polizei.“ Sollte der betreffende Beamte tatsächlich einen falschen Namen notiert haben, so stelle sich die Frage: „Wie wenig Interesse hatte er denn, der Sache nachzugehen? Wäre das mit dem deutschen Namen Meier, Mayer, Maier oder Meyer ebenso leichtfertig passiert?“
Auch die Behauptung, das Computersystem der Polizei sei zu einem phonetischen Abgleich von Namen bislang nicht in der Lage, eine Suche nach gleich ausgesprochenen Lauten in verschiedenen Schreibweisen also unmöglich, ist fragwürdig. Mittlerweile ist klar, dass die von der Berliner Polizei genutzten Datenbanken theoretisch sehr wohl einen phonetischen Abgleich ermöglichen.
NPD-Kader machen Fotos aus der Ferne
Ferat Kocak fordert einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der klären soll, weshalb Opfer wie er nicht geschützt wurden – und weshalb auch nach drei Jahren kein Täter festgenommen werden konnte. Bei den zwei Rechten, die ihn ausspionierten, handelt es sich um den langjährigen Neuköllner NPD-Vorsitzenden Sebastian T. sowie Tilo P., der bis Februar dieses Jahres im Bezirksvorstand der AfD saß.
Auch an diesem Samstag, als die Demonstranten sich am Hermannplatz treffen, werden zwei Berliner NPD-Kader gesichtet, die aus der Ferne Fotos machen. Später wird die Polizei einen Mann festnehmen, der den Hitlergruß zeigt und versucht, ein Transparent des Demonstrationszugs zu beschädigen.
Der Burgerladenbetreiber aus der Wildenbruchstraße, an dessen Scheiben die Täter ihre Hakenkreuze schmierten, ist der Onkel von Ferat Kocak. Es ist möglich, dass der neue Anschlag auch Kocak galt. Der hält das für möglich, aber unwahrscheinlich. „Vermutlich galt es einfach der migrantischen Gemeinschaft.“ Die Demo zieht auch an anderen Lokalen vorbei, die in den vergangenen Monaten mit rechten Parolen beschmiert wurden. Die Mitarbeiter des „Damaskus“ bringen Teller mit Pistazienröllchen auf die Straße. Ein Dankeschön an die Demonstranten.
In der Menge läuft auch Karin Wüst mit. Die 60-jährige Neuköllnerin ist wütend. Auf Polizeipräsidentin Slowik, Innensenator Geisel und die ermittelnden Behörden. Seit dem 2. Mai stehen Wüst und einige Mitstreiter jeden Donnerstag von 8 bis 10 Uhr vor dem Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm. Was sie seitdem erlebt hat, erschüttert ihren Glauben an die Demokratie, sagt Wüst.
Die Gruppe nennt sich „Basta“ und besteht aus Betroffenen der rechten Anschläge im Neuköllner Ortsteil Britz sowie Unterstützern wie Wüst. „Wir sind eine bunte Gruppe, fast alle um die 60, von der Pfarrerin bis zur Sozialpädagogin“, sagt Wüst. Was sie eine, sei die Enttäuschung über die nicht aufgeklärten Fälle. Deshalb halten sie den vorbeieilenden Mitarbeitern vor dem Landeskriminalamt Schilder in die Gesichter. Darauf stehen Sprüche wie „LKA, aufwachen! Rechtes Auge öffnen“.
Polizist findet Hitlergruß tue "niemandem weh"
Die Mitglieder von „Basta“ schreiben auch Briefe an Senat und Polizei, fragen nach Fehlern bei den Ermittlungen und den Gründen für die fehlenden Ergebnisse. „Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Fall, in dem so viel bekannt ist und es dennoch kein einziges Ermittlungsergebnis gibt“, sagt Karin Wüst.
Es sei einfach nicht nachvollziehbar, warum sich derart viele Pannen häufen würden, außer – das ist die einzige Erklärung, die den Betroffenen noch einfällt – es gibt Verbindungen zwischen LKA-Beamten und Rechtsextremisten. Wüst glaubt, Hinweise auf rechte Strukturen innerhalb der Behörden gefunden zu haben.
Da war der Polizist, der am 20. Juni – in Uniform mit Dienstnummer – auf ihre Kundgebung am Landeskriminalamt zukam. Den rechten Arm zum Hitlergruß heben, tue ja schließlich niemandem weh, soll er gesagt haben. Außerdem gehe die Kriminalität fast ausschließlich von Flüchtlingen aus.
Ein strukturelles Problem?
„Dass ein uniformierter Mensch, der eindeutig identifizierbar ist, sich traut, öffentlich vor Zeugen den Hitlergruß zu rechtfertigen, ist für mich schon ein deutliches Indiz“, sagt Wüst. Der RBB berichtete über den Vorfall, Polizeipräsidentin Slowik habe den Fall an die Staatsanwaltschaft weitergereicht, der Sachverhalt solle schnellstmöglich geklärt werden.
Wüst glaubt aber, die Polizeiführung sei nicht bereit, rechte Verbindungen innerhalb der Behörden als strukturelles Problem anzuerkennen. „Und Fälle wie jener in Cottbus bestärken mich in dem Glauben, dass das offenbar ein bundesweites Problem der Polizei ist.“ Vor den Blockadeaktionen des Klimaschutz-Bündnisses „Ende Gelände“ am 30. November in der Lausitz hatten neun Polizisten einer Cottbusser Hundertschaft vor einem rechtsextremen Graffiti posiert. Laut aktuellem Ermittlungsstand sollen sie selbst die Initialen der rechtsextremistischen Kampagne „Defend Cottbus“ auf der Wand hinterlassen haben.
Fälle in Brandenburg, Meckenburg-Vorpommern, Hessen
Ebenfalls in Brandenburg war ein Dozent der Hochschule für Polizei bis vor kurzem Regionalchef des umstrittenen Vereins Uniter, dem Verbindungen ins rechtsextreme Milieu nachgesagt werden. In Hessen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es ähnliche Verdachtsfälle.
Auch im Zusammenhang mit der rechten Anschlagserie in Neukölln gab es Hinweise, ein LKA-Beamter aus dem Observationsteam verkehre privat mit einem der Hauptverdächtigen. Das Verfahren gegen den Polizisten wurde eingestellt, eine „Verwechslung sei nicht ausgeschlossen“, erklärte die Innenverwaltung.
Ferat Kocak, der Linken-Politiker, der nicht von der Polizei gewarnt wurde, verteilt auf dem Demonstrationszug kleine weiße Zettel unter den Teilnehmern. Darauf ist ein Liedtext: „Bella ciao“, die antifaschistische Partisanenhymne aus dem Zweiten Weltkrieg, die seit Wochen von Zehntausenden auf den Großdemonstrationen in Italien gegen Rechtspopulismus gesungen wird. Später stimmt auch der Neuköllner Protestzug das Lied an.
"Ein solcher Zusammenhang ist willkürlich konstruiert"
Danach zieht die Menge weiter bis vor das Neuköllner Rathaus in der Karl-Marx-Straße. Dort spricht auch Martin Hikel, der Bezirksbürgermeister der SPD. Und es wird deutlich, dass sich die Menge keineswegs einig ist. Etwa in der Frage, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen den rechten Anschlägen und dem Kampf des Bezirksamtes gegen Clankriminalität – ja ob das Amt am Ende gar mitveranwortlich für die Gewalt ist, weil es arabischstämmige Menschen als kriminell stigmatisiert und so ein Klima schafft, das Nazis zu ihren Angriffen ermutigt. So hat es nach den jüngsten Attacken Ferat Kocak formuliert und dafür teilweise heftigen Widerspruch bekommen, auch von Hikels Sprecher: „Ein solcher Zusammenhang ist willkürlich konstruiert und schadet eher dem Engagement gegen den rechten Terror in Neukölln.“
Fakt ist aber, dass das angegriffene Haus in der Wildenbruchstraße wie auch schon ein weiteres beschmiertes Haus zuvor prominent in einer Fernsehreportage über Clankriminalität gezeigt wurden – als Beispiele für Immobilien im Besitz arabischer Großfamilien. Das Gebäude, in dem sich der Burgerladen befindet, wird den Remmos zugeordnet, der berüchtigten deutsch-arabischen Großfamilie, deren Angehörige unter anderem wegen Erpressung, Körperverletzung, Raub, Diebstahl und Hehlerei verurteilt wurden. Zwei Mitgliedern der Familie wird gerade vor dem Landgericht Berlin der Prozess gemacht – wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum.
„Natürlich finde ich es richtig, dass die Polizei gegen Kriminelle vorgeht“, sagt Ferat Kocak. „Aber sie sollte es nicht als PR-Kampagne betreiben.“ Die regelmäßigen Großeinsätze von Polizei und Gewerbeamt seien bewusst öffentlichkeitswirksam inszeniert und ermöglichten so „reißerische Berichterstattung“, durch die Migranten unter Generalverdacht gestellt würden. Als der Bezirksbürgermeister spricht, bekommt er Applaus, aber auch Buhrufe. Martin Hikel sagt: „Auch wenn wir nicht bei allem einer Meinung sind, müssen wir zusammen halten, sonst haben die Rechten gewonnen.“
Und Karin Wüst vom Bündnis „Basta“ sagt, dass sie alle weitermachen werden: „Ich persönlich habe aktuell keine Lösung, außer jeden Donnerstag vor dem LKA zu stehen, den Mitarbeitern den Spiegel vorzuhalten“, sagt Wüst. „Und ihnen zu sagen: Wir wollen endlich Antworten auf unsere Fragen.“
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Textes stand, ein uniformierter Polizist habe einen Hitlergruß vor den Teilnehmern der "Basta"-Demonstration gezeigt. Dabei handelte es sich um ein Missverständnis, der Polizist soll sich lediglich entsprechend geäußert haben. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.
Madlen Haarbach, Sebastian Leber