Wieder Hakenkreuz-Schmierereien in Neukölln: War Familie von Linken-Politiker oder Clan Ziel von Rechtsextremen?
Unbekannte haben in Neukölln Nazi-Symbole an Wände gesprüht. Ziel waren möglicherweise die Familie eines Linken-Politiker oder eine arabische Großfamilie.
In der Nacht zu Dienstag wurden an die Fassade eines Burgerladens und eines Spätis in der Wildenbruchstraße in Neukölln Hakenkreuze und SS-Runen mit roter Farbe gesprüht. Betroffen war auch der Hauseingang eines Wohnhauses.
Laut Angaben des Linken-Politikers Ferat Kocak, der Anfang 2018 Opfer eines Brandanschlages auf sein Auto wurde, galten die Angriffe womöglich seiner Familie. Bei den beschmierten Geschäften handelt es sich demnach um Lokale seiner Tante und seiner Cousins sowie deren Wohnhaus. Unklar ist, ob es sich dabei um einen Zufall handelt.
„Wussten Neonazis, dass es sich bei den Inhabern um meine Familie handelt?“, fragt sich Kocak. Das würde darauf hindeuten, dass er bereits vor dem Anschlag auf ihn intensiv beobachtet wurde. Danach habe er die Lokale kaum mehr aufgesucht, sagte Kocak dem Tagesspiegel.
Unabhängig davon handele es sich um einen schweren Angriff auf die migrantische Community. „Das Markieren von Häusern hat mittlerweile eine Systematik, die erschreckend ist“, sagte Kocak. Dass es immer wieder zu entsprechenden Angriffen komme, liegt aus Kocaks Sicht an der bislang nicht aufgeklärten rechten Anschlagserie in Neukölln. „Die fehlenden Ermittlungserfolge geben den Nazis das Gefühl, nicht bestraft zu werden“, sagte Kocak.
Er sieht gleichzeitig auch einen Zusammenhang zum Kampf des Bezirksamtes gegen Clankriminalität, etwa im Rahmen von Großeinsätzen von Polizei und Gewerbeamt. Dadurch werde die migrantische Gemeinschaft stigmatisiert, sagte Kocak – und womöglich könne dies zu Angriffen ermutigen.
Diesen Vorwurf weist Christian Berg, Sprecher des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD), entschieden zurück. „Ein solcher Zusammenhang ist willkürlich konstruiert und schadet eher dem Engagement gegen den rechten Terror in Neukölln“, sagte Berg.
Hikel selbst zeigte sich in einem Statement entsetzt. „ Solche Angriffe richten sich gegen uns alle in Neukölln. Meine Solidarität gilt deshalb den Betroffenen genauso wie allen Menschen im Bezirk, die sich gemeinsam für ein friedliches, vielfältiges und demokratisches Neukölln einsetzen“, sagte Hikel.
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Gleichzeitig forderte er, dass der ermittelnde Staatsschutz „alles in seiner Macht stehende tut, um die Täter zu überführen.“ Wie die Polizei auf Anfrage bestätigt, läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole.
Sollte der Anschlag einer kriminellen Clanfamilie gelten?
Die rote Sprühfarbe, die bei den Anschlägen zum Einsatz kam, ähnelt jener, mit der im Frühjahr rechtsextremistische Morddrohungen an die Wohnhäuser von Engagierten, darunter auch einem Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), gesprüht wurden.
Matthias Müller von der MBR ist allerdings skeptisch, ob es wirklich einen Zusammenhang zu der rechtsextremen Anschlagserie gibt. Dagegen spreche, dass im Gegensatz zu früheren Angriffen keine Klarnamen und Beleidigungen gesprüht wurden. Außerdem handele es sich bei den Betroffenen nicht um klassische Opfer der Anschlagserie, da sie nicht der linken Szene zugeordnet werden können.
Müller hat allerdings noch eine weitere These: Das betroffene Haus, die Wildenbruchstraße 5, soll einer bekannten arabischen Großfamilie gehören. Erst vor wenigen Wochen soll es einen ähnlichen Anschlag auf ein weiteres Haus, das der Familie zugeordnet wird, gegeben haben. Beide Häuser standen zuletzt im Fokus der Medienberichterstattung über sogenannte kriminelle Clans in Neukölln. Womöglich handele es sich also auch um einen Angriff auf die Familie. Seit Mai 2016 verzeichnete die MBR mindestens rechte 55 Angriffe in Neukölln.