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Annalena Schmidt beim Bürgerforum am 8. Februar 2019 in der Maria-und-Martha-Kirche.
© Imago/xcitepress
Update

Bautzen in Sachsen: Die Mutbürgerin im Kampf gegen Rechtsradikale

Sie wird als "Antifa-Schlampe" beschimpft: Annalena Schmidt engagiert sich dennoch in Bautzen, will in den Stadtrat. Eine von Neonazis geplante Demo fällt aus.

Was ist los in Bautzen? Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stellte diese Frage, als er vor ein paar Tagen bei Annalena Schmidt anrief. Einer jungen Hessin, die seit drei Jahren in Bautzen lebt, sich in der Stadt gegen rechte Umtriebe engagiert. Und die jetzt mit ihrer Kandidatur für den Stadtrat auf Ticket der Grünen heftige Diskussionen ausgelöst hat in der ostsächsischen Stadt. Gewählt wird im Mai. Dass die Stimmung in Bautzen aufgeheizt ist, hat sich bis in die Dresdner Staatskanzlei herumgesprochen.

Rechte mobilisierten für den 8. März sogar zu einer Demonstration gegen Schmidt, Motto "Annalena im Stadtrat verhindern. Gegen hessische Verhältnisse in Bautzen" - bis die am Donnerstagnachmittag überraschend abgesagt wurde. Die Anmeldung sei zurückgezogen worden, teilte das Landratsamt Bautzen im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Eine Begründung wurde von der Behörde nicht genannt.

Unter anderem als Redner angekündigt waren der frühere sachsen-anhaltische AfD-Chef André Poggenburg, heute Anführer der Abspaltung "Aufbruch deutscher Patrioten" (AdP), sowie Vertreter des rechtsextremen Pegida-Ablegers Thügida. Sogar die "Ausbürgerung" von Annalena Schmidt war in einem - inzwischen gelöschten - Facebook-Posting gefordert worden. Nach Informationen der "Sächsischen Zeitung" begründete der Anmelder der Demonstration, ein stadtbekannter Neonazi, den Rückzug damit, dass er "eine Eskalation vermeiden" wolle.

Fragt man Annalena Schmidt, was sie vom Anruf Kretschmers hält, sagt sie: "Er hat vor allem zugehört. Ich hoffe, dass er etwas mitgenommen hat." Ganz sicher ist sie sich nicht, denn der CDU-Landesvorsitzende kündigte in dem Telefonat an, im Sommer eine seiner Dialogveranstaltungen in Bautzen stattfinden zu lassen. "Veranstaltungen dieser Art sind nicht unbedingt zielführend, das hat man gesehen", sagt Schmidt.

Denn mit einer Dialogveranstaltung unter dem Titel "Zurück zur Sachlichkeit", organisiert von der Stadt Bautzen und der Landeszentrale für politische Bildung, hat sie erst vor drei Wochen schlechte Erfahrungen gemacht. Sie saß selbst auf dem Podium in der mit mehr als 800 Besuchern vollbesetzten Maria-und-Martha-Kirche in Bautzen - als Kontrahent der Bautzener Unternehmer Jörg Drews, Chef des Traditionsunternehmens Hentschke Bau.

Die Stimmung in der Kirche war recht eindeutig gegen Schmidt. Als sie aus dem Grundgesetz zitierte "Eine Zensur findet nicht statt", gab es lautes Gelächter und Buhrufe. "Gehen Sie wieder!", rief man ihr zu - ein Spruch, den sie in der Stadt auch später noch hören sollte. Annalena Schmidt sagt rückblickend, Rechtsextreme hätten sich durch diese Podiumsdiskussion "angestachelt gefühlt, noch härter gegen mich zu schießen".

Bauunternehmer spendete 19.500 Euro an die AfD

Drews ist bestens verankert im rechtspopulistischen Milieu. Im Bundestagswahljahr 2017 spendete die Firma Hentschke der AfD 19.500 Euro – sie war damit eine der beiden Großspender in Sachsen. Drews unterstützt Publikationen, die unter anderem verbreiten, es gebe keine Demokratie und Medien seien nur Propagandainstrumente. Diese Woche veröffentlichte die "Sächsische Zeitung" einen offenen Brief der Hentschke-Enkel, in dem sie Firmenchef Drews vorwerfen, er sei "zur Leitfigur einer Bewegung geworden, die die Bevölkerung polarisiert".

Heftige Konflikte sind für Annalena Schmidt nicht neu, seit sie 2016 aus Gießen in die 40.000-Einwohner-Stadt Bautzen kam. Sie wollte in einer Minderheitenregion zu Minderheiten forschen, sprach bereits Polnisch und lernte nun Sorbisch, bekam eine Stelle am Sorbischen Institut, befristet bis Juni 2019. Sie begann, sich für die Flüchtlinge einzusetzen, die wie sie neu in die Stadt gekommen waren. Und erlebte unmittelbar mit, wie 2016 Geflüchtete von Rechten auf dem Kornmarkt im Zentrum der Stadt bedrängt wurden.

Annalena Schmidt begann, mit steigender Reichweite über die Zustände in der Stadt zu twittern. Und wurde immer wieder selbst attackiert und beschimpft – zum Beispiel als "Antifa-Schlampe", wie sie 2018 dem Magazin "Chrismon" schilderte.

Schmidt hat ein eigenes Blog. Sie nennt sich dort "Wahlsächsin".

Einmal schrieb sie dort, mit Bautzen verbinde sie "mittlerweile eine absolute Hassliebe". 2018 zeichnete das vom Bundesinnen- und vom Bundesjustizministerium gegründete Bündnis für Demokratie und Toleranz Schmidt neben weiteren Preisträgerinnen und Preisträgern als "Demokratie-Botschafterin" aus, vorgeschlagen damals von der Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay. An Anerkennung ihres Engagements von außen mangelt es nicht.

Neonazis, Rechtspopulisten, Reichsbürger

Bei ihrer Analyse der Zustände in Bautzen unterscheidet Annalena Schmidt zwischen den seit Jahren aktiven Neonazis und einem rechtspopulistisch-verschwörungsideologischen Netzwerk. Zu letzterem gehört als Förderer nach ihrer Darstellung auch Bauunternehmer Drews. Auch Reichsbürger wirken mit. Schmidt meint, verglichen mit den Rechtsextremisten sei diese Gruppe von Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretikern die "deutlich größere Gefahr für die Stadtgesellschaft".

Als Problem sieht die 32-Jährige an, dass es in Bautzen wenig Zurückhaltung beim "Reden mit Rechten" gibt. Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) traf 2016 Neonazis, nachdem er von diesen ultimativ dazu aufgefordert worden war. Später begaben sich Landrat Michael Harig und sein Stellvertreter Udo Witschas (beide CDU) in den Dialog mit Rechtsextremisten. "Vertraulicher Plausch mit Rechtsextremisten, das haben irgendwie fast alle hier gemacht, von der SPD bis zur CDU. Sie behaupten dann, sie wollten deeskalieren. Meines Erachtens aber werten sie die Rechten auf und bieten ihnen eine Bühne."

September 2016: Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD, links) im Gespräch mit "besorgten Bürgern" auf dem Kornmarkt.
September 2016: Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD, links) im Gespräch mit "besorgten Bürgern" auf dem Kornmarkt.
© Christian Mang/Imago

Am Mittwochabend hatte Oberbürgermeister Ahrens eine Erklärung verschickt, in der er den gegen die Stadtrats-Kandidatur von Annalena Schmidt damals noch geplanten Aufmarsch als "erbärmlich" und "völlig inakzeptabel" bezeichnete. Es sei "geradezu grotesk", wenn "sogenannte 'Republikaner' und ihre Mitläufer" anderen Mitbürgern das Recht zur Teilnahme an Wahlen absprechen wollten. Ahrens hatte die Bautzener dazu aufgerufen, sich an der "menschenfeindlichen Demonstration" der Rechten am 8. März nicht zu beteiligen.

Annalena Schmidt ist froh, dass sich der Oberbürgermeister "in der Sache klar positioniert hat". Verstanden fühlt sie sich von ihm trotzdem nicht. "Ihm geht es doch nur um das Ansehen der Stadt. Er hängt nur sein Fähnchen in den Wind, lässt sich von Stimmungen treiben." Ahrens sei nur ein Repräsentant der Stadtgesellschaft, die lange geschwiegen habe, weil ihr das Image Bautzens wichtiger sei als die Auseinandersetzung mit politischen Problemen.

Am Donnerstagabend zeigte Schmidt sich erleichtert, dass die Demonstration der Rechtsextremen "erstmal vom Tisch" sei. Sie fürchtet jedoch, dass weitere Kampagnen gegen sie folgen werden.

"Zur richtigen Zeit am richtigen Ort"

Aufgeben will Annalena Schmidt nicht, vorerst jedenfalls nicht. "Für mich ist es im Moment keine Option, Bautzen zu verlassen. Ich trete für den Stadtrat an. Ich habe Lust, Kommunalpolitik mitzugestalten. Und schaue, was daraus wird." Natürlich werde sie nicht ihr ganzes Leben in Bautzen und in Sachsen verbringen, sagt sie.

"Ich habe nur ein Leben. Möchte ich dieses Leben jetzt damit verbringen, mich in Ostsachsen gegen Rechtsextreme zu stellen?" Aber ein paar Jahr sollen es schon noch sein – wenn alles gut geht mit der Jobsuche. "Ich bin durch Zufall hierhergekommen. Aber gerade fühle ich mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort."

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