Kritik an Michael Kretschmer: Sachsens Ministerpräsident verteidigt "Bürgerdialog" mit Neonazi
Als "gelebte Demokratie" preist Sachsen seinen Bürgerdialog. Ministerpräsident Kretschmer sucht das Gespräch auch mit einem Rechtsextremisten aus Bautzen.
Sachsens neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hält es für richtig, dass zu einer Bürger-Gesprächsrunde seiner Landesregierung auch ein bekannter Neonazi aus Bautzen eingeladen worden ist. Kretschmer nannte den ehemaligen Bautzener NPD-Kreischef Marco Wruck auf Facebook einen "vermeintlich 'Rechten'". Es gehe um einen "breit angelegten Bürgerdialog", den bereits sein Vorgänger Stanislaw Tillich angestoßen habe, argumentierte Kretschmer, der seit Dezember 2017 Regierungschef von Sachsen ist.
Gezielt seien Sächsinnen und Sachsen eingeladen worden, die Teilnehmer hätten "intensiv und auch kontrovers diskutiert", schrieb Kretschmer. Vieles sei "in unseren Zukunftsplan für Sachsen aufgenommen" worden. Dass der Bautzener Neonazi Wruck nun dabei sein dürfe, halte er für richtig: "Ich habe alle Bürger eingeladen, die sich an den Veranstaltungen beteiligt haben, ganz unabhängig von der Herkunft, politischem Hintergrund oder Qualifikation."
Kretschmer fügte hinzu: "Denn ich vertraue auf meine Argumente und darauf, dass ich sie in einer Diskussion auch vermitteln kann." Wruck selbst erklärt allerdings, er sei nie bei Tillich zum öffentlichen Dialog gewesen.
Wruck ist in Bautzen und weit darüber hinaus kein Unbekannter. Anfang August vergangenen Jahres hatte der stellvertretende Landrat von Bautzen, Udo Witschas, den damaligen NPD-Kreisvorsitzenden zum Gespräch empfangen. Drei Stunden lang erörterte der CDU-Politiker im Landratsamt mit dem Neonazi Strategien zum Umgang mit Flüchtlingen. Später wurden Chatprotokolle bekannt, die belegen, dass Witschas in überaus freundlichem Ton mit dem NPD-Funktionär über die Lage in Bautzen diskutierte, telefonierte und Interna weitergab.
Der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens (SPD) hatte das gerügt. Im September 2017 aber scheiterten SPD, Linke und Grüne im Kreistag mit ihrem Antrag zur Abwahl des Ersten Beigeordneten Witschas, die CDU stärkte ihrem Parteifreund damals den Rücken.
Wruck hatte die an ihn ergangene Einladung aus der Staatskanzlei zum "Bürgerdialog" unter dem Motto "Miteinander in Sachsen - für eine starke Zukunft" am 5. Mai in Dresden auf Facebook veröffentlicht. Er schrieb dazu: "Natürlich nehme ich die Einladung an, werde mich auch weiterhin engagieren und vor allem kritische Themen wie Asyl und Armut ansprechen."
Staatskanzlei heißt den Ex-NPD-Funktionär "ganz herzlich" willkommen
In der Einladung aus der Staatskanzlei heißt es, Wruck sei "ganz herzlich" willkommen: "Miteinander zu reden und sich auszutauschen ist wichtig für eine lebendige Demokratie und die Zivilgesellschaft." Ministerpräsident Kretschmer sei es "ein wichtiges Anliegen, mit Ihnen persönlich ins Gespräch zu kommen und die Ergebnisse des Dialogprojekts zu erörtern".
Die Bloggerin Annalena Schmidt, die sich seit ihrem Umzug 2016 nach Bautzen dort gegen Rechtsextremismus engagiert, zeigte sich schockiert. Sie twitterte: "Ist das Ihr Ernst, @MPKretschmer? Sie laden einen Neonazi zu einem Bürgerforum über die Zukunft Sachsens ein? Haben Sie sich über den Mann informiert? #nonazis #Bautzen."
Schmidt ist potenzielle Anwärterin auf den Titel der "Botschafterin für Demokratie und Toleranz" - die örtliche Linken-Bundestagsabgeordnete Caren Lay hat sie für diese Auszeichnung aus dem gleichnamigen Bundesprogramm vorgeschlagen.
Kritik der SPD
Auch der sächsischen SPD ist die Einladung an der Staatskanzlei an einen Neonazi völlig unverständlich. "Es ist mir ein Rätsel, weshalb Marco Wruck eine persönliche Einladung zu den Bürgerdialogen des Ministerpräsidenten erhalten hat", sagte dazu Daniela Kolbe, Generalsekretärin der sächsischen SPD. "Marco Wruck ist kein ‚vermeintlich Rechter‘, wie ihn Michael Kretschmer bezeichnet, er ist ehemaliger NPD-Kreischef von Bautzen und bekennender Nazi", wird Kolbe vom "Vorwärts" zitiert. Kretschmer solle sich im Klaren darüber sein, dass Rechtsextremisten Veranstaltungen wie das "Bürgerforum" für ihre Propaganda zu missbrauchen versuchten, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete aus Leipzig. "Ebenso klar ist auch, dass die Teilnahme von bekennenden Rechtsextremen viele andere Bürgerinnen und Bürger abschreckt. Ich hätte mir hier eine klare Haltung des Ministerpräsidenten gewünscht."
In Sachsen meinen - erst recht nach dem Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl, bei der diese im Freistaat stärkste Partei wurde - viele Politiker aus der CDU und anderen Parteien, dass der Dialog auch mit Rechten gesucht werden müsse. Kretschmer, lange Jahre Generalsekretär der Sachsen-CDU, hatte bei der Bundestagswahl sein Mandat im Wahlkreis Görlitz an den AfD-Bewerber Tino Chrupalla, einen Malermeister, verloren.
Der frühere Chef der Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, hat die Forderung nach grundsätzlicher Gesprächsbereitschaft auch mit Anhängern von AfD und Pegida in seinem kürzlich erschienenen Buch "Hört endlich zu!" unterstützt. Richter war 2017 aus der CDU ausgetreten, bei der anstehenden Kommunalwahl in Sachsen kandidiert er in Meißen für das Amt des Oberbürgermeisters.
Kretschmer hatte kurz vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten verteidigt, dass der CDU-Landtagsabgeordnete Rico Anton im September wenige Wochen vor der Bundestagswahl Gast bei der rechtsradikalen erzgebirgischen Anti-Asyl-Initiative "Heimattreue Niederdorf" war: "Warum ist es eigentlich falsch, miteinander zu reden? Gerade wenn man unterschiedlicher Meinung ist", nahm Kretschmer damals den CDU-Parlamentarier in Schutz. Anton hatte sich im Vereinsheim der "Heimattreue Niederdorf" vor einem Nachbau des Merkel-Galgens ablichten lassen, der zuvor bei einer Pegida-Demonstration getragen worden war.