Botschafter für Demokratie: Kämpfer gegen Rechts werden ausgezeichnet
Einsatz gegen Fremdenhass ist gerade in Ostdeutschland nicht leicht. Das Ehepaar Nierth aus Tröglitz und eine Bloggerin aus Bautzen werden nun gewürdigt.
Gehen oder bleiben? Es ist eine Frage, die vor allem in Ostdeutschland Menschen umtreibt, die sich gegen Fremdenhass engagieren. Susanna Nierth beispielsweise, die Ehefrau des ehemaligen Ortsbürgermeisters von Tröglitz im Burgenlandkreis. Markus Nierth war 2015 von seinem Amt zurückgetreten, nachdem eine Demonstration der NPD bis vor sein Privathaus führen sollte.
Vor ein paar Wochen hat Susanna Nierth einen Leserbrief an die "Zeit" geschrieben. Anlass war der Text "Das laute Schweigen", in dem der in Leipzig lebende Autor Michael Kraske darlegte, warum er als Zugezogener immer größere Probleme mit dem Osten habe: "Ich sitze hier mit Tränen in den Augen", notiert Susanna Nierth. "Ganz ähnlich, wenn nicht genau so, ging es mir. Seit 2015 verstehe ich meine Nachbarn kaum noch."
Erschrocken würden ihr Mann und sie den "erdrutschartigen Rechtsruck um uns herum" beobachten und manchmal fast daran verzweifeln. "Wir fragen uns gerade (ganz aktiv) wieder einmal, ist es vielleicht doch für uns an der Zeit, zu gehen."
Dem vor 18 Jahren gemeinsam vom Bundesinnen- und Bundesjustizministerium gegründeten Bündnis für Demokratie und Toleranz ist das Engagement des Ehepaars Nierth so wichtig, dass es am 23. Mai - dem Tag des Grundgesetzes - bei einem Festakt in Berlin zu einem von fünf "Botschaftern für Demokratie und Toleranz" ernannt werden soll. Den Vorschlag unterbreitet hatte der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marian Wendt.
Ausgezeichnet wird nach den Regeln des Bündnisses "die ehrenamtliche Arbeit für eine demokratische und tolerante Alltagskultur". Nierths und die anderen Preisträger 2018 - der Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb in Baden-Württemberg, die Initiative Pulse of Europe aus Frankfurt am Main und die Flüchtlingsaktivistin Nahid Farshi aus Dortmund - haben demnach "in vorbildlicher Weise" Zivilcourage gezeigt, gegen jegliche Form von Extremismus und Gewalt Position bezogen.
So wie auch die zweite in Ostdeutschland tätige Preisträgerin in diesem Jahr, die Bloggerin Annalena Schmidt. Die 31-jährige Historikerin stammt aus Hessen, lebt seit Anfang 2016 in Bautzen - und verzweifelt - ähnlich wie das Ehepaar Nierth in Sachsen-Anhalt - regelmäßig an den politischen Zuständen in Sachsen. Annalena Schmidt wurde von der sächsischen Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay als Botschafterin vorgeschlagen. In ihrem Blog schreibt Schmidt, mit Bautzen verbinde sie "mittlerweile eine absolute Hassliebe".
Vor wenigen Wochen kritisierte sie den neuen sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), der zu einer seiner Bürgerdialog-Veranstaltungen auch einen Neonazi aus Bautzen eingeladen hatte. Am vergangenen Wochenende entdeckte Schmidt an einem Laternenmast in Bautzen einen Sticker aus dem Jahr 2015: "Bautzen hat ein Nazi-Problem." Sie twitterte ein Foto und schrieb dazu: "Drei Jahre später: Das Problem ist nicht gelöst! Wie immer gilt: Werdet wach, steht auf, erhebt die Stimme gegen Nazis, Reichsbürger, Verschwörungsideologen etc. #nonazis."
Im Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz gab es in diesem Jahr erstmals schwierige Diskussionen über die Vergabe der Botschafter-Titel. Im Beirat ist nach der Bundestagswahl auch ein Vertreter der AfD eingezogen, der ultrarechte Dresdner Bundestagsabgeordnete Jens Maier. Das Bundesinnenministerium blockierte die Auszeichnung der von der thüringischen Sozialministerin Heike Werner (Linke) vorgeschlagenen breit getragenen zivilgesellschaftlichen Initiative "Antirassistischer Ratschlag". Gegen den - letztlich erfolglos - eingebrachten Vorschlag eines AfD-Politikers, die Anti-Islam-Bewegung Pegida zum "Botschafter für Demokratie" zu ernennen, machte das Seehofer-Ministerium keine Einwände geltend.
Noch haben die Preisträger nicht aufgegeben
Wenige Wochen nach dem Rücktritt von Markus Nierth als parteiloser Ortsbürgermeister von Tröglitz brannte Anfang April 2015 das kurz vor der Eröffnung stehende Flüchtlingsheim in der Gemeinde. Anfang 2016 bilanzierte Markus Nierth in einem Interview mit dem Tagesspiegel, die Saat der rechten Brandstifter sei aufgegangen. Schon damals fragte er sich, wie lange er mit seiner Familie noch durchhalten könne und wolle. Und warnte er vor den Gefahren der AfD, deren Mitglieder versuchen würden, "ihre eigenen Minderwertigkeitskomplexe und Lebensängste unter den braunen Teppich zu kehren".
Im Herbst 2016 veröffentlichte Nierth im Berliner Ch. Links Verlag das Buch "Brandgefährlich - wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht" und schilderte dort seine Erfahrungen. Aktuell engagieren sich die Nierths gegen das traditionelle Kyffhäusertreffen des rechten "Flügels" der AfD, das im Juni auf Schloss Burgscheidungen in ihrem Landkreis stattfinden soll. Sie haben bisher nicht aufgegeben, ebenso wenig wie Annalena Schmidt in Bautzen.