Die neue Suche nach einem Endlager: Dialog als Monolog
Endlager-Kommission und Anti-Atombewegung streiten darüber, wie Bürgerbeteiligung aussehen könnte. Vorläufig können sie sich auf nichts einigen.
Sie reden nicht miteinander, die Endlagerkommission und die Anti-Atombewegung. Auch nicht bei der ersten öffentlichen Veranstaltung der Kommission, die von Bundestag und Bundesrat beauftragt wurde, Kriterien für die Endlagersuche zu entwerfen. Jochen Stay vom Anti-Atomnetzwerk „Ausgestrahlt“ und Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, sind nur kurz vor Beginn des „Bürgerdialogs Standortsuche“ vor der Jerusalemkirche in Kreuzberg aufgetaucht, um zu begründen, warum sie sich dieser „Simulation einer Bürgerbeteiligung“ (Stay) entziehen. Dann fahren sie fünf Stationen weiter zum Pfefferberg in Prenzlauer Berg – um ihre eigene Konferenz zu eröffnen.
Der Berliner Rechtsanwalt Hartmut Gassner, Mitglied der Kommission, wird später davon sprechen, dass der Kampf um die Atomkraft in Deutschland „Wunden geschlagen“ habe. Und die lassen sich an beiden Schauplätzen besichtigen. Da ist in der Jerusalemkirche der Mittfünfziger, der in einem Kraftwerk arbeitet und sich „neutrale Information für die Bevölkerung wünscht“, sekundiert von einem weiteren Mittfünfziger, der „dem Volk“ nicht zutraut, „verantwortlich mit Volksentscheiden umgehen“ zu können und im Übrigen auf die „gleichgeschaltete Presse“ schimpft, weil diese die Energiewende nicht in Grund und Boden schreibt.
Schenkelklopfen auf dem Pfefferberg
Auf dem Pfefferberg fragt ein Freiburger Atomgegner, der aussieht wie ein Zwilling von Rainer Langhans: „Und wenn es dann ein Endlager gibt. Und die schalten die Atomkraftwerke wieder an, weil das Problem gelöst ist?“ Am Nachmittag hören sie dort interessiert acht Schülerinnen und Schülern aus Lüchow zu, die in Klassenstärke zum Bürgerdialog gefahren waren. Eine Abordnung pendelte zwischen beiden Orten. Als ein Mädchen berichtet, dass in einer Arbeitsgruppe in der Jerusalemkirche darum gebeten wurde, „die eigene Meinung zu vertreten und nicht die des Konzerns“ lachen die etwa 100 Atomgegner höhnisch, einige klopfen sich auf die Schenkel. Die Schüler tun ihnen den Gefallen, die Bemühungen der Endlagerkommission zur Bürgerbeteiligung als „oberflächlich“, „unverständlich“ und dominiert von „Anzugträgern“ zu beschreiben. Martin Donat von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg sagt: „Es ist auf euch Verlass und das beruhigt mich sehr.“
In der Jerusalemkirche fühlen sich die Schüler tatsächlich ein wenig verfolgt, weil ständig jemand fragt, was sie denn so denken. Die acht Emissäre auf dem Pfefferberg werden zwar später sagen, dass ihre Meinungen nicht ernst genommen worden seien. Doch zumindest in der Konsens-Arbeitsgruppe in der Jerusalemkirche ist das ganz anders. Da schlägt eine der jungen Frauen eine Aufklärungskampagne über Atommüll nach dem Vorbild der Aids-Kampagne vor, und ihr Vorschlag wird von der Arbeitsgruppe auch gleich übernommen.
Die Gespräche sind höflich und sachlich
Nachdem die Beratungsfirma Prognos ihren Vorschlag für ein Beteiligungskonzept vorgestellt hat, diskutieren die rund 200 Teilnehmer in der Jerusalemkirche in Kleingruppen stundenlang, wie die Bürger am besten beteiligt werden könnten. Zum Beispiel, wie kenntlich gemacht werden kann, welche Bürgervorschläge im Abschlussbericht der Endlagerkommission übernommen worden sind. Oder dass die Kommission begründen soll, warum sie Vorschläge nicht übernimmt.
In einer weiteren Arbeitsgruppe kämpfen Industrievertreter darum, einen Teil der Kosten für die atomaren Hinterlassenschaften „vernünftig“ zu verteilen, also den Steuerzahlern zu überlassen. Und die Arbeitsgruppe über die Organisation der Endlagerung auf Behördenseite ist voll von Mitarbeitern der DBE, der Tochter der Atomkonzerne, die bisher mit den Arbeiten an den Endlagern beauftragt ist, und die Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) mit der Asse GmbH, einer Tochter des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), zu einem Staatsunternehmen fusionieren möchte.
Die Castor-Frage bewegt alle
Hendricks Entscheidung, 26 Atommüllbehälter aus dem Ausland auf vier Zwischenlager zu verteilen, wird in beiden Foren sowohl kritisiert als auch gelobt. Raimund Kamm von einer Anti-Atom-Initiative aus Augsburg hat am Sonntag die bayerische Landesregierung für ihre Verweigerungshaltung scharf kritisiert. Die Zwischenlager halten die Atomgegner aber nicht für sicher genug. Sie fordern den Bau von „ein bis zwei sicheren Zwischenlagern“ bevorzugt an Orten, „die Strom verbrauchen aber durch Widerstand gegen Windkraftwerke wie Stromleitungen den Umbau unserer Versorgung auf atomfreien Strom blockieren“. Ursula Schönberger von der AG Schacht Konrad warb auf dem Pfefferberg am Vortag allerdings dafür, die Bayern etwas milder zu bewerten. Denn: „Nicht die CSU nimmt den Atommüll zurück sondern die Bürgerinnen und Bürger“, sagte sie.
Der Ton in der Jerusalemkirche ist trotz aller Gegensätze höflich und sachlich. „Dissenz soll kenntlich werden“, sagt Helma Dirks von Prognos. Die Ko-Vorsitzende der Kommission, Ursula Heinen-Esser ist „absolut zufrieden, hätte ich so nicht erwartet“. Martin Donat sagt auf der Gegenveranstaltung: „Wir dürfen dort nicht hingehen, weil wir falsche Verfahren nicht legitimieren dürfen.“ Jochen Stay betont, dass er nie zuvor häufiger mit Politikern gesprochen habe seit der Absage an die Endlagerkommission.
Doch in beiden Veranstaltungen ist ein Phantomschmerz zu beobachten. In der Jerusalemkirche wird das Fehlen der Anti-Atombewegung mehrfach beklagt. Und auf dem Pfefferberg sagt Stay dem Tagesspiegel: „Die CDU hat sich bewegt. Aber wir haben uns auch bewegt. Die CDU fühlt sich unverstanden. Aber wir fühlen uns auch unverstanden.“
Dagmar Dehmer