Atommüll in Deutschland: Das strahlende Erbe im Land verteilen
Umweltministerin Barbara Hendricks will die Castoren aus Frankreich und Großbritannien auf ganz Deutschland verteilen, wenn sich kein Freiwilliger findet. Das schreibt sie in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel.
Als der Bundestag vor knapp vier Jahren den endgültigen Abschied Deutschlands von der Atomenergie besiegelte und damit die wenige Monate zuvor von der damaligen Koalition beschlossenen Laufzeitverlängerungen kassierte, ging ein Aufatmen durch die Republik. Nach vier Jahrzehnten erbittert geführter Auseinandersetzungen auf Bauplätzen, Straßen und in Parlamenten schien sich endlich die Chance zu bieten, befreit vom Ballast dieser Vergangenheit an den Umbau der Energieversorgung des Landes zu gehen. Inzwischen ist klar geworden, wie schwer es ist, alle Herausforderungen des Ausstiegs zu bewältigen. Zu lang ist der Schatten der Atomkraft, zu tief die Wunden vergangener Auseinandersetzungen, zu langlebig ihr strahlendes Erbe, zu dicht das Interessengestrüpp ihrer Nutznießer.
Nach dem Zickzack-Kurs von Schwarz- Gelb stand zwar am Ende ein parteiübergreifend getragener Ausstiegsbeschluss, aber viele wichtige Randbedingungen wurden in der vergangenen Legislaturperiode nur mittels einer Schiebeverfügung gelöst. Im ersten Jahr nach meiner Amtsübernahme habe ich eine Reihe dieser offenen Baustellen schließen können, bei einigen sind wir einer Lösung näher gekommen, und bei anderen sind nach wie vor große Hürden zu überwinden.
Was wird aus Gorleben?
In Gorleben sind wir ein gutes Stück vorangekommen: Die von der Vorgängerregierung betriebene Klage gegen die Aufhebung des Rahmenbetriebsplans Gorleben durch das Land Niedersachsen habe ich zurückgezogen. Gemeinsam mit dem Land haben wir das atomrechtliche Planfeststellungsverfahren aus den 70-er Jahren für erledigt erklärt.
Die Kontroverse darüber, was die gesetzlich geforderte Offenhaltung des Gorlebener Salzstocks für die Dauer der ergebnisoffenen Endlagersuche bedeutet, wurde im engen und guten Zusammenwirken mit meinem niedersächsischen Kollegen Stefan Wenzel gelöst: Nach dem neuen Hauptbetriebsplan sind alle Erkundungsaktivitäten im Bergwerk ebenso wie der Besucherverkehr eingestellt worden. Sichtbares Zeichen der neuen Situation: Die martialischen Sicherungsanlagen um die Anlage werden wieder auf ein Maß zurückgeschraubt, wie es für die Sicherung einer normalen Industrieanlage üblich ist. Der Schacht wird nur noch auf Minimalniveau offengehalten, um den Anspruch des parteiübergreifenden Atomkonsenses zu erfüllen, wonach Gorleben grundsätzlich noch im Suchverfahren für ein Endlager bleibt.
Um dies zu gewährleisten, habe ich eine Verlängerung der Veränderungssperre für Gorleben auf den Weg gebracht. Ich betone aber, dass dies kein neues Präjudiz für Gorleben als Endlager ist, auch wenn ich weiß, dass es den Betroffenen in der Region schwer fällt, dies zu akzeptieren.
Die Endlagerkommission soll schnell Ergebnisse liefern
Von großer Bedeutung für die Vollendung des Atomausstiegs ist die Arbeit der vom Bundestag und Bundesrat gemeinsam eingesetzten Endlagerkommission. Die strittige Frage des Vorsitzes, die diese Kommission monatelang daran gehindert hatte, ihre Arbeit aufzunehmen, wurde auf meine Anregung hin durch eine Doppelspitze gelöst. Nun arbeitet die Kommission. Sie soll bis spätestens Mitte des nächsten Jahres Vorschläge zu Eckpunkten und Kriterien für die Suche nach einem Endlager in Deutschland erarbeiten. Vor allem geht es dabei um die Frage, welche Gesteinsformationen, mithin welche Regionen in Deutschland, für ein Endlager in Betracht kommen. Auch werden Verfahrensfragen und Öffentlichkeitsbeteiligung in dem Gremium noch einmal kritisch hinterfragt. Über die Vorschläge wird dann der Bundestag als Gesetzgeber entscheiden.
Es gibt Stimmen, die einer Mandatsverlängerung der Endlagerkommission über den 30. Juni 2016 hinaus das Wort reden. Ich halte davon nichts. Wir können uns keinen Zeitverzug erlauben, denn die Menschen in der Nachbarschaft der derzeitigen Zwischenlagerstandorte drängen zu Recht darauf, dass die Entscheidung über ein Endlager nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Deshalb ist es wichtig, dass die Kriterien für die weitere Endlagersuche noch in dieser Legislaturperiode gesetzlich festgeschrieben und gegebenenfalls noch Änderungen für das weitere Suchverfahren im Gesetz verankert werden können. Die Endlagerkommission ist mit großem Vertrauen und mit großen Freiheiten ausgestattet; sie sollte verantwortungsvoll davon Gebrauch machen und ihre Empfehlungen sach- und zeitgerecht vorlegen.
Wohin mit den Castoren aus dem Ausland?
Ungelöst blieb in der vergangenen Legislaturperiode auch die Frage, in welche Zwischenlager die noch im Ausland lagernden Castor-Behälter mit deutschem Atommüll transportiert werden sollen. Gorleben – das ursprünglich für die Rücknahme der hochradioaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung vorgesehene zentrale Zwischenlager – wurde im Zuge des Konsenses über ein Standortauswahlgesetz und damit zum Neustart der Endlagersuche gesetzlich ausgeschlossen. Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben sich damals bereit erklärt, je einen Teil der insgesamt 26 Castoren aus Frankreich und England zurückzunehmen – unter der Voraussetzung, dass ein drittes Bundesland ebenfalls einen Teil nimmt. Die Ministerpräsidenten der Länder versicherten im Juni 2013 in einer gemeinsamen Erklärung einen solchen dritten Standort in einem dritten Land zu benennen.
Seit meinem Amtsantritt habe ich mich intensiv darum gekümmert, dass diese von den Ministerpräsidenten gegebene Zusage konkret eingelöst und ein drittes Zwischenlager benannt wird. Bis heute hat sich kein weiteres Land gefunden. Diese Situation ist nicht länger hinnehmbar – dies umso weniger, als die jüngste Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Brunsbüttel die Situation zusätzlich erschwert hat: Mit der gerichtlichen Aufhebung der Genehmigung für dieses Zwischenlager sind die Möglichkeiten zur Unterbringung von Castorbehältern in Schleswig-Holstein derzeit begrenzt. Es ist zudem wenig einsichtig, warum sich Länder wie Hessen und Bayern in dieser Frage vornehm zurückhalten; schließlich gehörten sie jahrzehntelang zu den Hauptbefürwortern der Atomkraft und zu wesentlichen Verursachern des Mülls.
Doch ich muss leider feststellen, dass das von den Ministerpräsidenten kollektiv erklärte Versprechen zur Verständigung auf drei Standorte in drei Bundesländern für die Lagerung der 26 Castoren von diesen nicht eingelöst wird. Die Vereinbarung vom Juni 2013 zur Rücknahme von Atommüll aus der Wiederaufarbeitung ist gescheitert. Auf Freiwilligkeit kann ich nicht länger setzen.
Ich habe deshalb meine Mitarbeiter gebeten, ein Konzept zu erarbeiten, das eine Verteilung des gesamten noch im Ausland befindlichen Atommülls auf verschiedene Standorte in einem bundesweit ausgewogenen Verhältnis vorsieht. Mit diesem Konzept werde ich den Akw-Betreibern eine Richtschnur geben, wie sie ihre gesetzlichen Verpflichtungen zur Rücknahme und Zwischenlagerung der Wiederaufarbeitungsabfälle erfüllen können. Sollte dieses Konzept nicht akzeptiert werden, liegt es allein bei den Unternehmen, ihrerseits zu erklären, wohin sie mit den Castoren in Deutschland wollen, und dafür die notwendigen Anträge zu stellen.
Wo lagert der Atommüll jetzt?
Mir geht es darum, mit dem Stückwerk beim Atommüll aufzuhören. Das Problem muss in seiner Gesamtheit betrachtet und gelöst werden. Der erste Schritt dahin ist eine offene und ehrliche Bilanz dessen, was an radioaktiven Abfällen in diesem Land angefallen ist und noch anfallen wird. Diesen Zweck erfüllt das Nationale Entsorgungsprogramm, das ich jetzt vorgelegt habe. Es berücksichtigt erstmals alle deutschen Atomabfälle.
Die weitaus größte Menge stellt der mittel- und schwachradioaktive Müll aus Atomkraftwerken, aus Forschung, Gewerbe und medizinischen Anwendungen dar. Ein überwiegender Teil davon ist für das bereits genehmigte Endlager Schacht Konrad vorgesehen. In der Abfallbilanz erfassen wir auch die Abfälle aus dem maroden Endlager Asse, das derzeit gesichert wird und möglichst zügig geräumt werden soll. Auch den möglichen Abfall aus der Uran-Anreicherungsanlage der Urenco in Gronau habe ich vorsichtshalber berücksichtigen lassen, da man aus heutiger Sicht nicht sicher sein kann, ob er als Wertstoff weiter verarbeitet oder als Abfall endgelagert werden muss.
Für den schwach- und mittelradioaktiven Müll, der bislang nicht für Konrad vorgesehen ist, habe ich zwei alternative Möglichkeiten vorgesehen: Entweder wird das Endlager Konrad bei Salzgitter im Rahmen eines neuen Planfeststellungsverfahrens erweitert oder der Standort für das neue Endlager für hochradioaktiven Abfall wird so ausgewählt, dass er auch den weiteren schwach- und mittelradioaktiven Müll aufnehmen kann. Welche der beiden Alternativen die bessere ist, werden wir im Rahmen des weiteren Suchverfahrens für das hochradioaktive Endlager mit betrachten und dann Anfang der 2020-er Jahre entscheiden.
Staatliches Unternehmen für den Endlagerbetrieb
Wichtig ist mir, dass wir bei absolutem Vorrang von Sicherheit und Sorgfalt gleichwohl auch zügig bei den Endlagerprojekten vorankommen. Zentral ist die rasche Fertigstellung des Endlagers Schacht Konrad. Die Verzögerungen der Vergangenheit nehme ich nicht weiter hin. Um die Verfahren zu beschleunigen, brauchen wir vor allem eine effiziente Organisation der Endlagerinstitutionen. Derzeit ist das nicht ausreichend gegeben.
Mein Ziel ist die Schaffung klarer Strukturen und Arbeitsteilungen: Dazu will ich die heutige Trennung von Betreiberaufgaben beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) einerseits und Betriebsführungsaufgaben bei der DBE mbH und der Asse GmbH andererseits auflösen und in einem neu zu gründenden, staatlich geführten Unternehmen zusammenführen. Damit schaffen wir dann klare Strukturen und verringern Schnittstellen, die immer das Potenzial für noch weitere Verzögerungen haben.
Wer muss für den Atommüll zahlen?
Die Kette vom Rückbau der Atomkraftwerke bis zur sicheren Endlagerung des gesamten deutschen Atommülls wird noch sehr viel Geld kosten. Damit wird auch deutlich, wie falsch die Aussage stets war, dass Atomenergie eine preiswerte Form der Energieversorgung darstellt. Nach dem Verursacherprinzip haben die Energieversorgungsunternehmen die uneingeschränkte Kostenverantwortung und somit sämtliche Kosten zu tragen. Als Umweltministerin bestehe ich darauf, dass für die Sicherheit beim Auslaufbetrieb der restlichen Atomkraftwerke, für deren Stilllegung und Rückbau und die sicherste Form der Endlagerung jederzeit die dafür erforderlichen finanziellen Mittel auch gesichert zur Verfügung stehen, sobald sie gebraucht werden. Nachdem jahrzehntelang Gewinne bei den Unternehmen angefallen sind, ist es für mich unvorstellbar, dass nun am Ende der Steuerzahler auf den Kosten sitzen bleibt. Dies ist auch ohne Überforderung der Unternehmen möglich.
Entsprechend dem Auftrag der Koalitionsvereinbarung werde ich alle Schritte einleiten, die möglich und notwendig sind für den verantwortungsvollen Umgang mit den Folgen der Nutzung der Atomenergie. In unserer jeweiligen Verantwortungszeit ist das unsere Aufgabe, damit - im wörtlichen Sinn - alle Generationen, die nach uns kommen, auch die Chance haben, die jeweils möglichen und notwendigen Schritte zu gehen.
Barbara Hendricks