Robuster Umgang mit Russland und China: Baerbock will eine neue Außenpolitik, Scholz nicht
Die Weltlage wird konfrontativer. Die Koalition muss sich vorab über Leitplanken einigen. Sonst treibt die nächste Krise einen Keil in sie. Ein Kommentar.
Bloß nicht die Fehler der Koalitionsgespräche vor vier Jahren wiederholen! Den Appell hört man jetzt oft. Nur: Was folgt daraus für die Außen- und Verteidigungspolitik?
Damals spielte sie keine Rolle. Als Jamaika scheiterte, verhandelten Union und SPD nur noch über die Innenpolitik. Die Ministerpräsidenten der Länder und die Sozialpolitiker beherrschten die Runden mit ihren Interessen. Keine einzige Fachfrau, kein einziger Fachmann saß in der „kleinen Runde“ der 15, die das letzte Wort bei Streitfragen auf dem Weg zur Groko hatten.
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Das ist nun in den Ampel-Sondierungen anders, aber nicht durch die Bank. Zum Sondierungsteam der Grünen gehören Annalena Baerbock als Kandidatin für das Auswärtige Amt und der Europaabgeordnete Sven Giegold.
Die FDP verfolgt andere Prioritäten. Über Jahrzehnte hatte sie den Außenminister, der zugleich Vizekanzler war, gestellt und so die Außenpolitik aufgewertet. Jetzt fehlen Fachleute wie Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Außenpolitiker Alexander Lambsdorff in den Sondierungen.
Bei Schwarz-Grün deutete vieles auf eine Zeitenwende hin
Ähnlich die SPD. Sie schaut auf Finanzen, Steuern, Soziales und die Belange der Bundesländer. Generalsekretär Lars Klingbeil kennt zwar den Wert der Partnerschaft mit den USA und der Nato für Deutschland; Fraktionschef Rolf Mützenich neutralisiert das aber mit seinen pazifistischen Neigungen. Für beide ist zudem qua Amt die Innenpolitik wichtiger.
Vor Monaten, als eine Regierung aus Schwarz und Grün als wahrscheinlich galt und viele spekulierten, wer von beiden die Nase vorn haben werde, sprach vieles für eine Zeitenwende in der Außenpolitik. Die Welt wird konfrontativer. Die EU und Deutschland als ihr stärkstes Mitglied müssen Wege finden, ihre Werte und Interessen robuster zu vertreten.
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Für die Grünen geht es vorrangig um Demokratie, Grundrechte und Klimafragen. Für die Union um Wirtschaftsinteressen, damit nicht weitere Geschäftsumsätze und Jobs nach China wandern. Schwarze und Grüne fanden im Nein zur Pipeline Nord Stream 2 zusammen, in der Solidarität mit demokratischen Kräfte in Belarus, der Ukraine und Russland sowie mit Hongkong, Taiwan, Tibet und muslimischen Uiguren.
Auch die Klimapolitik erfordert einen Kurswechsel international
Beide sehen, dass Xi Jinping und Wladimir Putin als Imperialisten agieren und die Rechte souveräner Nachbarn ignorieren.
Zudem: Wie lässt sich das Klima retten, wenn Russland am Verkauf von Öl und Gas als Kern seines Wirtschaftsmodells festhält? Und wenn China, der mit Abstand größte Verschmutzer, ein Sozialprodukt von ähnlicher Größe wie das der EU mit drei Mal so viel Emissionen produziert und plant, seinen Ausstoß noch viele Jahre weiter zu steigern?
Nun wird China- und Russland-Politik bekanntlich vor allem im Kanzleramt gemacht. Wäre Baerbock dort gelandet, hätte die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik einen Schub bekommen. Armin Laschet hätte zumindest mit dem vereinten Druck von Grünen und Union rechnen müssen.
Macht "schlumpfiges Grinsen" Eindruck auf Putin?
Für Olaf Scholz gilt keines von beidem. Was sind seine Ideen, wie Deutschland seine Interessen gegenüber Russland und China effektiver verteidigen kann? Er steht im Ruf, da noch weniger konfliktwillig als Merkel zu sein. Mit „schlumpfigem Grinsen“ kann er einen Markus Söder aus der Reserve locken, aber weder einen Xi Jinping noch einen Wladimir Putin beeindrucken. Aus der SPD kommt kein Druck, dort tendieren viele zu Neutralitätsillusionen.
Doch die Zeiten, in denen die viertgrößte Wirtschaftsmacht Außenhandelspolitik als Außenpolitik ausgeben konnte, sind vorbei. Die Ampel einigt sich besser vorab über Außen- und Sicherheitspolitik. Sonst überrascht eine unerwartete internationale Krise wie jüngst das U-Boot-Geschäft mit Australien oder die Kriegsgefahr auf dem Balkan die Koalition unvorbereitet. Und wird zum Keil.