Preisexplosion bei Erdgas: Balance zwischen Klima und Sozialem birgt Sprengstoff für Koalitionen
Der Preis für Erdgas hat sich verdreifacht. Die sozialen Kosten der Energiewende werden deutlich. Daran könnten Regierungsbündnisse scheitern. Ein Kommentar.
Der Gaspreis ist 2021 auf das Dreifache des Niveaus der vergangenen Jahre geklettert. Kurz vor der Bundestagswahl werden vielen Bürgern plötzlich die sozialen Kosten der Energiewende bewusst.
Die Parteien hatten sich bemüht, die Wähler mit diesem Angstthema nicht zu verschrecken – auch weil da die potenzielle Bruchstelle einer Koalition der SPD (oder der Union) mit den Grünen liegt.
Die Grünen betrachten Klimapolitik als Chance und fürchten einen Aufstand ihrer Basis, wenn sie nicht konsequenter liefern. Für Olaf Scholz ist sie ein Risiko. Steigende Energiepreise werden zum Sprengstoff, der seine potenzielle Koalition zu Fall bringen könnte.
Europaweit ziehen die Strompreise an, in Italien und Polen um rund 40 Prozent, in Spanien um ein Mehrfaches. Britischen Energieversorgern droht die Pleite.
Angst vor Gelbwesten-Protesten
Von Griechenland über Ostmitteleuropa bis auf die Iberische Halbinsel haben Regierungen Angst vor Protestwellen im Stil der Gelbwesten in Frankreich. Manche suspendieren Energiesteuern, um die Teuerung abzumildern. Die Skepsis gegen die Klimaziele der EU, CO-2-Abgaben und den Handel mit Emissionszertifikaten wächst.
Der Klimaaufschlag ist zwar nicht der alleinige Preistreiber beim Erdgas. Leere Speicher nach der Coronavirus-Krise, wachsende Nachfrage wegen der politisch gewollten Abkehr von Kohle und Lieferengpässe in Russland tragen dazu bei.
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Beim letzten Punkt ist unklar, ob Wladimir Putin so einen Hebel ansetzt, um die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 zu erzwingen. Gaspreise treiben über Gas-Kraftwerke auch den Strompreis.
Aber der Vorgang gibt einen Vorgeschmack auf künftige Klimadebatten. Die soziale Frage rückt ins Zentrum.
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In Deutschland fand sie bisher weniger Aufmerksamkeit als in ärmeren Ländern. Hier dominieren Schichten die Diskussion, für die höhere Energiepreise, höhere Nebenkosten des Wohnens und der Verzicht auf das Auto nicht an die Existenz gehen. Protestbanner wie „Das Klima lässt nicht mit sich verhandeln“ schaffen eine Aura politischer Alternativlosigkeit.
Energie muss teurer werden, damit der Verbrauch und damit die Emissionen sinken. Das ist die eine Seite. Aber Regierungen müssen diese Entwicklung und den öffentlichen Diskurs so steuern, dass steigende Energiepreise nicht Existenzängste auslösen und der soziale Zusammenhalt bewahrt wird.
Sonst könnte sich sonst herausstellen, dass es auch da nichts zu verhandeln gibt. Wenn größere Bevölkerungsgruppen sich abwenden und Regierungen die Unterstützung der Mehrheit verlieren, haben sie keine Verhandlungsmacht mehr und stürzen: in der Legislaturperiode oder bei der nächsten Wahl. Die Balance zwischen Klima und Sozialem wird zur neuen Priorität bei den Koalitionsverhandlungen.