Ausstellung „Comics! Mangas! Graphic Novels!“: Panels, die die Welt bewegten
Die Ausstellung „Comics! Mangas! Graphic Novels!“ in der Bundeskunsthalle führt opulent durch die Geschichte. Die Gegenwart wird allerdings nur angerissen.
In sechs Kapiteln zeichnet die Ausstellung die Geschichte des Comics nach, ausgehend von der Entstehung als amerikanisches Bildmassenmedium kurz vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts in New York bis in die Gegenwart.
Die beiden Kuratoren sind Comic-Kenner: Alexander Braun, Künstler, Kunsthistoriker und Sammler, hat sich mit Ausstellungen wie zuletzt über die „Pioniere des Comics. Eine andere Avantgarde“ in der Frankfurter Schirn einen Namen gemacht, jeweils begleitet von lesenswerten Publikationen. Andreas C. Knigge, ehemals Cheflektor im Carlsen-Verlag, setzt sich als Autor und Journalist mit der Text-Bild-Kunstform auseinander; er schrieb unter anderem das Buch „Comics. Vom Massenblatt ins multimediale Abenteuer“.
Absurdes Theater vor Samuel Beckett
Am Anfang der Ausstellung steht „Yellow Kid“, der 1895 seinen ersten Auftritt in Richard F. Outcaults Serie „Hogan‘s Alley“ hatte: Der glatzköpfige Knirps im gelben Nachthemd, auf dem zu lesen ist, was er sagt, gilt als erste moderne Comic-Figur. Diese erste Abteilung widmet sich den Comic-Strips, die vor allem auf farbigen Sonntagsseiten reißenden Absatz fanden. Diese Pioniere des amerikanischen Comics haben für Alexander Braun zu Beginn des 20. Jahrhunderts Elemente der Modernen Kunst vorweggenommen: George Herriman mit seiner Serie „Krazy Kat“ etwa habe „absurdes Theater gemacht, zu einer Zeit, als Samuel Beckett noch zur Schule ging.“
Die nächsten Räume sind den Comic-Heften mit Superhelden, Romantik, aber auch Crime und Horror und damit der Zensur der McCarthy-Ära gewidmet, aus der eine Selbstzensur der Verlage resultierte, der sogenannte Comics Code. Neben Will Eisners „Spirit“, Steve Ditkos „Spider-Man“ oder Jack Kirbys „Captain America“ ist auch eine wahnwitzig detailliert gestrichelte Poe-Adaption des am 18. März gestorbenen Zeichners Bernie Wrightson zu bewundern.
In Sachen Comic ein Entwicklungsland
In der Abteilung Europa geht es vor allem um die frankobelgischen Bandes Dessinées mit Hergé und Konsorten – und auch eine Lanze für die oft im Schatten stehenden Autoren wird gebrochen: Eine Vitrine ist Pierre Christin gewidmet, der Szenarien für so unterschiedliche Zeichner wie Jean-Claude Mézières, Enki Bilal oder Annie Goetzinger geschrieben hat. Der „schwere Start in Deutschland“ ist Thema, es fehlen nicht Hannes Hegen, Hansrudi Wäscher, Erich Ohser, Manfred Schmidt oder Loriot sowie die Erklärung, dass Comics als amerikanische Erfindung zunächst nicht ernst genommen worden seien. Dann machten die Nazis kaputt, was sich hätte entwickeln können. Und in den 50ern habe man eifriger die Zensurdebatten aus den USA importiert als die Comics selbst. „So blieb Comic-Deutschland im europäischen Vergleich auch für die nächsten Jahrzehnte ein Entwicklungsland.“
Ganz im Gegensatz zu Japan, wo Comics ein Drittel aller Druckerzeugnisse stellen, wie zu lesen ist. Als Ur-Vater des modernen Manga gilt Osamu Tezuka („Astro Boy“, „Kimba, der weiße Löwe“), der bei seinem Tod 1989 mehr und längere Nachrufe erhalten haben soll als kurz zuvor Kaiser Hirohito. Zu sehen sind Blätter mit Tuschezeichnungen, Bleistift und Rasterfolie von Tezuka, Keiji Nakazawa („Barfuß durch Hiroshima“) oder Yoshihiro Tatsumi, der den Begriff „Gekiga“ („dramatisches Bild“) prägte. Die Leihgaben aus Japan zu bekommen, sei besonders aufwendig gewesen, erzählt Andreas C. Knigge, der vor mehr als 25 Jahren „Akira“ nach Deutschland holte, das dem Manga hierzulande Fahrt verlieh. In Japan sei es unüblich, die Zeichnungen zu verwahren – technisch perfekte Reproduktionen haben einen höheren Stellenwert.
Von Robert Crumb zu Ralf König
Weiter geht es mit den amerikanischen Underground-Comics, angefangen bei Robert Crumb, deren Einfluss nach Europa schwappte: Guido Crepax, Guy Peellaert und Harvey Pekar, Joe Sacco und die Hernandez-Brüder sind vertreten, aber auch Ralf König und Gerhard Seyfried.
Dann prangt an der Wand ein Zitat von Art Spiegelman: „Graphic Novel ist ein Marketing-Begriff, weil es lange als peinlich galt, Comics zu lesen. Wer eine Graphic Novel liest, muss sich nicht schämen.“ Der Begriff sei schwierig, gibt Knigge zu, der sich gegen eine Unterscheidung von Comics und Graphic Novels im Sinne von trivial und hoher Kunst wehrt. Er beruft sich auf Will Eisner, der seinen Band „Ein Vertrag mit Gott“ als „Graphic Novel“ bezeichnete – und dabei schon mit dem Begriff gespielt habe, denn bei „Ein Vertrag mit Gott“ handelt es sich nicht um einen Roman, sondern um vier Kurzgeschichten.
Der Fokus liegt auf der Vergangenheit
Vorher schon, 1971, war der Comic in Paris zur „Neunten Kunst“ erklärt worden, nach dem Fernsehen als achter und dem Kino als siebter Kunst. Der Aufbruch in Europa in den 60er, 70er und 80er Jahren wird thematisiert und illustriert, auch der deutschsprachige Comic der Gegenwart wird angerissen, mit Matthias Schultheiß, Thomas Ott, Isabel Kreitz, Reinhard Kleist, Flix und Mawil – danach ist aber Schluss.
Auch wenn dieses letzte Kapitel etwas knapp ist, die Ausstellung eher zurückblickt und weniger auf das aktuelle Geschehen oder gar in die Zukunft – es ist eine schöne Schau. Ein opulenter Bilderbogen mit Originalseiten vieler verschiedener Künstler, auf denen sich satte oder feine Tuschestriche, Bleistiftlinien, Aquarellschwünge und Gouachetupfer bewundern lassen, begleitet von pointierten Wandtexten und Leseinseln mit Stapeln passender Comics.
„Comics! Mangas! Graphic Novels!“, 7. Mai bis 10. September 2017, www.bundeskunsthalle.de. Katalog mit Texten von Alexander Braun, Jacqueline Berndt, Andreas C. Knigge: 6 Einzelhefte für je 8 Euro, zusammen 32 Euro.
Barbara Buchholz
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