Berlin: Mörderische Zeitreise
Der Comic-Thriller „Lenas Reise“ handelt von einem Komplott, dessen Fäden in Berlin zusammenlaufen
Die tödliche Verschwörung beginnt im idyllischen Südosten Berlins. Die Gegend um Rahnsdorf und den Müggelsee ist der Ausgangspunkt eines blutigen Rachefeldzugs. Eine junge Französin, die sich Lena nennt, trifft sich am Berliner Stadtrand mit einem früheren Stasi-Agenten, eine geheimnisvolle Liste wechselt den Besitzer. Das ist der Auftakt zu dem elegant-melancholischen Comic-Thriller „Lenas Reise“, geschaffen von zwei Altmeistern der französischen Szene, dem Autor Pierre Christin, Jahrgang 1938, und dem Zeichner André Juillard, Jahrgang 1948.
Wie ein Roadmovie folgt die Handlung der Ich-Erzählerin erst durch den Osten Berlins, dann rund um die Welt. Sie trifft frühere Funktionäre der ehemals kommunistischen Staaten und schmierige Kriminelle, um ihnen geheimnisvolle Dinge zu übergeben, die sich wie die Teile eines Puzzles zusammenfügen. Alle Menschen, denen sie begegnet, scheint eine gemeinsame Geschichte zu verbinden. Als der Leser dahinterkommt und es ein explosives Finale gibt, ist Lena längst weitergezogen, um sich mit ihrer eigenen Vergangenheit zu versöhnen.
Auch wenn die Handlung einmal um den Globus führt: Die Fäden des sich langsam entfaltenden Komplotts, das Lena durch ihre Reise anzettelt, laufen in Berlin zusammen. Die Stadt mit ihren Brüchen zwischen Ost und West, zwischen Alt und Neu war es, die Autor und Zeichner mehr als jeder andere Ort inspirierte, wie Christin im Gespräch berichtet. „André wollte eine Geschichte zeichnen, deren Atmosphäre nicht ganz zeitgenössisch, aber auch nicht historisch ist – ich dachte sofort an Berlin“, sagt der Autor, der in den 80er Jahren durch politische Comic-Erzählungen wie „Treibjagd“ und „Der Schlaf der Vernunft“ bekannt wurde, illustriert von Enki Bilal.
Vor zwei Jahren verbrachten Christin und Juillard einige Tage in Berlin, um für „Lenas Reise“ zu recherchieren. Sie spazierten durch die Stadt, machten Fotos, wählten die Kulissen aus, vor denen ihr Thriller spielen sollte. Diese Liebe zum Detail zieht sich durchs ganze Buch. Historische Straßenbahnen oder alte Trabis am Wegesrand sind mit fast fotografischer Genauigkeit gezeichnet, auch Fassaden, historische Gebäude wie der S-Bahnhof Rahnsdorf und bekannte Orte wie die Oberbaumbrücke wirken realistisch. Nur die East Side Gallery ist grau statt bunt – wohl als Metapher für die düsteren Schatten der Vergangenheit, die die Atmosphäre des Buches prägen. Auch wenn die Handlung klassischen Thrillermustern folgt, ist sie für Christin und Juillard doch vor allem ein Vehikel, um in stimmungsvollen Bildern und Monologen der Hauptfigur über die Vergänglichkeit des Lebens und die Last der Vergangenheit zu sinnieren. Obwohl ihre coole Heldin nach dem Auftakt Berlin verlässt und ihr Abenteuer in Rumänien, Syrien, Argentinien und schließlich Australien fortsetzt, ist es doch das östliche Berlin, das den Grundton der Geschichte setzt, wie Autor Christin erzählt: „Sobald man in der früheren DDR ist, spürt man immer noch ein Stück Zeitreise, eine melancholische Erinnerung an vergangene Dinge.“
Zu Berlin fühlt sich Christin hingezogen, seit er in den 70er Jahren erstmals in der geteilten Stadt zu Besuch war. Danach kam er immer wieder, radelte an der Mauer entlang und später quer durch die vereinte Stadt. Vor einem Jahr war er wieder hier, um letzte Details für „Lenas Reise“ abzugleichen, zusammen mit seiner elfjährigen Enkelin, die Deutsch lernt. Inzwischen arbeitet er bereits an einem weiteren Berlin-Comic. Damit will der Pariser Künstler die Atmosphäre der Jahre der Teilung aufarbeiten. Das Buch wird im Jahr 1958 in den von den Franzosen besetzten Stadtvierteln spielen, verrät Christin. Dafür war er bei den letzten Besuchen mit der Kamera in Wedding und Reinickendorf unterwegs, um Impressionen zu sammeln für sich und die Zeichnerin Annie Goetzinger, die in dem Fall seine Partnerin ist. „Diese Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart, traurig und lebendig, Traum und Energie, leer und überfüllt in Berlin ist einzigartig“, schwärmt der Autor. Deswegen will er seine „Berliner Phase“, wie er sie nennt, noch lange nicht abschließen. „Sobald eine weitere Geschichte mir die Möglichkeit gibt, wieder in der Stadt zu sein, werde ich sie als Vorwand nutzen, um den ganzen Tag mit dem Fahrrad umherzufahren, Würstchen zu essen und an den Berliner Seen zu sitzen.“
— Pierre Christin und André Juillard: Lenas Reise. Carlsen Verlag, Hamburg. 64 Seiten, vierfarbig, 16 Euro.
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