Comic-Künstlerin Isabel Kreitz: Der Dachboden als geistiger Lebensraum
Kürzlich fand in der Oldenburger Carl von Ossietzky-Universität eine Poetik-Vorlesung der Comic-Künstlerin Isabel Kreitz statt. Unter dem Titel ‚Der Dachboden als geistiger Lebensraum‘ behandelte sie ausführlich ihre private sowie professionelle Beschäftigung mit Comics. Unser Autor hat zugehört.
Bereits mit dem ersten Satz stellt Isabel Kreitz klar, dass maßgebliche Teile ihrer kreativen Intention dem vorherrschenden Zeitgeist ihrer Kindheit und Jugend geschuldet sind: „Ich komme aus einer Zeichner-Generation, in der man mehr damit beschäftigt war, den Comic als Ausdrucksform zu verteidigen, als über Form und Inhalt zu sprechen.“
1967 in Hamburg geboren, kam Kreitz schon früh mit den Werken von Erich Kästner-Illustrator Walter Trier und den amerikanischen Originalausgaben von Harvey Kurtzmans einflussreichem Comic- und Satiremagazin „Mad“ in Berührung. Dies geschah auf dem Dachboden ihrer Großeltern, was den kryptischen Titel ihres Vortrags ("Der Dachboden als geistiger Lebensraum") erklärt.
Zu Beginn gewährt Kreitz Einblicke in ihre Medien-Sozialisation, die neben ihrer Faszination für fortlaufende Bildsequenzen auch vom Fernsehen geprägt war und somit laut Eigenaussage „sicherlich alle gängigen pädagogischen Horror-Szenarien“ erfüllte. Es seien Zeiten gewesen, in denen man das gute Buch lobte. Und noch heute ist Kreitz, die für ihre Illustrationen und Comicadaptionen von Kästner-Stoffen großes Renommee genießt, genervt, wenn, wie sie bei einer ihrer Kästner-Lesungen in Lübeck beobachten muss, wie „Eltern ihren Kindern die Comic-Adaption aus der Hand nahmen und mir das Textbuch zum Signieren unter die Nase hielten.“
Nach angefangener zeichnerischer Ausbildung an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg mit Tendenz in Richtung Modezeichnung legt Kreitz ein Urlaubssemester in New York ein. Dort lernt sie unter der Anleitung eines ehemaligen Tuschezeichners für Marvel-Comics den professionellen und ergebnisoptimierten Arbeitsstil der amerikanischen Zeichen-Studios, in denen Autoren, Vor- und Reinzeichner sowie Koloristen und Letterer zum kreativen Prozess beitragen. Zurück in Hamburg, fällt es ihr derartig gerüstet leicht, in der Produktion der landesweit in Zeitungen veröffentlichten „Ottifanten“-Comicstrips unterzukommen und dabei den unterschiedlichsten Anforderungen gerecht zu werden.
Diese Vielseitigkeit spiegelt sich auch an Hand der verschiedenen Sujets ihrer bisher veröffentlichten Werke wider: Kommt die Literaturadaption „Die Entdeckung der Currywurst“ nach Uwe Timm in einer oft dem amerikanischen Superhelden-Comic nahen Dynamik und Stilistik daher, zeichnet sich die Erzählung über den Hannoveraner Mörder und Polizeispitzel „Haarmann“ durch eine fast schon statisch anmutende Gestaltung der Protagonisten aus, die durch die Akribie in der Wiedergabe von Architektur noch verstärkt wird.
Freimütig räumt Kreitz ein, dass sie zu den Zeiten der Uwe Timm-Adaption handwerklich einfach noch nicht so weit war, wie sie es heute ist. Ursache sind aber auch mittlerweile deutlich verbesserte Reproduktionsmöglichkeiten selbst feinster Bleistiftstriche, wie Kreitz auf Nachfrage mitteilt - einer Disziplin, in der sie es mittlerweile zu wahrer Meisterschaft gebracht hat.
Heutzutage kann Kreitz ihre Comics als Graphic Novels vermarkten lassen, glücklich ist sie damit jedoch nicht so recht. „Warum braucht diese Ausdrucksform gerade hierzulande eine erklärte Existenzberechtigung?", fragt sie. Und auch wenn sie selbst aktuell vorwiegend Comics aus gerade mit diesem Label identifizierten Verlagen wie Reprodukt oder Avant als bevorzugte Lektüre nennt, belegen ihre mitgebrachten Bildbeispiele eine große Wertschätzung des oft als kommerziell bekrittelten amerikanischen Genre-Comics: So hat sie beispielsweise Johnny Craigs Beitrag zur deutschen Erstausgabe einer EC-Horror-Anthologie der 1970er Jahre dabei und die ebenfalls dieser Dekade entstammende erste „Spirit“-Einzelausgabe des Nelson-Verlages.
Was sie zu dem von ihr bewunderten Spirit-Erfinder Will Eisner bringt: „In dessen Geschichten fand ich die Bildsprache der frühen Horrorfilme und des Film Noir der 40er Jahre wieder. Der Einsatz von extremen Kameraperspektiven und hell/dunkel Kontrasten mit dramatischen Schattenwürfen prägen auch die Bildsprache Eisners.“
Die Arrangements von Kreitz´ Seiten aber erfolgen entgegen Eisners oft praktizierter Anlage der Seite als Metapanel überaus konservativ. Es gibt eine strenge Einteilung der Bilder. Das Ineinanderfließen der Panels, wie es Eisner beispielsweise in „Unsichtbare Menschen“ exzessiv betrieb, liegt ihr so gar nicht. Derartige Kompositionen erschweren die Rezeption durch den Leser, sagt Kreitz. Überhaupt sei das Lesen von Bildsequenzen nicht so leicht. „Comic ist nicht nur eine Schnittmenge aus Text und Bild. Der Comic hat seine eigenen Zeichen entwickelt. Das simultane Wahrnehmen von Bild und Text erfordert Übung wie das Lesen von Noten, Stadtplänen und anderen Text/Bild-Kombinationen.“ Kein anderes Medium fordere den Einsatz des Rezipienten derartig heraus, sei so interaktiv. "Stellt man nur zwei Bilder nebeneinander, wird zwanghaft ein Zusammenhang gesucht. Je weiter die Bilder inhaltlich auseinander liegen, desto mehr muss das Gehirn die Informationslücke zwischen den Bildern aus der eigenen Fantasie füllen. Man wird an der Geschichte beteiligt. Das ist die ganze Magie des Comics und macht ihn so faszinierend.“
Die Poetik-Vorlesungen werden im November fortgesetzt mit dem Zeichner Flix.
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