Nick Knatterton: Witze im Wirtschaftswunderland
Nick Knatterton war die populärste deutsche Comicfigur der 50er Jahre. Am 15. April wäre ihr Schöpfer Manfred Schmidt 100 geworden. Eine Ausstellung in Hannover erinnert noch bis zum 21. April an ihn.
Es geschah, so will es die Legende, in einer stürmischen Herbstnacht 1950. Von der Lektüre eines aus den USA importierten Superman-Comics „befruchtet“, behauptete Manfred Schmidt später, kam er in jener Nacht „unter einer Rotwein-Anästhesie ziemlich schmerzfrei mit dem spitzköpfigen Meisterdetektiv Nick Knatterton nieder“. In den folgenden Jahren entwickelte sich der so scharfsinnige wie schlagkräftige Comic-Ermittler mit dem karierten Anzug, dem halbmondförmigen Schädel und dem später zum geflügelten Wort gewordenen Ausruf „Kombiniere!“ zu einer der populärsten Kunstfiguren der deutschen Nachkriegsjahre, die durch Filme und Werbespots auch nachwachsenden Generationen noch ansatzweise vertraut ist.
Schmidt, der 1999 starb, wäre im April 100 Jahre alt geworden. Das Wilhelm-Busch-Museum Hannover würdigt sein Wirken mit einer umfangreichen Ausstellung, in der zahlreiche Originalzeichnungen und persönliche Dokumente zu sehen sind. Mehrere neu erschienene Bücher zeigen zudem, welch großen Einfluss Schmidt auf die Unterhaltungswelt der Nachkriegsjahre hatte und wie er den Deutschen das ihnen bis dahin kaum bekannte Medium Comic schmackhaft machte.
Propaganda für die Wehrmacht
Geboren in Bad Harzburg, hat er einige Jahre in Berlin gearbeitet und das Stadtleben zwischen Ku’damm und Friedrichstraße in Pressezeichnungen für „B.Z.“ und „Morgenpost“ festgehalten. Seit den späten 1930er Jahren machte er sich mit Witz- und Wimmelbildern einen Namen als Bilderzähler, im Krieg hat er Propagandabilder für die Wehrmacht gezeichnet. die allerdings kein glühendes NS-Pathos wiedergaben, sondern eher für gute Laune sorgen sollten.
Zu seinen Arbeiten nach dem Krieg, die ihn berühmt gemacht haben, hatte er aber ein gespaltenes Verhältnis. In einem Vorwort zu den gesammelten Knatterton-Strips, die im Wesentlichen zwischen 1950 und 1959 in der „Quick“ erschienen waren, schrieb er: „Ich nahm mir vor, diese primitivste aller Erzählformen so gründlich zu parodieren, dass den Leuten die Lust an der blasenreichen, auf Analphabeten zugeschnittenen Stumpfsinnliteratur verging.“ Hatte der patente Zeichner tatsächlich Vorbehalte gegen ein Medium, dessen Siegeszug in Deutschland mit Strips wie eben „Nick Knatterton“ oder der ab Herbst 1951 auf Deutsch erscheinenden „Micky Maus“ begann?
„Das war Koketterie“, glaubt Kai Gurski, Kurator der Schmidt-Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum. „Das Medium Comic war in jenen Jahren verrufen.“ Schmidt habe lediglich diesen Zeitgeist aufgenommen – und dem Medium dann doch ironisch seine Reverenz erwiesen. Und tatsächlich: Die in neun Jahren entstandenen 350 Knatterton-Folgen mit ihren vielschichtigen Anspielungen auf Kultur, Gesellschaft und Politik der Wirtschaftswunderjahre, ihren durch geschickte Wort-Text-Wechselspiele erzeugten ironischen Brechungen und ihrem für die damalige Zeit sehr modernen zeichnerischen Einfallsreichtum zeigen, dass dem selbsterklärten „Humoristen wider Willen“ das verpönte Medium nicht ganz so „stumpfsinnig“ erschienen sein kann wie behauptet.
„Der Schmidt ist eine echte Doppelbegabung.“
Angesichts von Schmidts Leistung als Comic-Pionier dürfte sein vernichtendes Urteil gegenüber dem eigenen Medium ähnlich viel Substanz haben wie die Schöpfungslegende von der stürmischen Herbstnacht 1950. In Wirklichkeit habe Schmidt selbst die Figur des Nick Knatterton bereits in illustrierten Kurzgeschichten in den 1930er Jahren verwendet, schreibt der Comic-Historiker Eckart Sackmann in seinem umfangreichen und doch kurzweilig zu lesenden Buch „Oh, Nick Knatterton – Das Leben des berühmten Meisterdetektivs“ (Comicplus-Verlag, 128 Seiten, 39 Euro), das zum Jubiläum soeben erschienen ist. Darin findet sich auch ein Bonmot Schmidts über sich selbst, das seine ironische Sicht auf die Welt illustriert: „Der Schmidt ist eine echte Doppelbegabung: Er kann nicht schreiben und nicht zeichnen.“
Aus heutiger Sicht wirken seine Knatterton-Geschichten, die von Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes ebenso inspiriert sind wie von Romanheftserien wie „Nat Pinkerton“ und „Nick Carter“, merkwürdig ambivalent: Einerseits transportieren sie mit ihrem anzüglichen Witz und ihrem chauvinistischen Frauenbild den Muff der 1950er Jahre. Andererseits wirken die ironische Selbstreferenzialität und der verspielte Umgang mit Sprechblasen, erklärenden Textkästen und teilweise experimentell anmutenden Bilderfolgen, mit denen Schmidt die Möglichkeiten des Mediums Comic auslotet, bemerkenswert modern.
Nachdenken macht pessimistisch
Seine wahre Liebe gehörte indes den Reisereportagen – auch weil der mit einer Comicserie verbundene ständige Termindruck und das Arbeiten am heimischen Schreibtisch offenbar seinem Naturell widersprachen. Nach neun Jahren „Nick Knatterton“ brachte er in seinen augenzwinkernd als „verschmidtst“ angepriesenen Reportagen seinen Lesern das europäische Ausland von Italien über den Balkan bis nach Großbritannien näher, das zu jenen Zeiten des erst beginnenden Massentourismus noch als kurios und exotisch verkauft werden konnte. Diese Berichte, die jetzt neu veröffentlicht wurden („Reisereportagen", Lappan-Verlag, 384 Seiten, 19,95 Euro), lesen sich heute ähnlich ambivalent wie die Knatterton-Comics, die als Gesamtausgabe ebenfalls bei Lappan vorliegen (432 Seiten, 24,95 Euro). In der Beschränktheit der Nachkriegsjahre, als ein Italien-Ausflug als Höhepunkt von Welterfahrung galt, vermitteln Schmidts Texte einen zeitlos wirkenden ironischen Blick auf den Menschen und seine Marotten.
Trotz des launig-humorvollen Tons merkt man gerade diesen von bösen Seitenhieben durchzogenen Reiseberichten an, dass der Humorist Schmidt eigentlich keine Frohnatur war, sondern einen ziemlich bösen Blick auf seine Umwelt warf. „Nachdenken führt automatisch zum Pessimismus“, hat er mal gesagt.
Vicco von Bülow alias Loriot – ein guter Freund Schmidts und im Alter auch dessen Nachbar am Starnberger See – hat das in einem Vorwort zu den jetzt wiederveröffentlichten Reisereportagen so zusammengefasst: „In meinem Freund Manfred verbindet sich eine romantische Leidenschaft für die große, bunte Welt mit tiefem Misstrauen gegenüber ihrer Haltbarkeit.“
Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover, bis 21. April, www.karikatur-museum.de
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