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"Akira" wurde oft als Metapher für die Chancen und Gefahren der Atomenergie interpretiert.
© 2004 Mash · Room. Kodansha Ltd., Tokyo
Update

„Akira“, „Dragon Ball“ und „Sailor Moon“: Wie der Manga nach Deutschland kam

Vor 25 Jahren erschien Katsuhiro Otomos „Akira“ auf Deutsch –  Auftakt eines bis heute anhaltenden Manga-Booms. Jetzt wird der Klassiker neu aufgelegt.

Es begann an einem bierseligen Sommerabend im Jahr 1987 am Hamburger Hafen. Andreas C. Knigge, damals Cheflektor des Carlsen-Verlags, saß mit dem Zeichner und Autor Matthias Schultheiss auf einem Ponton. „Als er das nächste Sixpack aus seinem quietschgelben Jeep holte, brachte er etwas mit, das wie ein Telefonbuch aussah“, erinnert sich Knigge, dessen Verlag damals vor allem für frankobelgische Klassiker wie „Tim und Struppi“ bekannt war. „Hast du eigentlich Akira schon gesehen?“, fragte Schultheiss.

In dem 2200-Seiten-Epos erzählt der Zeichner und Autor Katsuhiro Otomo mit realistisch gezeichneten Figuren, spektakulären Kontrasten und Panelschnitten sowie einer cineastischen Dramaturgie vom Überlebenskampf einer Gruppe Jugendlicher und Kinder. Sie haben teils übermenschliche Fähigkeiten und leben in einem postapokalyptischen Zukunfts-Tokio, in dem ein kleiner Junge namens Akira besonders verheerende Kräfte hat.

Knigge war begeistert und beschloss: Das will er in Deutschland veröffentlichen. Nach einigen Verhandlungen und viel Überzeugungsarbeit auch innerhalb des eigenen Hauses war es so weit: Ab dem April 1991 erschien „Akira“ auf Deutsch – damals noch nach US-Vorbild koloriert und der westlichen Leserichtung zuliebe mit gespiegelten Bildern. Es war nicht der erste Manga, der überhaupt auf Deutsch erschien; bereits 1982 hatte der Rowohlt-Verlag „Barfuß durch Hiroshima“ von Keiji Nakazawa veröffentlicht - aber erst die Veröffentlichung von „Akira“ und weiterer Reihen brachte dem japanischen Comic hierzulande größere Aufmerksamkeit.

Neu aufgelegt: Die Akira-Box.
Neu aufgelegt: Die Akira-Box.
© Carlsen

Das 25. Jubiläum feiert der Carlsen-Verlag jetzt mit einer Neuauflage der seitdem lange vergriffenen Farbausgabe von „Akira“. Die erschien damals 1991 parallel zur Deutschland-Premiere des gleichnamigen Zeichentrickfilms und verkaufte sich ordentlich. Bis zum kompletten Durchbruch des japanischen Comics in Deutschland sollte es allerdings noch ein paar Jahre dauern. „Der Sortimentsbuchhandel war irritiert, der Comic-Handel, an franko-belgische Zeichenkunst gewöhnt, lehnte das Thema teilweise sogar offensiv ab“, erinnert sich Knigge.

Dass Deutschland dann doch noch zu einem Manga-Land wurde, ist vor allem der Serie „Dragon Ball“ zu verdanken, die sechs Jahre nach „Akira“ auf Deutsch erschien. Die 8000 Seiten umfassende Abenteuer-Saga von Akira Toriyama war ein enormer Erfolg und rettete den damals wirtschaftlich schwächelnden Comicbereich von Carlsen „im Handstreich“, erinnert sich Knigge.

Das Besondere: Auf Druck der japanischen Rechteinhaber hatte Carlsen die japanische Leserichtung sowie die Schwarz- Weiß-Optik und das günstige Taschenbuchformat beibehalten – Teil eines Erfolgsrezepts, nach dem von da an viele andere Manga-Reihen in Deutschland veröffentlicht wurden. Knigge: „Da Erwachsene darüber nur den Kopf schütteln und die Finger davon lassen, konnte der Comic, der schon zu vergreisen drohte, wieder zur hippen Jugendkultur werden. Und mit einem Ladenpreis von 9,95 DM für Kids auch wieder erschwinglich.“

Ein Ende des Booms ist angesichts des anhaltenden Erfolgs von Serien wie „Tokyo Ghoul“ oder „Attack on Titan“ nicht in Sicht: Alleine zwischen 2014 und 2015 stiegen die Manga-Umsätze in Deutschland nach Angaben des Branchendienstleisters GfK um fast 15 Prozent – während der Umsatz des gesamten Buchhandels um 1,4 Prozent sank. Seit 2010 legten japanische und südkoreanische Comics um 58 Prozent zu.

Wer hätte das vor 25 Jahren gedacht? „Akira war für mich damals ein visueller Schock“, erinnert sich Kai-Steffen Schwarz, heute Programmleiter Manga bei Carlsen und 1991 Verkäufer in einem Comicladen. Die ungeheuer dynamische Erzählweise, die epische Länge, die Gewaltexplosionen – „es hat eine Weile gedauert, bis ich Manga goutieren konnte“.

Auch Joachim Kaps, der ab 1996 bei Carlsen „Dragon Ball“ betreute, dann lange den auf Manga spezialisierten Verlag Tokyopop leitete und dort kürzlich als Geschäftsführer zurücktrat, brauchte damals einige Zeit, um sich an die Ästhetik und die spezielle Erzählweise aus Japan zu gewöhnen: „Das war eine Revolution“, sagt er: „Ich dachte, ich hätte eine Ahnung von Comics – aber ich hatte bis dahin eine Hälfte der Comicwelt komplett ausgeblendet.“

Dass japanische Comics ab Mitte der 90er Jahre in Deutschland einen rasanten Aufstieg vor allem bei jüngeren Lesern erlebten, hing auch mit den Zeichentrickverfilmungen zusammen, Animes, die japanische Manga-Reihen schnell bei einer großen Zahl jugendlicher Konsumenten populär machten. „Mein Initialerlebnis waren ,Ghost in the Shell‘ und ,Sailor Moon‘, die ich als Anime gesehen habe und erst dann den Manga dazu entdeckte“, erinnert sich Martina Peters, Jahrgang 1985 und heute als Autorin und Zeichnerin eine der profiliertesten Vertreterinnen der deutschen Manga-Szene.

Das Mädchen im Mond. Kürzlich wurden die Abenteuer von Sailor Moon neu aufgelegt.
Das Mädchen im Mond. Kürzlich wurden die Abenteuer von Sailor Moon neu aufgelegt.
© Naoko Takeuchi/Kodansha

Inzwischen verkaufen sich immer mehr Mangas auch ohne Anbindung an Anime- Serien. Und es werden neben Titeln für Jugendliche immer mehr Titel für junge Erwachsene und ältere Leser veröffentlicht: „Die Manga-Leser sind mitgewachsen“, sagt Jonas Blaumann, Programmleiter Manga beim Egmont-Verlag. „Das sind nicht mehr nur die 12- bis 16-Jährigen, viele bleiben dem Manga treu bis in die 30er und darüber hinaus.“

Eine Zeit lang trugen Manga-Magazine in Telefonbuchformat wie das von Carlsen publizierte „Banzai“ zum Erfolg bei, die nach japanischem Vorbild Kapitel von Erfolgsserien wie „One Piece“ oder „Naruto“ damit verbanden, heimischen Nachwuchszeichnern ein Forum zu bieten: Der Beginn einer eigenständigen deutschen Manga-Zeichnerszene. „Ich habe ,Banzai‘ immer komplett von vorne bis hinten durchgeackert und bei jedem einzelnen Zeichenwettbewerb mitgemacht, das hat meinen Alltag bestimmt“, sagt David Füleki, ebenfalls Jahrgang 1985 und heute einer der erfolgreichsten und produktivsten deutschen Comicautoren, die vom Manga geprägt wurden.

Held mit menschlichen Schwächen: Naruto auf dem Cover des 66. Bandes.
Held mit menschlichen Schwächen: Naruto auf dem Cover des 66. Bandes.
© 1999 by Masashi Kishimoto / Carlsen

Stilistisch haben sich viele deutsche Mangaka inzwischen längst von den einstigen japanischen Vorbildern entfernt. Für David Füleki ist Manga zudem weit mehr als ein bestimmter Zeichenstil. „Zu meinen, Manga sei das mit den großen Augen, ist ein Trugschluss, ein Zerrbild“, sagt er. „Was Manga ausmacht, ist die besondere Art des Erzählens.“ Anders als bei frankobelgischen Comics ist der Aufbau oft filmischer, die einzelnen Panels enthalten weniger Informationen, es gibt nicht zuletzt dank des enormen Umfangs vieler Manga-Serien mehr Platz für Emotionen und ausgedehnte Handlungsfolgen. Inzwischen entdecke er viele Elemente dieser Erzählweise auch in anderen Kunstformen, sagt Füleki – zum Beispiel in den langen Handlungsbögen von TV-Serien wie „Breaking Bad“. Füleki: „Das gab’s im Manga schon in den 1960er Jahren – jetzt merkt der Rest der Welt es auch.“

Katsuhiro Otomo: Akira, Carlsen, Schwarz-weiß: 6 Bd. mit 2187 S., je 19,90 Euro. Farb-Ausgabe: 2208 S., 199,10 Euro.

Lars von Törne

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