Zukunft der Mobilität: Unser Auto – kann das weg?
Luftverschmutzung, Dauerstau und Klimawandel: Noch nie war das Auto so umstritten wie heute. Perspektiven eines Fortbewegungsmittels in der Krise - ein Dossier.
- Henrik Mortsiefer
- Matthias Schlegel
- Jens Tartler
Vom Luxusobjekt zum Massenprodukt: Vor mehr als 100 Jahren wurde in Deutschland das Automobil entwickelt. Als Fortbewegungsmittel ist es für viele aus dem Alltag nicht wegzudenken. Doch nun erzwingen Klimawandel, Luftverschmutzung und Dauerstau eine Verkehrswende. Debattiert wird über Fahrverbote und -beschränkungen, innovative Techniken – und die Kosten des Autofahrens. Die Autoindustrie, Rückgrat der deutschen Wirtschaft, muss sich neu erfinden.
In der Stadt: Autos müssen draußen bleiben
So könnte es in Zukunft sein: Für den Weg zur Arbeit, ins Wochenende oder in den Urlaub buchen wir die Verkehrsmittel unserer Wahl per Smartphone-App. Die Jüngeren schalten sich (im Sommer) vor der Haustür einen elektrischen Tretroller oder ein E-Bike frei, mit dem sie bis zur nächsten S-Bahn-Haltestelle gelangen. Die Älteren ordern ein Ride-Sharing- Shuttle, das man früher Sammeltaxi nannte. Für die Weiterfahrt am Bahnhof steht ein ICE zur pünktlichen Abfahrt (und Ankunft) bereit. Ticket, Reservierung, Anschlussverbindungen und ein vorbestelltes Frühstück im Bord-Restaurant sind im Mobiltelefon gespeichert.
Der Paketdienst, der mit einem Elektro-Kleintransporter (inklusive Zustelldrohne) unterwegs ist, wird am Nachmittag eine Tüte online bestellter Lebensmittel in einem gekühlten Schließfach im Bahnhof zur Abholung deponieren. Für die Rückkehr vom Bahnhof nach Hause plant man am Abend eine Kurzstrecke mit dem elektrischen Carsharing-Fahrzeug oder -Scooter. Und nicht mehr lange, dann fahren Shuttle, S-Bahn und ICE autonom. Selbst hinters Steuer muss dann niemand mehr.
Ein eigenes Auto kaufen – warum?
In der Zukunftsvision des Stadtverkehrs kommt der Individualverkehr mit dem eigenen Pkw nur am Rande vor. Die Alternativen, so wird angenommen, sind attraktiv und komfortabel genug, um das eigene Auto überflüssig zu machen. An die Stelle des Eigentums von Fortbewegungsmitteln tritt die Nutzung von Mobilitätsdiensten – überall, rund um die Uhr und vernetzt. Stickoxid-Emissionen, Feinstaub und Lärm sollen dann der Vergangenheit angehören. Die Stadt, die jahrzehntelang entlang der Autostraßen geplant und gebaut wurde, wird als Lebensraum für Menschen zurückerobert.
So weit die Vision. Tatsächlich ist die Eroberung der Städte kein Zivilisationstraum, sondern in vielen Teilen der Welt eine Horrorvorstellung. Lebt heute gut die Hälfte der Weltbevölkerung (55 Prozent) in Städten, werden es im Jahr 2050 nach Prognosen der Vereinten Nationen (UN) mehr als zwei Drittel (68 Prozent) sein. Gemessen an der heutigen Zahl der Erdbewohner wären dies mehr als fünf Milliarden Menschen. Schon im Jahr 2030 wird es laut UN dann 43 Städte auf dem Globus mit mehr als zehn Millionen Einwohnern geben.
Die Vorstellung, die Mobilitätsbedürfnisse der Bewohner dieser Mega-Citys ließen sich vor allem mit Autos befriedigen, ist naiv. Eine Ahnung, wohin alle diese Städte steuern würden, vermitteln heute schon chinesische Metropolen. In der Volksrepublik hat sich die Zahl der Autos von 59 Millionen im Jahr 2007 auf heute mehr als 300 Millionen vervielfacht. China ist inzwischen der weltgrößte Absatzmarkt der Autoindustrie. Das hat fatale Folgen im Alltag: Zehn der 25 staureichsten Städte der Welt liegen in China. Auf den Straßen von Peking oder Schanghai bewegt sich im Dauerstau häufig nichts mehr.
Damit nicht immer mehr Städte am Verkehr kollabieren, denken Forscher und Stadtplaner über Lösungen nach. Sie entwerfen Modelle einer Smart City, deren Bewohner trotz des Wachstums mobil und gesund bleiben. Das Internet vernetzt öffentlichen und privaten Verkehr, optimiert die Lieferketten. Daten in Echtzeit füttern intelligente Leitsysteme, die den Verkehr flüssiger machen – oder vermeiden. Start-ups und Datenkonzerne drängen in den Markt mit neuen Geschäftsmodellen. Und die Automobilhersteller sehen plötzlich alt aus – ihr wichtigstes Produkt wird bald nicht mehr die Hauptrolle spielen. (Henrik Mortsiefer)
Auf dem Land: Ohne Auto geht es nicht
Auf dem Land: Ohne Auto geht es nicht
Wer hier wohnt oder wer hierher zieht, sucht die Ruhe weitab von den verkehrsreichen Magistralen, genießt die Idylle an den nahe gelegenen Seen und Kanälen. Das in der Mitte des 18. Jahrhunderts von Friedrich dem Großen gegründete Marienwerder, dessen hier angesiedelte Bewohner einst als Spinner die preußische Wollproduktion ankurbeln sollten, liegt 50 Kilometer nördlich des Berliner Stadtzentrums. Mit der Spinnerei ist es längst vorbei und auch die Schifferei nährt die rund 1700 Einwohner der amtsangehörigen Gemeinde nicht mehr. Arbeitsplätze gibt es hier nur noch wenige, die meisten Leute im arbeitsfähigen Alter pendeln in die nächstgelegenen größeren Städte wie Eberswalde oder Bernau oder nehmen den längeren Weg in die Hauptstadt auf sich.
Das Auto gehört hier in den Familien zur selbstverständlichen Grundausstattung. Meistens sind es zwei pro Familie. Zwar ist die Busanbindung nach Bernau, Eberswalde, Groß Schönebeck oder Wandlitz recht gut. Sie wird aber vor allem von den Jungen und Mädchen genutzt, die in die weiterführenden Schulen fahren. Für die Kleinen gibt es am Ort eine Grundschule und eine Kita, die schon fast eine familiäre Atmosphäre ausstrahlen.
Den Alltag mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen wäre möglich, aber enorm aufwendig. Bis zum nächst gelegenen Bahnhof der Heidekrautbahn, die das nördliche Umland mit Berlin verbindet, sind es rund vier Kilometer. Sie bringt die Reisenden in 35 Minuten bis zum S-Bahnhof Berlin-Karow, dort muss man umsteigen. Selbst wer als Freiberufler wie ich nur gelegentlich nach Berlin muss, mag nicht auf das eigene Auto verzichten.
Für den Familieneinkauf ist das Auto erst recht unentbehrlich. Zwar bekommt man das Allernötigste im ortsansässigen Backwarenladen oder im kleinen Lebensmittelgeschäft. Aber die nächsten Supermärkte sind sieben Kilometer (Zerpenschleuse), zehn Kilometer (Finowfurt) und 15 Kilometer (Klosterfelde) entfernt.
Meistens lohnt es sich tagsüber gar nicht, das Auto in die Garage zu fahren: Da ist der Arztbesuch in Bernau, die Fahrt zum Sportverein in Wandlitz, aus dem Baumarkt in Finowfurt sind noch Glühbirnen und Schrauben zu holen, und abends ins Kino oder ins Konzert schafft man es auch nur mit dem Pkw. Ach ja, der nächste Geldautomat ist zehn Kilometer entfernt, genauso weit ist es bis zur Post. Bis zur nächsten Apotheke muss man 15 Kilometer fahren. Da heißt es, sich die Route gut zu überlegen, bevor man den Motor anlässt. Die älteren Leute im Ort, die nicht mehr mobil sind, lassen sich die Einkäufe meistens von ihren Angehörigen mitbringen. Oder der nette Schwiegersohn fährt die alte Dame mit seinem Wagen einmal pro Woche zum Großeinkauf zum nächsten Discounter.
Da grenzt es schon an Heldentum, wenn einer – und diesen Fall gibt es tatsächlich – täglich mit dem Fahrrad von Marienwerder nach Berlin-Buch zur Arbeit fährt: 30 Kilometer hin, 30 Kilometer zurück. Es darf bezweifelt werden, dass dieses Beispiel zum allgemeingültigen Zukunftsmodell taugt. (Matthias Schlegel)
Für die Wirtschaft ist die Autobranche eine Großbaustelle
Als Wirtschaftsfaktor: In der Werkstatt
Der Verkehrsminister wünscht sich einen „Elektro-Käfer-Effekt“. Gefragt seien „kleine, praktische Elektroautos, die sich jeder leisten kann“, sagte Andreas Scheuer (CSU) beim Neujahrsempfang des Autoverbandes VDA diese Woche in Berlin. „Wann bekommen wir mehr von diesen Modellen?“, fragte Scheuer. Eine Antwort gab er sich selbst: Es müsse bald geschehen.
Andernfalls drohe die deutsche Automobilindustrie ihre „Offensivkraft“ zu verlieren. Der „industrielle Leuchtturm“ stehe für den Wohlstand des Landes. Und dieser Wohlstand, so darf man Scheuer wohl verstehen, hängt künftig nicht mehr am Verbrennungsmotor, sondern an Elektroautos, die – wie der VW Käfer – massentauglich werden müssen.
Dass es BMW, Daimler, Volkswagen & Co. bislang nicht eilig hatten auf ihrem Weg in die batteriebetriebene Zukunft, hat sich herumgesprochen. Rückblickend war dies für das Autoland auch kein Nachteil. Die glänzenden Geschäfte der Automobilhersteller und ihrer Zulieferer im In- und Ausland sind eine tragende Säule der Volkswirtschaft.
Im vergangenen Jahr erwirtschaftete die Branche mit mehr als 800.000 Beschäftigten einen Umsatz von mehr als 420 Milliarden Euro. Das war – abzüglich der Erlöse im Ausland – ein Viertel des gesamten deutschen Industrieumsatzes. Drei Viertel aller hierzulande produzierten Neuwagen werden im Ausland verkauft, die meisten in Großbritannien. Fahrzeuge und -teile machen etwa ein Fünftel des gesamten deutschen Exports aus. Auch bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung ist die deutsche Autoindustrie führend.
So gehörten Volkswagen und Daimler im vergangenen Jahr zu den Top 20 Unternehmen in der Welt mit den höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung – vor allem in die Elektromobilität, in alternative Antriebe und das autonome Fahren. Auf mehr als 40 Milliarden Euro pro Jahr summierten sich zuletzt die Forschungsausgaben der deutschen Autobranche – mehr als ein Drittel aller Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Kurzum: An der Abschaffung des Autos kann niemandem gelegen sein, dem das wirtschaftliche Wohl des Landes am Herzen liegt. Darum geht es auch gar nicht. Die Branche, von der mittelbar weit mehr Jobs als als die der gut 800.000 direkt Beschäftigten abhängen, wird für sehr lange Zeit noch Fahrzeuge produzieren und verkaufen. Doch es werden vor allem Elektroautos sein, die technisch weniger komplex sind, die von weniger Menschen gefertigt werden können und die – getrieben von digitalen Dienstleistungen – auf anderen Wegen zum Kunden gelangen als bisher. Und die Produktion könnte weiter ins Ausland verlagert werden, wo die deutsche Autobranche schon heute laut VDA mehr als 2.400 Produktionsstätten hat.
Diese Umstellung vom Verbrennungs- zum E-Motor hat weitreichende Folgen für die gesamte Wirtschaft. Laut einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem vergangenen Jahr drohen durch den Wandel in den kommenden gut 15 Jahren netto rund 114.000 Jobs in Deutschland verloren zu gehen. Vor allem im Fahrzeugbau würden mit 83000 die meisten Arbeitsplätze wegfallen. Die Studie nimmt an, dass der Marktanteil von E-Autos im Jahr 2035 bei 23 Prozent liegen wird. Volkswagen zum Beispiel will ab 2026 die letzte Produktion für Verbrennungsmodelle starten und ab 2040 keine Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmotor mehr verkaufen. Laut IAB dürften der Volkswirtschaft bis 2035 rund 20 Milliarden Euro verloren gehen, was etwa 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Zu ähnlichen Prognosen gelangt auch die IG Metall, selbst wenn berücksichtigt wird, dass die Elektromobilität und die Transformation der Mobilität in den kommenden Jahren auch zahlreiche neue Arbeitsplätze und -formen schaffen: Die Gewerkschaft rechnet mit 40.000 Jobs bis 2030.
Doch die Autohersteller sind zusätzlich unter Druck. Nach der Verschärfung der EU-Grenzwerte für das Klimagas Kohlendioxid (CO2), wonach dessen Emissionen im Flottenschnitt im kommenden Jahrzehnt um weitere 37,5 Prozent sinken sollen, muss die Autoindustrie noch schneller auf Elektroautos umsteigen als geplant. VW-Chef Herbert Diess hat angekündigt, dass der Konzern das Tempo der Umstellung nun erhöhen muss. Auch Daimler rechnet bei seiner Pkw-Tochter Mercedes-Benz damit, E-Autos schneller auf den Markt bringen zu müssen. Bisher hatte Mercedes eine Absatzspanne von 15 bis 25 Prozent bis 2025 geplant.
Daimlers Personalchef Wilfried Porth warnt dennoch vor „Panikmache“ und hält die Schätzungen zu drohenden Jobverlusten für übertrieben. So seien die Entwicklung über Altersteilzeit oder Qualifizierungen beherrschbar, sagte Porth am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters.
Tatsächlich bieten Elektromobilität, Digitalisierung und das autonome Fahren viele Chancen für neue Jobs – allerdings vor allem für höher qualifizierte Fachkräfte. Die Branche sucht schon heute Absolventen aus dem IT-Bereich. Aber auch Juristen, die sich mit Produkthaftung, Patenten und Lizenzen befassen. Oder Autodesigner, die die Innenausstattung der E-Autos entwerfen, werden benötigt. Volkswirtschaftler, Ingenieure, Maschinenbauer und Elektrotechniker oder Chemiker sind ebenso gefragt.
Einfache Arbeiten am Produktionsband werden hingegen immer weniger gebraucht. Und auch die Hoffnung, der Aufbau einer eigenen Batteriezellenfertigung am Standort Deutschland werde viele neue Arbeitsplätze schaffen, trügt. In den Zellfabriken arbeiten überwiegend Roboter. (Henrik Mortsiefer)
Strom ist als sauberer als Benzin
Als Umweltsünder: Verbesserungsfähig
Für Gegner der Elektromobilität schien es wie ein Geschenk des Himmels: Eine Studie des schwedischen Umweltforschungsinstituts IVL hatte ergeben, dass die Produktion eines E-Auto-Akkus mehr als 17 Tonnen CO2 verursacht. Die sogenannte „Schweden-Studie“ wurde begierig aufgegriffen, zum Beispiel in der „Welt“. Auch Industrievertreter bezogen sich auf das Werk.
Das Problem: Die Zahl tauchte in der Studie gar nicht auf, sondern wurde von einem schwedischen Journalisten in Umlauf gebracht. Und der räumte später selbst ein, dass es völlig falsch war, den Akku eines Tesla Model S mit einer Kapazität von 100 Kilowattstunden (kWh) als Maßstab für ein durchschnittliches E-Auto heranzuziehen – ganz abgesehen davon, dass Teslas Gigafactory mit erneuerbaren Energien arbeitet, wie Unternehmenschef Elon Musk empört twitterte.
Selbst wenn man nicht 100 Prozent Ökostrom annimmt, schneidet das E-Auto nicht schlecht ab. Der koreanische Batteriezellen-Hersteller LG Chem legte seine Daten offen: Für die Herstellung des Akkus mit einer Kapazität von 24 kWh für den elektrischen Ford Focus wurden 3,2 Tonnen CO2 freigesetzt. Diese Menge stößt ein Benziner mit knapp sieben Litern Verbrauch mit einer Strecke von 20000 Kilometern aus.
Das Fachmagazin „Edison“ vom „Handelsblatt“ hat in einer Modellrechnung untersucht, wie viel CO2 Kompaktwagen mit E-Antrieb, Benzin- oder Diesel-Motor über ihre gesamte Fahrstrecke von 200000 Kilometern emittieren. Der Benziner mit einem Verbrauch von sieben Litern kommt auf gut 32 Tonnen, der Diesel bei 5,5 Litern Verbrauch auf 29 Tonnen. Der Stromer benötigt 14 kWh für diese Strecke und stößt in seinem ganzen Autoleben 14 Tonnen CO2 aus. Dabei wurde der deutsche Strommix von 2017 zugrunde gelegt. Würde man das E-Auto mit Ökostrom betreiben, läge der Ausstoß bei nur 1,4 Tonnen.
Das ist eigentlich der Normalfall: Die Betreiber von Ladesäulen wie Ionity, das Joint Venture der Autohersteller VW, BMW, Daimler und Ford, arbeiten ohnehin mit Strom aus erneuerbaren Energien. BMW bietet seinen E-Auto-Käufern Elektrizität von Naturstrom an und produziert auch seine Modelle i3 und i8 CO2- neutral. Das planen auch VW und Porsche für ihre künftigen Elektroautos.
Die Klimabilanz ist also eindeutig positiv. Aber wie sieht es aus mit Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder Nickel, die für die Produktion der Akkus gebraucht werden? Die benötigten Mengen werden enorm ansteigen, wenn zwischen 2020 und 2030 Millionen E-Autos auf die Straßen kommen. Die Reserven dieser Rohstoffe werden zu einem deutlich höheren Prozentsatz als heute angegriffen, sagten die Experten auf dem Batterieforum vor wenigen Tagen in Berlin. Sie schlugen deshalb aber nicht Alarm: Es werden immer neue Vorkommen und Techniken zum Abbau entdeckt. Außerdem versuchen die Forscher, die knappen Materialien durch andere wie Magnesium, Natrium und Aluminium zu ersetzen. Und was den Abbau von Kobalt angeht, der vor allem im Kongo teilweise mit Kinderarbeit betrieben wird, so haben sich viele Autohersteller wie BMW und VW verpflichtet, nur Batteriezellen einzukaufen, die unter einwandfreien Bedingungen hergestellt wurden.
Wer immer noch nicht von der E-Mobilität überzeugt ist, verweist gerne auf den Brennstoffzellenantrieb oder synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Ökostrom produziert werden könnten. Aber Autos, die mit Wasserstoff oder E-Fuels laufen, verbrauchen unter dem Strich wesentlich mehr Strom als E-Autos mit batterieelektrischem Antrieb. Die sogenannten Umwandlungsverluste bei der Produktion von grünem Wasserstoff und E-Fuels sind so hoch, dass man sie für Flugzeuge oder Schiffe reservieren sollte. Da ist der Einsatz von Akkus nicht sinnvoll, weil sie zu schwer sind. Jens Tartler
Aus der Sicht des Mobilitätsforschers: „Auch E-Autos stehen im Stau“
Aus der Sicht des Mobilitätsforschers: „Auch E-Autos stehen im Stau“
Stefan Bratzel ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule <QA0>
der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Herr Bratzel, warum tun sich Autohersteller so schwer mit der Zukunftsgestaltung?
Die Branche befindet sich in der größten Transformation seit der Erfindung des Autos. Ob Technik, Geschäftsmodell oder die Konkurrenzsituation – in dieser Intensität gab es noch nie so viele Veränderungen auf einmal. Die hohen Investitionen in die Elektromobilität sind ein großes Risiko. Hinzu kommen Handelskonflikte oder der Brexit, die die Zukunft schwer berechenbar machen.
Hat der Verbrennungsmotor Zukunft?
Er steht derzeit natürlich klar in der Kritik. Wir sollten jetzt aber nicht verfrüht seinen Tod ankündigen. Aus meiner Sicht wird er noch ein paar gute Jahre haben. Klar ist, dass die Elektromobilität in den nächsten Jahren massiv an Fahrt aufnehmen wird.
2022 sollen laut Regierung eine Million E-Autos unterwegs sein. Ist das realistisch?
Die Chancen dafür stehen ganz gut. Große Hersteller wie Volkswagen oder Daimler sind dann mit neuen Modellen auf dem Markt. Wir gehen davon aus, dass in einem positiven Szenario im Jahr 2030 die Hälfte aller Neuzulassungen Elektrofahrzeuge sein könnten. Das bedeutet aber auch, dass die andere Hälfte immer noch Verbrenner sind. Bis dahin gibt es gerade für die deutschen Autobauer noch viel zu tun.
In Norwegen fährt bereits jeder zweite Neuwagen elektrisch. Warum tun sich die Deutschen so schwer?
In Deutschland mangelt es weniger an der Nachfrage, sondern am Angebot. Der Markt wird zu weiten Teilen von deutschen Anbietern dominiert. Keines ihrer Modelle kann es derzeit mit einem Verbrenner aufnehmen. Sie sind zu teuer oder haben nicht genug Reichweite. Zudem gibt es immer noch viel zu wenige Ladesäulen. Ich nenne das das RIP-Problem: Reichweite, Infrastruktur, Preis – oder auch Rest in Peace für die Elektromobilität, falls diese Probleme nicht gelöst werden.
Sind E-Autos das Allheilmittel?
Ich bin eigentlich ein Freund der Elektromobilität, aber wir dürfen nicht aus ideologischen Gründen eine Antriebsart der anderen vorziehen. Wir müssen in einer umfassenden Umweltbilanz die verschiedenen Technologien nüchtern miteinander vergleichen. Und zwar „from cradle to grave“ – also von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Verschrottung des Autos. Dann wird auch erkennbar, dass die Elektromobilität nicht nur Vorteile hat.
Welche Rolle spielen andere Antriebsarten?
Kaum eine, und das zu Unrecht. Die Brennstoffzelle ist gerade für größere Fahrzeuge oder für lange Strecken eine interessante Alternative. Toyota und Hyundai bieten bereits Serienmodelle an, bislang sind diese aber nicht wettbewerbsfähig und es fehlt an einer Infrastruktur. Bei den deutschen Herstellern spielt diese Technologie eine Nischenrolle. Fast alle Ressourcen gehen in die Elektromobilität.
Viele Städte können die Automassen kaum bewältigen. Braucht es nicht eher weniger Autos?
Wir müssen ein Gesamtkonzept für den Verkehr entwickeln und keine isolierten Einzelmaßnahmen. Der Verkehr wird in den nächsten Jahren massiv zunehmen. Die Belastungsgrenze ist aber in vielen Städten schon erreicht. Da helfen auch keine E-Autos, die stehen auch im Stau.
Wie könnte so ein Konzept aussehen?
Für Metropolen müssen die Angebote für öffentliche Verkehrsmittel ausgebaut werden. Wir brauchen eine Vernetzung des Individualverkehrs mit dem öffentlichen Verkehr. Ein Stichwort heißt „Ride-Sharing“. Dabei werden Park-and-Ride-Anlagen mit modernen Apps verbunden, damit immer mindestens zwei Leute im Auto sitzen, wenn sie in die Stadt fahren. Diese könnten dann bevorrechtigt werden. Ein ähnliches Konzept gibt es mit den Carpool-Lanes in den USA bereits seit Ewigkeiten. Das sind spezielle Fahrspuren, auf denen nur Autos fahren dürfen, in denen zwei oder mehr Leute sitzen. Längerfristig muss es Beschränkungen geben – zumindest für bestimmte Zeiten. Bevor man mit der Verbotskeule kommt, müssen aber Alternativen angeboten werden.
Sind die Hersteller bereit für so einen massiven Wandel?
Die zentrale Frage ist: Werden sie es schaffen, Mobilitätsplattformen zu entwickeln, die genug Kunden nutzen? Für das angesprochene Sharing-Modell oder auch das autonome Fahren braucht es eine Menge Know-how und vor allem jede Menge Daten. Auf dem Markt kämpfen sie aber nicht nur gegen die anderen Hersteller, sondern gegen die Big-Data-Player. Google, Apple, Tencent oder Alibaba haben einen großen Vorsprung bei Software, Kundendaten oder künstlicher Intelligenz. Das ist für mich die größte Bedrohung für die Autobauer, denn sie müssen ihr komplettes Geschäftsmodell ändern.
Das Interview führte Patrick Reichelt.
Und wenn es fliegen könnte?
Und wenn das Auto fliegen könnte?
Das fliegende Auto ist ein alter Menschheitstraum. In der Popkultur haben fliegende Autos schon lange ihren festen Platz. In den 60er Jahren bewegte sich die Familie Jetson in der gleichnamigen Comicserie so von A nach B. Kinogeschichte schrieben Blockbuster wie „Blade Runner“ und das „Das Fünfte Element“. In Zukunft könnten wir Elektro-Flugtaxis per App buchen: Das globale Rennen um das erste serienreife Lufttaxi läuft längst – deutsche Firmen wie Lilium und Volocopter rangeln mit amerikanischen und chinesischen Rivalen um die Pole Position. Auch Airbus, Boeing und Toyota mischen mit und investieren Millionen. In Dubai, wo Volocopter seinen Flieger testet, und in Singapur gibt es bereits Gedankenspiele für den Nahverkehr. Statt im Stau zu stehen, könnten die Einwohner der Megacitys dort bald von Wolkenkratzer zu Wolkenkratzer fliegen. Wer weiß – vielleicht wird es auch in Berlin in einigen Jahren Shuttledienste mit Flugtaxis geben. Wobei, wir sind ja in Berlin: Es könnte auch noch einige Jahrzehnte dauern. (Felix Wadewitz)