Jamaika-Sondierungen: Parteien wollen ländliche Räume stärken
Union, FPD und Grüne wollen im Falle einer Regierungsbildung Kommunen und strukturschwache Regionen stärken. In der Verkehrspolitik liegen sie hingegen noch weit auseinander.
- Cordula Eubel
- Carsten Werner
Als CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegen Mittag vor der Parlamentarischen Gesellschaft eintrifft, warten die Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace schon hinter den Absperrgittern. „Tierfabriken stoppen“, rufen sie den Jamaika-Verhandlern zu, die an diesem Mittwoch zum ersten Mal über Landwirtschaft beraten. Zeitgleich haben ihre Mitstreiter die CDU-Zentrale mit Fotos von Schweinen in Massentierhaltung beklebt. „Lasst die Sau raus“, heißt ihr Appell für mehr Tierschutz.
Die Grünen gehen mit der Forderung nach einer Agrarwende in die Gespräche. Für Verhandlungsführerin Katrin Göring-Eckardt ist nicht zuletzt das Artensterben Beleg dafür, dass sich etwas ändern muss. Wie in Deutschland Landwirtschaft betrieben werde, sei „ein riesiges Problem“, unter anderem wegen der Monokulturen und des Einsatzes von Pestiziden. Man müsse mit den Bauern gemeinsam zu einer neuen Art Landwirtschaft kommen: „Die Leute müssen wissen, was sie auf dem Teller haben.“
Dass die Gespräche über Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Verkehr nicht einfach werden, bringt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Morgen gleich auf den Punkt: Auf die Frage, wie nah sich Grüne und seine CSU in Sachen Agrar seien, sagt er nur: „Beim Verzehr der Produkte glaube ich sehr.“
Wie geht Verbraucherpolitik auf jamaikanisch?
In der Ökopartei hofft man, in der CSU Verbündete für die bäuerliche Landwirtschaft zu finden. Deren Landwirtschaftsminister Christian Schmidt schlug im Deutschlandfunk vermittelnde Töne an: „Wir wollen auch und gerade konventionelle Landwirtschaft, die nachhaltig sein muss“, sagte er. Doch wenn es konkret wird, warten noch etliche Konflikte.
Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen gerieten in der Sitzung CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und Robert Habeck, der grüne Umweltminister in der schleswig-holsteinischen Jamaika-Koalition, aneinander. Habeck habe sehr grundsätzlich gesprochen und dafür plädiert, zunächst keine gemeinsamen Agrar-Leitlinien zu Papier zu bringen. Daraufhin habe Scheuer ihm eine destruktive Verhandlungsführung vorgeworfen und erklärt, der Grüne habe schon vergangene Woche ein Papier zu Klima und Energie verhindert. Im Anschluss bemühten sich beide Seiten aber um Deeskalation. Sowohl aus den Reihen der Union wie aus jenen der Grünen hieß es, der Streit sei nur halb so schlimm gewesen. NRW-Regierungschef Armin Laschet (CDU) sagte, die Gesprächsatmosphäre sei weiterhin angenehm - „das Klima ist immer noch gut“.
Ländliche Räume sollen gestärkt werden
Einigkeit bestand am Mittwoch zwischen Union, FDP und Grünen darüber, dass Kommunen und strukturschwache Gebiete verstärkt unterstützt werden sollen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte, alle Seiten seien sich einig, dass mehr Wohnungen entstehen müssten. Auch er beschrieb die Atmosphäre der Verhandlungen als „gut und konstruktiv“. Kommunen sollten bei sozialen Kosten und Flüchtlingshilfen weiter entlastet werden. Die Jamaika-Sondierer wollen ein Maßnahmenpaket besprechen, um eine ausreichende Infrastruktur im ländlichen Raum zu gewährleisten. Zudem soll der Bundesfreiwilligendienst und Freiwilligendienste auf Europäischer Ebene ausgebaut werden.
„Unser Ziel ist es, für ausreichenden bezahlbaren und geeigneten Wohnraum für alle zu sorgen und auch Eigentumsbildung gerade für Familien zu ermöglichen“, heißt es in einem Leitlinien-Papier von CDU, CSU, FDP und Grünen vom Mittwochabend. Noch nicht einig sind sich die vier Parteien über die Instrumente beim Wohnungsbau. Der Bund könnte Grundstücke für Wohnbauflächen günstig bereitstellen und für den Wohnungsbau steuerliche Anreize setzen, gezielt in sozialen Mietwohnungsbau investieren. Der Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun (CDU) betonte die Wichtigkeit der besseren Förderung von Familien etwa über ein Baukindergeld.
Zoff zwischen FDP und Grünen über "Bild" und Twitter
Außerhalb des Verhandlungsraums war das nicht durchgehend so. FDP-Chef Christian Lindner hält den Grünen in der "Bild"-Zeitung vor, mit ihrer Flüchtlingspolitik in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig zu sein. Ihre Positionen seien „ein Konjunkturprogramm für die AfD“; der Familiennachzug müsse ausgesetzt bleiben, „weil wir in Schulen und beim Wohnen an der Grenze sind“. Parteichefin Simone Peter twitterte umgehend: „Lindner ledert gegen Grüne. Für's Zurückledern ist das dann aber doch zu flach“, der grüne Europapolitiker Reinhard Bütikofer schrieb auf Twitter kurz und knapp: „Sehe nicht, wozu diese #Lindner-Breitseite gut sein soll. Dass er uns so beeindruckt, kann er nicht glauben.“
In der Verkehrspolitik liegen die Parteien weit auseinander
Auch in der Verkehrspolitik stellte sich Lindner in Opposition zu den Grünen: Mit der FDP werde es keine Fahrverbote für Diesel geben, man müsse sich „notfalls bei noch strengeren EU-Grenzwerten mehr Zeit lassen“. Die Luft sei auch „schon so gut“. Der Verkehr solle durch Elektrifizierung und Digitalisierung ökologischer gemacht werden, etwa mit intelligenten Verkehrsleitsystemen. Der FDP-Chef begrüßte, dass die Grünen ihre Forderung nach einem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030 in den Verhandlungen bislang nicht „ernsthaft vorgetragen“ hätten. Der CSU-Verhandlungsführer beim Thema Verkehr, der noch geschäftsführend tätige Verkehrsminister Alexander Dobrindt bezeichnete die von ihm eingeführte Pkw-Maut als unverhandelbar. Auch er lehnt auch die Forderung der Grünen ab, ab 2030 nur noch Neuwagen zuzulassen, die emissionsfrei sind.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kündigte an, die Grünen würden für Hardware-Nachrüstungen an Dieselautos zur besseren Abgasreinigung für die blaue Plakette und einen Weg zur abgasfreien Mobilität streiten: „Fortschritte in diesen Bereichen sind für uns absolut entscheidend.“
Sind jetzt alle Themen einmal durch?
Am Donnerstag stehen die letzten Themenblöcke der ersten Verhandlungsrunde an: „Außen, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit, Handel“ und „Familie, Frauen, Senioren, Jugend“. Die Themen Landwirtschaft und Verkehr sollen ebenfalls am Donnerstag noch einmal aufgerufen werden.
Der strittige Komplex Migration, Flucht und Integration wurde dagegen weiter vertagt und soll zunächst in kleinster Chefrunde weiter beraten werden. Zu Klima, Energie und Umwelt soll eine kleine Fachgruppe tagen. Mit der Verschiebung soll verhindert werden, dass die Verhandlungen zu den übrigen Sachthemen unnötig ausgebremst werden.
(mit dpa/AFP)