Parship-Gründer Hugo Schmale: "Nichts ist toter als ein erfüllter Wunsch"
Er entwickelte den Parship-Fragebogen, 15 Millionen Menschen auf der Suche nach Liebe füllten ihn aus. Hugo Schmale über Amor und Algorithmus.
Herr Schmale, Sie haben das Paarungsverhalten der Deutschen maßgeblich verändert. Sind Sie erschrocken über Ihren Erfolg?
Ach, ich habe die Partnersuche nur ein bisschen auf die Füße gestellt. Will man sich verlieben, muss man sich ja erst mal selbst kennenlernen – wie soll ich jemanden für mich wählen, wenn ich nicht weiß, wer ich bin? Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, was ich da für Gründe hatte, mir ein Mädchen auszugucken – nee …
Auf welchen Typ standen Sie denn?
Lauren Bacall. Also habe ich mich gekleidet wie Humphrey Bogart, mit Trenchcoat. Ich dachte, dann kriege ich so etwas. Bacall wurde in Filmen als begehrenswerte Frau inszeniert. Unsere Ideale sind uns nicht angeboren, sondern wir erlernen sie. Und das ist richtig so. Das ist unsere Kultur.
Heute gehen Sie die Liebe mathematisch an: Auf der Basis von Persönlichkeitstests haben Sie einen Algorithmus entwickelt, nach dem Parship, Deutschlands erste und größte Internet-Partnerschaftsvermittlung, Partnervorschläge zusammenstellt.
Liebe kann nicht nach einer Formel gefunden werden. Eine Formel kann aber hilfreich sein, leichter zur Liebe zu kommen. Mir wäre es übrigens lieber, mit dem Wort „Liebe“ zurückhaltender umzugehen.
Schreiben Sie nicht gerade selbst an einem Sachbuch über das Thema?
Nein. Ein Verlag hatte mich darum gebeten. Daraufhin bin ich über Monate durch Buchhandlungen gestreift. Dort habe ich so viel und vor allem so viel Blödsinniges über die Liebe gefunden, dass ich das Buchprojekt wieder absagte. Natürlich gibt es auch viel Gutes darüber zu lesen, von Niklas Luhmann zum Beispiel, dem Systemtheoretiker, doch das Gute ist immer voller Skepsis. Das ist nicht das, was die Ratgeber-Literatur an Bahnhöfen und Flughäfen verkaufen will.
Auch heute Morgen lag am Kiosk viel zum Thema Liebe. Von der „Bunten“, die vermeldete, dass Prinzessin Carolines Tochter einen Millionärssohn „liebt“, bis zu „Geo Wissen“ mit dem Titelthema „Liebe – der Traum vom gemeinsamen Glück“.
Das ist so wie mit der Ernährung. Im Fernsehen läuft eine ungeheure Menge an Kochsendungen, aber kaum einer kocht noch. Das zeigt, dass Essen etwas Mythisches ist, das wir lieben, doch wir wollen nichts mehr dafür tun. Deshalb lassen wir es im Fernsehen ablaufen. Auch die Liebe ist uns zu kompliziert geworden, ich meine die romantische Liebe, von der alle reden – und dann muss Rosamunde Pilcher sie realisieren.
Luhmann glaubte, dass die romantische Liebe eine Erfindung der Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts sei, die anderen hätten sie übernommen.
Damals suchte man sogar das Unglücklichsein, weil das in den Romanen beschrieben wurde. Goethes Werther. Das Gefühl schien so tief.
Für Luhmann ist Liebe gar kein Gefühl. Was sagen Sie als Psychologe dazu?
Liebe ist eine Erwartung, die letztlich unerfüllbar ist. Sie geht immer mit einer Sehnsucht einher. Natürlich ist sie deswegen auch ein Gefühl. Die Frage, ob das Gefühl echt ist, ist müßig. Ich kann nicht testen, ob jemand liebt.
Es gibt ein großes Bedürfnis, die Liebe zu ergründen.
Warum liebst du mich? Diese Frage kursiert unter jungen Leuten. Ich würde nicht darauf reinfallen, vielleicht bin ich das früher. Denn egal, was man antwortet, der andere wird sagen: Nur deswegen? Nein, die Psyche ist flüchtig. Deshalb ist meine Arbeitsmethode der Strukturalismus auf der Basis der psychoanalytischen Theorie.
Was heißt das konkret?
Liebe besteht aus Schichten, die man getrennt voneinander betrachten muss und die sich immer neu miteinander verbinden. Der Parship-Fragebogen ermittelt 28 Schichten.
Zum Beispiel?
Eine wichtige Schicht basiert auf C. G. Jungs Theorie von der weiblichen Seite im Manne und der männlichen Seite in der Frau.
"Man sucht seinen Partner für die anderen aus"
Nicht im biologischen Sinne.
Nein, die Theorie gilt auch für gleichgeschlechtliche Paare. Sie besagt, dass das Lieben sich ergänzende Rollen verlangt. Durch einen Mangel, den ich ersehne, ergänzt zu bekommen, entsteht Kraft zwischen Partnern. Es ist notwendig, Wünsche zu haben, um zu lieben. Aber nichts ist toter als ein erfüllter Wunsch. Deshalb muss ich zusehen, dass ich schnell einen neuen Wunsch herbekomme, oder ich bin gar nicht auf seine Erfüllung aus, damit mein Begehren bleibt. Daher rühren die Probleme vieler Paare im verflixten siebten Jahr. Sie sind eingespielt, laufen nebeneinanderher wie Herr und Hund, das passt, hat aber nichts mehr mit Liebe zu tun. Trotzdem kann es funktionieren.
Sie stehen mit Ihrer Biografie für die romantisch-tragische Liebe: Ihre erste Frau, die krank war und früh starb, war Sängerin.
Wir haben uns kennengelernt, indem sie an meine Wohnungstür klopfte: „Mir ist so schlecht.“ Ich habe einen Arzt aus meiner Klinik gerufen. Sie war Jüdin, eine der wenigen, die nach dem Krieg nach Deutschland zurückkamen. Ich empfand tiefe Sympathie. Das Liebreizende, sie auf der Bühne singen zu sehen, war schon zur Liebe reizend. Es hat mir auch menschlich gutgetan, mich um sie zu kümmern. Sie passte eben, ohne dass ich das so überlegt habe, auf vielen Ebenen. Vier Jahre ist es gut gegangen. Vielleicht nennt man das Ganze dann Romantik. Doch es war alles, nur kein Pilcher-Film.
Was müssen zwei Menschen mitbringen, damit aus ihnen ein gutes Paar werden kann?
Die Persönlichkeiten müssen harmonieren. Im sogenannten Parship-Matching gewichten wir Persönlichkeitsmerkmale mit 60 Prozent, Interessen mit 20 und Neigungen, Vorlieben, Meinungen ebenfalls mit 20 Prozent. Wenn zwei Menschen den Test zu 100 Prozent gleich ausgefüllt haben, werden sie einander nicht vorgeschlagen. Ideal sind 80 Prozent: Liebe ist ein kommunikatives Miteinander. Wenn zwei zu 100 Prozent ineinander verzahnt sind, gibt es nichts mehr auszuhandeln.
Früher wählte die Familie den Partner aus, dann emanzipierte sich das Individuum und hat es selbst gemacht. Inzwischen hat es eine Maschine übernommen.
So ist es. Über die Zeiten ist gleich geblieben, dass man sich bei der Partnerwahl immer auf die Erklärung anderer eingelassen hat. In wissenschaftlichen Analysen stellt sich heraus, dass wir bei der Partnersuche häufig nicht etwas für uns wählen, sondern dass wir darüber Anerkennung finden wollen. Man sucht seinen Partner für die anderen aus.
Parship verschickt hunderte Partnervorschläge: endlose Reihen verschwommener Fotos paarungswilliger Männer oder Frauen, die ein bisschen feilgeboten werden wie Waren in einem Regal.
Wir leben in einer Warenwelt. Da zählt die Masse. Ich nehme das nicht so ernst.
Die Soziologin Eva Illouz sagt, dass das Ökonomische zunehmend in Beziehungen eindringe.
In dieser Gesellschaft gilt das Primat der Wirtschaft. Als Kriterium für Entscheidungen nimmt sie immer die Ökonomie. Deshalb ist der Begriff Partnerbörse auch so schlimm.
Und was halten Sie von der Wendung, dass man in seine Beziehung investieren müsse?
Auch ein irreführendes Bild. So, als müsste man in der Liebe Geschäfte machen. Nach dem Motto: Wenn ich auf dich zugehe, dann musst du aber ...
Der erste Test, den Sie entwickelten, ermittelte die Eignung für Berufe: BET, der immer noch verwendet wird. Mehr als 50 Jahre ist das her.
Meine wissenschaftliche Arbeit basiert auf der Grundannahme, dass nur zwei Entscheidungen im Leben wirklich wichtig sind. Welchen Beruf wähle ich? Und mit wem lebe ich?
Angeblich kamen Sie über die Liebe zu einer Frau zu Ihrem Beruf.
Ich muss kurz ausholen: Da ist ein junger Mann, dem wird bis zum 13. Lebensjahr weisgemacht, dass er zur klügsten Nation der Welt gehört. Ich hatte mich schon als Befehlshaber von Nowosibirsk gesehen, weil man uns sagte, die Russen könnten sich selbst nicht führen. Die ernüchternde, entsetzliche Wirklichkeit kam 1945 zutage. Ich bin dann zu einem Buchhändler hin und habe gefragt, was das für Bücher gewesen seien, die da verbrannt worden waren. Die habe ich begonnen zu lesen.
Sie studierten Psychologie, weil Sie sich als Kind manipuliert fühlten?
Unter anderem. Das Leben ist in vielerlei Hinsicht wie ein Schichtkäse und muss auch als solcher betrachtet werden. In München studierte ich Literaturwissenschaft. Damals habe ich mit einer Französin, das war auch wichtig, dass es keine Deutsche war, ein kleines Theatercafé aufgemacht. Abends hatten wir Künstler zu Gast, zum Beispiel Erich Kästner, der bei uns vortrug. Sie studierte Psychologie. Einmal nahm sie mich mit. Da machte der Professor Beobachtungsexperimente. Anschließend fragte er mich, ob ich nicht öfter kommen wolle. Ich habe mich, Gott sei Dank, davon überzeugen lassen, vermittelt durch diese Frau, die ich liebte.
"Tinder ist nicht mein Ding"
Zu Ihrer Beziehungsbiografie: Sie waren ein zweites Mal verheiratet, geschieden, jetzt sind Sie fest liiert. Basiert der Parship-Test auf eigenen Erfahrungen?
Zuallererst auf Theorien der Psychologie, aber klar, auch meine eigenen Erfahrungen sind in die Formulierung der Fragen eingeflossen. Beispielsweise zu Nähe und Distanz. Auf dieser Ebene sollten beide Partner annähernd gleich sein. Wenn der eine 24 Stunden am Tag Händchen halten will und der andere fünf Minuten, haut das nicht hin.
Da sind Menschen unflexibel.
Sie können nicht sagen: Ich bin zwar zu 74 Prozent darauf aus, meine Eigenart durchzusetzen, aber ich gehe der Liebe wegen runter auf 24 Prozent. Das ist nicht durchzuhalten, weil es sich um eine Disposition aus frühester Kindheit handelt.
Ihr Test fragt danach, ob jemand lieber bei offenem oder geschlossenem Fenster schläft. Haben Sie eine Lieblingsfrage, die Ihnen besonders gut gelungen ist?
Das kann sich ändern. Früher haben wir beispielsweise gefragt, was einer von einem Partner hält, der raucht. Oder wenn er selbst rauchte: ob er bereit ist, mal darauf zu verzichten. Das war eine sehr kräftige Frage – nicht fürs Rauchen, sondern dafür, wie anpassungsfähig jemand für die Vorlieben des Partners ist. Diese Frage funktioniert nicht mehr.
Weil Rauchen tabu ist.
Ja. Ich glaube, ich habe guten Ersatz gefunden: den Umgang mit dem Smartphone. Wenn Sie im Restaurant eine Familie beobachten, und jeder hat so ein Ding in der Hand. Kommunikation ist da null.
Gibt es Anzeichen dafür, dass sich Attraktivität in Zeiten des Internet-Dating verändert? Die Menschen werden bei Parship mit ihrem Beruf etikettiert, die Stimme kommt viel später ins Spiel …
… und noch viel später der Geruch. Trotzdem: Äußerliche Attraktivität hat immer eine Rolle gespielt und wird immer eine Rolle spielen. Mein System arbeitet im Prinzip nicht mit fotografischer Selbstdarstellung. Dass Fotos verschickt werden, ist eine Zugabe, die Parship draufgesetzt hat.
Sie hätten es gern anders?
Ja, um frei zu sein von normierten Attraktivitätsvorstellungen. Schon in der Berufsforschung haben mich die Bewerbungsfotos gestört. Da geht einer zum Fotografen, der putzt ihn zurecht, das Ergebnis ist so unrealistisch wie nur irgendetwas.
Das erste Treffen mit einem Unbekannten ist das Abschreckende an der Partnersuche im Internet. Das Ganze ist überschattet von einer Intimität, weil es dem Zweck dient, jemanden zu finden, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen kann. Und in den meisten Fällen sitzt da einer, mit dem man das unter keinen Umständen will.
Man kann doch unvoreingenommen in so ein Treffen hineingehen: Mal gucken. Dating – da hätte ich auch Skrupel. Zum Beispiel ins „Vier Jahreszeiten“ zu gehen, weil ich da an der Bar mit einer Frau verabredet bin, und dann muss es abends schnackeln. Man muss Partnerschaftsvermittlung und Dating-Agentur unterscheiden.
Die Dating-App Tinder ist enorm erfolgreich. Da läuft die Auswahl vor allem über Fotos.
Meinetwegen kann sich jemand auf so etwas reduzieren, aber das ist dann ein Spiel. Da hat jemand ein neues Spiel erfunden. Nicht mein Ding.
Manche sehen im Internet-Dating ein Allheilmittel gegen die Vereinsamung in der Gesellschaft …
Solche Angebote gab es doch schon immer: Komm zu mir, dann verlierst du deine Einsamkeit. Das ist doch auch die Lüge des Christentums.
Jede dritte Beziehung nimmt angeblich heute ihren Anfang im Internet. Fehlt diesen Beziehungen nicht der romantische Gründungsmythos, der auf der zufällig wie zwangsläufig empfundenen Kennenlerngeschichte basiert?
Nein. Die Romantik machen sich viele der Menschen sowieso. Deswegen lässt sich der Erfolg, die wissenschaftlich geforderte Gültigkeit des Parship-Prinzips, so schwer statistisch nachweisen. Wenn gefragt wird, ob’s gefunkt hat, sagen viele: Ja, das Schicksal, der liebe Gott, der Mond – irgendeine übernatürliche Macht hat geholfen. Die subjektive Begründung, warum man sich verliebt hat, ist romantisch geblieben.
Barbara Nolte
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