Architektur, die berührt: Kommet zuhauf!
Lehmwände, ein ebenerdiger Altar, so viel Raum: Wenn Architekten heute Kirchen planen, setzt nur der Himmel Grenzen. Acht Neubauten aus weltlichen Zeiten.
Es klingt absurd. Den Kirchen laufen die Schäfchen weg, Gotteshäuser werden entweiht, in Galerien, Wohnungen, Restaurants verwandelt, andere sind nur alle paar Wochen in Gebrauch oder werden gleich ganz abgerissen. Als Kathedralen der Gegenwart werden die Museen gefeiert. Die sind am Sonntag voller als jeder Gottesdienst.
Und trotzdem werden noch neue Kirchen gebaut?
So viel leerer Raum!
Jetzt erst recht. Vielleicht wurde ihre Architektur nie so dringend gebraucht wie heute. Als geschützter Raum, in dem jeder willkommen ist, wo man weder Pass noch Mitgliedsausweis vorweisen und keinen Eintritt zahlen muss. Als Möglichkeit, aus dem Alltag herauszutreten. In Zeiten dramatischer Krisen und Dauerbeschallung sind die Kirchen ein Ort der Ruhe und Einkehr, nicht nur für Gläubige. Die Versöhnungskapelle in Berlin zum Beispiel besuchen ein-, zweitausend Touristen am Tag. Das Erste, was sie tun, ist die Wand aus Lehm zu berühren. Und sie sind berührt. Es hat etwas Überwältigendes, Erhebendes: so viel ungefüllter Raum, zehn, 20 Meter hoch. Freiraum, nur mit Atmosphäre, mit Gedanken und Gefühlen und wenigen Möbeln gefüllt, ist ungewohnt in Zeiten der Investorenarchitektur, die möglichst viele ertragreiche Quadratmeter auf eine Grundfläche stapelt und quetscht. Gerade für Architekten von heute, selbst wenn sie selbst längst aus der Institution ausgetreten sind, ist diese Aufgabe ein Traum. Mal nicht nur in Nutzen zu rechnen. Dabei ist ihr fast wichtigstes Baumaterial etwas so Immaterielles wie das Licht. Das spielt in allen hier vorgestellten Gotteshäusern, egal, ob wuchtig oder winzig, eine zentrale, wegweisende Rolle. Ein Licht, dessen Quelle oft nicht zu sehen ist, das etwas Magisches, Mystisches ausstrahlt, aus dem Dunklen ins Helle führt.
Auf Schnörkel wird verzichtet
Die neuen Kirchenbauer trauen sich was. Beim Material – Holz, Lehm, Glas, Beton – wie bei der Botschaft. Es sind sakralere Bauten als in den Jahrzehnten zuvor. Auf Schnörkel, Protz und Brimborium wird verzichtet. Wobei Schlichtheit nicht mit Zurückhaltung zu verwechseln ist. Es ist eine starke Architektur, als Ort der Konzentration und Kontemplation aufs Wesentliche reduziert, die natürlich auch provoziert: mit ihrer Modernität, ihrer Eigenwilligkeit und Rohheit. Neben zahlreichen Architekturpreisen hagelt es daher oft Proteste.
Die Bauten verleiten auch zu anderen, offeneren Formen des Gottesdienstes. Wenn, wie in Leipzig, keine Stufen mehr zum Altarbereich hochführen, als wär’s eine Bühne, auf der der Priester im Kostüm steht, dann, so Pfarrer Gregor Giele, minimiert diese Ebenerdigkeit die Anmutung des Gottesdienstes als Schauspiel. Hier wie andernorts sitzt die Gemeinde nicht mehr frontal, sondern im Halbrund um den liturgischen Ort herum. „Das intensiviert die Beteiligung. Die Gemeinde kommt aus der Zuschauerrolle heraus, ist dichter dran.“
In diesen weltlichen Zeiten ist die Entstehungsgeschichte dieser Kirchen oft so besonders wie ihre Architektur. Die Siegerländer Autobahnkirche, durch Spenden finanziert, geht ebenso auf eine Privatinitiative zurück wie die Bruder-Klaus-Kapelle. Und die Architektur zeigt Wirkung: Die Menschen kommen zuhauf.
Autobahnkirche Siegerland
AUTOHOF WILNSDORF, AN DER A45 + ÜBERKONFESSIONELL CHRISTLICH + 2013
VON SCHNEIDER & SCHUMACHER
Tempo, Tempo. Wer hier vorbeikommt, will eigentlich nur eins: schnell ans Ziel. Rasch Benzin und Koffein tanken, runter vom Autohof. Hässlicher, profaner geht’s kaum. Das hat die Architekten gereizt. Die 40. Autobahnkirche Deutschlands, entstanden durch eine Privatinitiative eines Ehepaares und finanziert durch Spenden, hat Signalwirkung. Muss sie auch: Die Konkurrenz der Fast-Food-Schilder ist groß. Schon von weitem ist die stilisierte Silhouette als Kirche zu erkennen. So zackig und kühl das Äußere, so warm wirkt der gewölbte Innenraum aus ineinandergesteckten Holzfaserplatten. Durch die Turmspitzen fällt natürliches Licht in den Altarraum. Offener geht’s nicht: In der Kirche können Autofahrer 24 Stunden am Tag Ruhe und Andacht tanken.
Bruder-Klaus-Kapelle
MECHERNICH-WACHENDORF + KATHOLISCH + 2007
VON PETER ZUMTHOR
Man muss schon hinpilgern. Zu Fuß – über einen 1300 Meter langen, leicht ansteigenden Feldweg – kommt der Besucher zur Kapelle in der Eifel. Sie ist Nikolaus von Flüe, Schutzpatron des Landvolks, gewidmet: Als Zeichen der Dankbarkeit, initiiert vom Landwirtsehepaar Scheidtweiler. Gebaut wurde der archaisch anmutende eckige Turm aus Fichtenstämmen und Stampfbeton, Zinnblei und Glaspfropfen, mit viel ehrenamtlicher Hilfe. Keine Bänke, kein Altar. Kein Dach hält den Blick in den Himmel auf. Durch die Öffnung fallen Regen und Licht.
St. Theodor
KÖLN-VINGST + KATHOLISCH + 2002
VON PAUL BÖHM
Eine Burg, gewaltig und schützend zugleich. Fast 400 Menschen finden in dem Rundbau aus sandgestrahltem Leichtbeton Platz. Eine Bibliothek mit Café liegt am Rande des Kirchenraums, der auf einem Fundament der Barmherzigkeit steht: Im Untergeschoss befinden sich soziale Einrichtungen wie die Kleiderkammer. Menschenfreundlichkeit war das Ziel von Paul Böhm, der aus einer Dynastie moderner Kirchenbaumeister stammt. (Sein spektakulärer Entwurf der Kölner Zentralmoschee wird im Mai eröffnet.) Eine Rampe führt um die Kirche, am Kreuzweg entlang gen Himmel, zum Dach.
Probsteikirche St. Trinitatis
LEIPZIG + KATHOLISCH + 2015
VON SCHULZ UND SCHULZ
Wenn schon ein Neubau, dann mitten rein in die Stadt! Nicht zu übersehen ist dort der Kubus aus rotem Vulkanstein mit eigenem Schaufenster: 22 Meter lang, drei Meter hoch, ein Kunstwerk, auf dem je nach Licht das Alte oder Neue Testament zu lesen ist. Gottes Schöpfung zuliebe wurde umweltfreundlich gebaut, Erdwärme, Fotovoltaik und Regenwassersystem inklusive. Der größte Kirchenneubau in Ostdeutschland nach der Wende (für knapp 30 Millionen Euro, viele davon gespendet), sieben Tage die Woche geöffnet, zieht die Menschen an. An diesem Osterwochenende finden elf Taufen statt, darunter fünf von Erwachsenen.
Immanuel-Kirche
KÖLN + EVANGELISCHE BRÜCKENSCHLAGGEMEINDE + 2013
VON SAUERBRUCH HUTTON
Nein, dies ist nicht Finnland, daher kommt nur das Fichten- und das Lärchenholz. Die Kirche und der Glockenturm stehen in Köln, in einem alten Hain von Bäumen. Von außen dunkel und streng, entfaltet sich der Bau im hellen Inneren – freundlich und elegant. Das neue, identitätsstiftende Zuhause zweier zusammengelegter Gemeinden mit knappem Budget (nicht mal vier Millionen) lässt vielfältigste Nutzungen zu, gerade in den Seitenschiffen der modernen Basilika. Wie ein abstraktes Gemälde wirken die farbigen Holzlamellen an der Altarwand, hinter denen sich die Orgel versteckt. Dafür gab’s den Deutschen Architekturpreis.
Moritzkirche
AUGSBURG + KATHOLISCH + 1314/2013
INNENAUSBAU VON JOHN PAWSON
„Es haut einen um“, sagt Pfarrer Helmut Haug. Wenn man von draußen reinkommt, vielleicht Barock erwartet – und dann dieser Purismus. John Pawson hat aufgeräumt. Im Innern war die immer wieder umgebaute, 700 Jahre alte Kirche ein Sammelsurium von Stilen. Der britische Architekt gab ihr ein klares Gesicht. So düster der Bau vorher war, so hell wirkt er nun. Neue Fenster und eine ausgeklügelte Lichtführung ergeben einen leuchtenden Sog: Alles läuft auf die barocke Figur des Christus Salvator hin, der dem Besucher mit offenen Armen entgegenkommt.
Versöhnungskapelle
BERLIN + PROTESTANTISCH + 2000
VON REITERMANN & SASSENROTH
Geschichtsträchtiger geht’s kaum. Moderner auch nicht. Der Eindruck: federleicht und geerdet zugleich. Auf dem früheren Todesstreifen wurde der ovale Bau aus Stampflehm errichtet, der mit dem Schutt der 1985 gesprengten
Versöhnungskirche angereichert wurde; um die Kapelle herum führt ein Gang, umhüllt von durchscheinenden Holzlamellen. Eine Aufteilung wie beim Ei, fand ein Kritiker, mit dem inneren und äußeren Teil. In den Mittagsandachten wird der Berliner Maueropfer gedacht: Das stille Gotteshäuschen an der Bernauer Straße, so groß wie der Chorraum der alten Kirche, ist Teil der Mauergedenkstätte.
Herz-Jesu-Kirche
MÜNCHEN + KATHOLISCH + 2000
VON ALLMANN SATTLER WAPPNER
Wie das Tor zum Himmel öffnet sich das gewaltige, 14 Meter hohe Portal, gibt den Blick frei auf ein Haus im Haus. Eine Kiste in der Kiste. Die äußere Hülle aus Glas, die innere aus Ahornlamellen, zwischen beiden der Kreuzweg. Das Thema von Herz-Jesu ist die Passion, die Glasfassade ist mit Nägeln beschrieben. Das sich ständig verändernde Licht ist das entscheidende räumliche Gestaltungsmittel. Selbst nachts entfaltet „der Ferrari unter den Kirchen“, wie der Gemeindepfarrer den Münchner Bau nannte, so seine gewaltige Wirkung: als schimmernder Schrein.
Susanne Kippenberger
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