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© promo

Essen und Trinken: Gesegnete Mahlzeit

Früher gab es hier nur Wein und Oblaten. Nun werden im Kirchenschiff Pasta, Lachsfilet oder Entenbrust auf Holunderjus serviert. Ein Besuch in zwei Gotteshäusern, die zu Restaurants umgebaut wurden.

Achim Fiolka kann nicht klagen. Seine Kirche ist immer voll, morgens, mittags, abends, jeden Tag – nicht nur sonntags und zu Weihnachten. Sein Angebot stimmt eben: ein heller, hoher Raum, der das Herz weit macht, und dazu Entenbrust auf Linsen und Holunderjus. Alles für neun Euro.

Fiolka, 49 Jahre alt, Jeans, jungenhaftes Gesicht, hat vor vier Jahren die Martini-Kirche in Bielefeld gekauft. Er hat sie auf den Namen „Glück und Seligkeit“ getauft und ihr ein zweites Leben als Restaurant geschenkt. Fiolka lehnt am hohen Tresentisch, der sich fast über die komplette Länge des Kirchenschiffs zieht, und sagt: „Meine Kirche!“ Dann lacht er, weil das immer noch komisch für ihn klingt, aber es schwingt Stolz und Zärtlichkeit in seiner Stimme mit. Nach der ersten Begegnung mit dem neogotischen Gebäude war er sich allerdings sehr unsicher, ob es die neue Aufgabe erfüllen wird. „Wer fühlt sich schon in einem 13 Meter hohen Raum wohl? Ist das nicht zu unwirtlich?“, hat er sich damals gefragt. Aber dann dinierte er in einem Restaurant in New York in einer früheren Lagerhalle mit ebenso hoher Decke und merkte: Das geht. Das geht sogar sehr gut.

Durch die hohen Kirchenfenster fällt viel Licht in das Restaurant. „Ich wollte, dass sich der Raum leicht und luftig anfühlt“, sagt Fiolka beim Rundgang. Deshalb hat er dem roten Backstein einen altweißen Anstrich verpasst, der ihm die Schwere genommen hat. An der linken Seite des Kirchenschiffs dominieren der Tresentisch und eine ebenso lange Theke. In der Mitte verteilen sich kleinere und größere Bistro-Tische. Über Tische, Theke und Tresen hinweg eilt der Blick aber sofort zur Chornische und ihren Mosaikfenstern. Das halbrunde hohe Gewölbe am Ende des Raums wirkt immer noch wie ein magischer Fluchtpunkt für das ganze Gebäude. Die Mosaikfenster erzählen Bibelgeschichten und werden selbst an diesem Novembertag von der Sonne zum Leuchten gebracht. Hier stand früher der Altar. Jetzt laden beige Clubsessel zu einem Drink ein. „Am Anfang hatte ich so viel Respekt vor dem Raum“, sagt Fiolka und rückt einen Sessel zurecht, „da habe ich mit den Handwerkern im Altarbereich geflüstert, obwohl der Altar und die Kirchenbänke längst rausgeräumt waren und Baumaschinen lärmten“.

Er steigt die Wendeltreppe zur Empore hinauf, wo früher die Orgel spielte. Hier hat er eine Lounge untergebracht und ein kleines Gourmet-Restaurant. Insgesamt können 400 Gäste im „Glück und Seligkeit“ sitzen. An diesem Mittag löffelt hier Pfarrer Ulrich Möller eine asiatische Pho-Suppe. Der Theologe aus dem Landeskirchenamt findet das Restaurant „außerordentlich gelungen“. Essen und Trinken sei ja auch ein fester Bestandteil von Jesu Verkündigung. Auch dass die Fenster mit den biblischen Motiven im Chorraum geblieben sind, gefällt ihm. So könne beim Essen, Trinken und Feiern die göttliche Botschaft aufscheinen. Sie sei gerne hier, sagt auch seine Kollegin neben ihm. Aber sie hätte sich immer gescheut, sich in die Clubsessel in der Altarnische zu setzen. Cappuccino trinken, wo früher der Pfarrer das Abendmahl einsetzte? Champagner Cocktail schlürfen, wo sie Gottes Anwesenheit am deutlichsten spürte? Neulich war aber nur noch dort ein Platz frei, erzählt die Pfarrerin. Da habe sie ihre Scheu überwunden. Und es ging. Mit streng gläubigen Besuchern aus Afrika oder Asien würde sie aber nie hierher kommen. Für die wäre das Blasphemie, meint sie.

In den vergangenen zehn Jahren hat die evangelische Kirche in Deutschland 400 Gotteshäuser aufgegeben, die katholische 600. Der Grund: die schrumpfende Zahl der Kirchenmitglieder und die sinkenden Kirchensteuereinnahmen. Für Katholiken sind Kirchen sakrale Räume. Sie tun sich deshalb noch schwerer, die Gebäude für etwas anderes zu nutzen, als Protestanten, für die es keine per se heiligen Gebäude gibt. Aber auch evangelische Gotteshäuser sind aufgeladen mit Erinnerungen und Gefühlen, hier wurden Menschen getauft, hier haben sie geheiratet und wurden betrauert. Deshalb lautet die Maxime beider Amtskirchen, zuerst unter anderen christlichen Gruppen nach Nachmietern für ein leerstehendes Gotteshaus zu suchen. Findet sich niemand, kommt am ehesten die Nutzung als Bibliothek oder Kulturhaus in Frage. In den östlichen Bundesländern wurden etliche Kirchen und Kapellen auch in Wohnungen umgewandelt. Sie an jüdische oder muslimische Gemeinden zu verkaufen, ist noch genauso verpönt, wie die Neunutzung als Supermarkt, Sparkasse – oder Restaurant.

Auch um die Zukunft der Martini-Kirche in Bielefeld wurde lange gerungen. Die Alternative wäre der Abriss gewesen. Fiolka übernahm das Gebäude für einen Euro, nahm die später eingezogene Zwischendecke raus, baute Heizung und Schalldämmung ein. „Mein Ziel war es, die Kirche so umzubauen, dass sie auch wieder als Gotteshaus genutzt werden könnte“, sagt Fiolka. Drei Millionen Euro hat ihn das gekostet.

Am Vormittag nehmen Mütter mit Kindern ein zweites Frühstück ein. Jetzt ist es zwölf Uhr und der Kirchenbauch füllt sich mit Anzug- und Kostümträgern – Mitarbeiter der umliegenden Firmen, etwa der Firmenzentrale von Dr. Oetker. Zum „Mittagsglück“ gibt es an diesem Donnerstag Tarte vom Schafskäse und Rotes Kalbs-Gemüse-Curry. Fiolka hat Zander auf Kartoffel-Sauerkraut-Stampf bestellt. Auf der Bistro-Karte finden sich außerdem Suppen, Pizzen, Chili-Rindfleisch in Pflaumensauce. Die Entenbrust in Erdnuss-Weißbrot-Panade auf Linsen und Holunderjus schmeckt gut und frisch; die Preise sind mit etwa zehn Euro moderat.

Achim Fiolka betreibt noch vier weitere Restaurants in Bielefeld, alle in Räumen, die etwas Besonderes haben, zum Beispiel in einem Turm in 25 Metern Höhe oder in einem ehemaligen Zeitungsgebäude. So eine Kirche, das sei aber etwas ganz Eigenes, sagt er.

Dass ein ganzes Kirchengebäude mit Schiff, Chor und Empore als Restaurant weiterlebt, ist für Engländer, Niederländer und Amerikaner nichts Neues. Den Anfang machte vor über 20 Jahren der Schweizer Starkoch Anton Mosimann, als er im Londoner Nobelviertel Belgravia ein Luxusrestaurant in einer ehemaligen Presbyterianer Kirche einrichtete. In Deutschland ist Fiolka Pionier. Aber auch hier begegnet man immer häufiger Cafés im Seitenflügel von Kirchengebäuden. Im September erst zog ein Café in die Krypta des Berliner Doms ein. „Die Atmosphäre ist einfach ungewöhnlich und sehr gut“, sagt Betreiber Andreas Poell, der zuvor für den Kaffeeröster Einstein gearbeitet hat. Man wolle den Besuchern einen Ort der Ruhe gönnen, an dem sie sich von der Dombesichtigung erholen können, bevor sie wieder auf die lauten Berliner Straßen gespült werden, sagt die Domsprecherin. Neben der Gruft mit den Sarkophagen der Hohenzollern kann man nun speisen und trinken wie es in London in der Krypta der großen Kirchen St. Martin in the Fields oder St. Paul’s Cathedral schon seit Jahren üblich ist. Könnte der Triumph des Lebens über den Tod besser zum Ausdruck kommen?

„Die Bayern und die Schwaben stecken ihre Köpfe in die Kirche und dann wird geschimpft: Schändung, Blasphemie!“, sagt Katrin Rieffenberg zwei Zugstunden östlich von Bielefeld. Sie betreibt seit drei Jahren mit ihrem Mann das Restaurant „Die Kirche“ in einer kleinen Feldsteinkirche in Magdeburg. Das Gebäude vom Anfang des 19. Jahrhunderts liegt direkt am Elbdeich, der im Sommer viele Radler ins Lokal und seinen Garten spült. Die Kirche wird seit 25 Jahren nicht mehr für Gottesdienste genutzt, bis 1989 hatte die evangelische Landeskirche dort eine Tischlerei betrieben und Baumaterial gelagert. Aus der Zeit stammt die Wand, die bis heute den Chorraum vom Rest der Kirche abtrennt. Wo einst der Pfarrer am Altar betete, befinden sich heute Toiletten und die Küche. An den rustikalen Tischen können knapp 80 Hungrige speisen. Die Karte bietet Klassisches: Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat, Hirschgulasch, Waldpilzcremesuppe. Dazu Pasta, Lachsfilet, Hähnchenbrust. Sauerbraten mit Rosenkohl und Bratkartoffeln für 11,80 Euro ist das Tagesessen. Das Fleisch ist zäh, der Blaue Zweigelt, ein Saale-Unstrut Wein, entschädigt ein wenig dafür.

Vom Dachgebälk lächelt ein überdimensionierter Plastikengel herab. „Mein Mann hat schon als Kind in der Kirche gespielt“, sagt Katrin Rieffenberg. Als sie die Kirche übernommen haben, sei für ihn ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Aber leider haben die Rieffenbergs alles getan, um zu verschleiern, dass ihr Restaurant in einem ehemals sehr schönen Kirchenraum untergebracht ist. Die hohen Kirchenfenster werden von dunkelroten Samtvorhängen verdeckt. Der Raum wird in der Adventszeit dominiert von silbrig-goldener Weihnachtsdekoration. An Heiligabend aber hat „Die Kirche“ zu. Auch Achim Fiolka in Bielefeld schließt am 24. Dezember die Tür mittags um zwölf. Dann gibt es geistige Nahrung statt Schweinebraten, und die Konkurrenz hat Hochkonjunktur.

„Glück und Seligkeit“, Artur-Ladebeck-Str. 57, Bielefeld. Tel. 0521/557 65 00.

„Die Kirche“, Alt-Prester 86, Magdeburg, Tel. 0391/535 33 52.

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