St. Agnes: Die Liebe zum Sichtbeton
Eine Kreuzberger Kirche als Galerie: In St. Agnes in der Berliner Alexandrinenstraße präsentiert der Star-Architekt Rem Koolhaas eine Ausstellung mit kommunalen Bauten. Die Schau macht sich für die zu Unrecht vergessene Architektur der 60er und 70er Jahre stark.
Das schönste, großartigste Ausstellungsstück ist natürlich das Gebäude, in dem die Ausstellung „Public Works – Architecture by Civil Servants“ gezeigt wird: die ehemalige Kirche St. Agnes in der Kreuzberger Alexandrinenstraße, bekannt geworden durch die Erwerbung seitens des Galeristen Johann König. Nun wird die Kirche, 1967 nach Entwurf von Werner Düttmann fertiggestellt, auch in der Schau präsentiert, die das Büro Office for Metropolitan Architecture (OMA) des niederländischen Architekten Rem Koolhaas bereits für die letztjährige Architekturbiennale von Venedig zusammengestellt hatte.
Aber eigentlich gehört die Kirche nicht so recht hinein in die Ausstellung, denn es geht um öffentliche Bauten, die in den 1960er du auch noch 1970er Jahren von kommunalen Bauabteilungen und mehr oder minder anonym entworfen wurden und deren Qualitäten zumeist über die Jahrzehnte in Vergessenheit geraten sind. OMA will an das Engagement für die public cause, die „öffentliche Sache“ erinnern, das den Baubeamten dieser Jahre eigen war. Man kann sie die „sozialdemokratische Epoche“ nennen. So zeigt die Ausstellung die goldenen Jahre des Greater London Council, der – von Maggie Thatcher hinweggefegten – Ratsversammlung der unabhängigen Londoner Bezirke, außerdem die Randgemeinden der traditionell „roten“ Pariser Banlieue, schließlich Amsterdam und Berlin. Im Falle West-Berlins bot sich Werner Düttmanns Amtszeit als Senatsbaudirektor an, die von 1960 bis 1966 währte. Nur sind gerade die für die Ausstellung gewählten Bauten, die Akademie der Künste und eben St. Agnes, außerhalb dieser Amtstätigkeit entstanden.
Dafür sind die anderen Bauten, die in sparsamen Schwarz-Weiß-Fotografien gezeigt und bisweilen durch faksimilierte Zeitschriftenbeiträge erläutert werden, eindrucksvolle Beispiele kommunalen Bauens. In London ist es das sechseckige – mittlerweile abgerissene – Bürogebäude hinter dem neoklassizistischen Rathaus, das eine Zeitschrift wortwörtlich als „Hexagonal Lebensraum for the Greater London Council“ bezeichnete. „Lebensraum“ für Großraumbüros – nun ja. Die Präfektur des unter de Gaulle neu geschaffenen Départements Val d’Oise von Henry Bernard (1970) hingegen, eine Art umgekehrter Pyramide, pries eine Zeitschrift als „Gebäude, das bewusst mit dem traditionellen Stil von Verwaltungsgebäuden bricht“. Das wollte im Frankreich jener Tage noch etwas heißen.
Nun sollte man meinen, dass die Amsterdamer Architektur die im Maßstab menschlichste gewesen sei. Doch das Wibauthuis, 1964 vom Dienst der Publieke Werken, der Abteilung für Öffentliche Arbeiten für eigene Zwecke errichtet, orientierte sich am „Ostblock-Stil“ – wie es damals hieß – mit vorfabrizierten Elementen. Das Gebäude sprengt den traditionellen Maßstab der Grachtenstadt und wurde mehr und mehr zur Zielscheibe heftiger Kritik. Auch an der Behörde als solcher, die für die brachiale U-Bahn-Planung mit ihrem Totalabriss ganzer Straßenzüge verantwortlich war. 2008 fiel das Wibauthuis der Asbestsanierung zum Opfer.
Viele öffentliche Bauten dieser Jahre sind durch ihren reichlichen Gebrauch von Sichtbeton gekennzeichnet. Stilistisch hat sich die Bezeichnung „Brutalismus“ vor allem in England eingebürgert. Seine Schöpfer leiteten den Begriff von der art brut her, der „rohen Kunst“, und bezeichneten damit eine neue Wahrhaftigkeit nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Die Absichten der Architekten jedenfalls galten dem öffentlichen Wohl, das seinen sichtbaren Ausdruck in Bauten für ebendiese Öffentlichkeit finden sollte. Daran kann und will die Ausstellung „Public Works“ nur in winzigen Ausschnitten erinnern. Das Thema aber harrt einer umfassenden Aufarbeitung, zumal in Zeiten, die ihren Optimismus verloren haben.
St. Agnes, Alexandrinenstraße 118-121, Berlin-Kreuzberg, bis 14. April. Mi - So 11-18 Uhr, Eintritt 5 €, erm. 3 €.
Bernhard Schulz
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