Rapper Marteria im Interview: "Ich liebe Plattenbauten. Real talk. Marzahn!"
Angeln war seine Rettung. Nach Drogen, Partys und Hartz IV ersetzt die Jagd auf Barsche ihm den Stoff. Marteria, dickster Fisch im deutschen Rap, über die Fänge seines Lebens.
Marteria, neuerdings müssen auf Ihrem Tourplan Gewässer eingetragen werden. Sie angeln in jeder freien Minute. Sind Sie jetzt der Langweiler, wie Sie ihn in Ihrem Hit „Kids“ beschreiben: „Keiner hat mehr Bock auf Kiffen, Saufen, Feiern“?
Angeln ist in Deutschland 15 Jahre hintendran. In den Staaten oder Skandinavien ist das längst ein Lifestyle-Ding, hat viel mit Hip-Hop zu tun. Du kaufst dir einen dicken Pulli, eine geile Mütze und eine Angel. Hier herrscht das Bild von einem Angler als AfD-Opa mit fünf Dosen Bier.
Rapper wie Sido und Bushido angeln auch. Reden Sie über Abfangquoten statt über Plattenverkäufe?
Klar! Ursprünglich war das Fischen bestimmt eine Ausrede der Männer, um vor den Weibern abzuhauen und sich besaufen zu können. Die neue Generation ändert das. Man liebt die Fische, hat einen gesunden Umgang damit. Wenn ich fünf fange, esse ich einen. Die anderen werden wieder ins Wasser gelassen.
So wie er das Angeln darstellt, klingt es wie Hipsterangeln: "Für mich ist Angeln erst dann authentisch, wenn es nicht mehr darum geht, ob man überhaupt einen Fisch fängt."
schreibt NutzerIn parrot0815
Nach einem Konzert ist so eine Stille entspannend.
Welche Stille? Natur ist total laut. Da schießt ein Seeadler neben mir ins Meer, das ist Mega-Action.
Müssen Sie sich anstrengen, beim Angeln nicht zu sprechen?
Das ist ein Mythos, genau wie: Dreck reinigt den Magen. Man kann sogar laut Musik hören. Beim Angeln geht es nicht grundsätzlich um den Fisch. Ich steige bei Sonnenaufgang ins Boot, bin Teil der Natur. Das Draußensein ist abenteuerlich. Ich merke das bei meinem zehnjährigen Sohn und seinen Freunden. Wie die Kids losrennen, was die entdecken. Sie lernen, wo Gefahren sind, wie man auf Bäume klettert. Hängen nicht den ganzen Tag vor der Scheißglotze oder zocken.
Auch Ihr Vater hat Sie einst mitgenommen.
Das ist eine ganz besondere Romantik, Vater und Sohn gemeinsam am See. Ich weiß noch bis heute, wie ich mit vier Jahren meinen ersten Fisch geangelt habe. Eine Plötze. Oft haben wir nichts gefangen, dafür im Laden Fische gekauft. Mein Vater hat zu Hause nichts gesagt, weil es ihm zu peinlich war, dass nichts angebissen hat. Verletzter Anglerstolz.
Konnten Sie Mädchen damit beeindrucken?
In der Pubertät habe ich aufgehört. Kannst ja nicht in einen Club gehen und sagen, hey, ich angle. Ich habe erst wieder begonnen, als ich mir vor ein paar Jahren ein Häuschen am See gekauft habe.
Seitdem rappen Sie auch vom Naturschutz.
Die Leute von der PETA mögen mich trotzdem nicht. Für mich ist Selberangeln ein guter Weg – ich hab nichts mit Schleppnetzen zu tun und damit, dass die Fische mit Antibiotikum vollgeballert werden. Aber ich werde als Mörder und Tierquäler angegangen. In meinem Song „Links“ singe ich: „Geh einfach links“, was nicht unbedingt politisch gemeint ist, sondern dass man andere Seiten akzeptieren sollte, das vermisse ich gerade ein bisschen.
Bekommen Sie Hasskommentare?
Ja, dadurch, dass Social Media so big sind, dass jeder Wahnsinnige seine Meinung sagen kann. Ich spiele ein Anti-Nazi-Konzert in Anklam und kriege 8000 Negativkommentare.
Das bedrückt Sie?
Ich finde nur die Entwicklung im Pop schlimm – der ist unfassbar meinungslos geworden. Bloß nichts sagen, weil wir sonst Fans verlieren könnten. Der Tod von Subkultur.
Xavier Naidoo hat eine Meinung. „Teile eures Volkes nennt man schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter“, singt er.
Mit dem Typen muss man sich hinsetzen und quatschen. Ich habe keine Ahnung, was bei ihm los ist. Mit dem rede ich lieber mal, wenn ich ihn sehe, statt über ihn.
Wie viele Joints sind beim Angeln erlaubt?
Ich kiffe nicht beim Angeln. Da musst du sehr schnell sein, brauchst einen klaren Kopf. Kiffen schränkt die Reaktionsgeschwindigkeit ein.
Sie sagten mal, Angeln sei für Leute mit Drogenproblemen ein Rettungsanker.
Ich hab viele zugehackte Leute kennengelernt, für die Angeln eine Sucht ist. Entscheidend ist, dass du am Anfang einen krassen Fisch fängst. Der Erfolg wirkt wie drei Gramm Stoff. Wenn du nach sieben Tagen Warten endlich einen Lachs an der Angel hast, wenn du in dieser einen Sekunde richtig handelst, schüttest du dreimal so viel Adrenalin aus wie bei einem schlimmen Verkehrsunfall. Das ist gemessen worden. Dieses Gefühl willst du immer wieder haben.
"Ihr wollt doch nur Mütter ficken!"
Nach einem Fußballspiel sind Sie 2015 beinahe an Nierenversagen gestorben. War Angeln auch Ihre Rettung?
Kann man schon sagen. Ich bin dankbar dafür, dass ich verstanden habe, was das Allergeilste ist auf der Welt, und zwar in der Natur zu sein, die Welt vom Wasser aus zu sehen, egal wo.
Was war Ihre Sucht?
Ich war nach nichts süchtig, habe nur doll gefeiert. Dann wieder krass Sport gemacht, Fasten in Indien und drei Tage Berghain. Alles extrem.
Vom Kollaps etwas gelernt?
Ich hatte nach dem Match zehn Bier getrunken anstatt einen Liter Wasser. Heute trinke ich vier Liter Wasser am Tag. Und ich hab’ kapiert, dass es nicht so schlimm ist, zu sterben. Ich lag im Krankenhaus, meine Familie um mich herum, alle waren verängstigt. Ich hingegen befand mich in einer filmischen Welt. Wurde durch die Charité gefahren, die Lampen an der Decke rauschten an mir vorbei wie in „Emergency Room“.
Sie haben verstanden, dass Sie besiegbar sind?
Mit 30 war ich davon überzeugt, unsterblich zu sein. Aber auch Superman hatte eine Schwachstelle: Kryptonite. Will Smith kann nicht schwimmen. Und ich habe was mit den Nieren.
Haben Sie mit dem Schicksal verhandelt: Wenn ich das schaffe, dann …?
Auf jeden Fall merkte ich, dass ich mein Leben verändern muss. Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken, Drogen zu nehmen – außer Kiffen natürlich, das sind keine Drogen für mich. Ein Freund von mir, der auch nichts mehr trinkt, sagt: Man gewinnt den Tag und verliert die Nacht. In Berlin war ich viel unterwegs, jeden Abend, angetrieben, Hummeln im Arsch.
Das muss Ihnen doch fehlen!
Mir fehlt gar nichts.
Und wenn heute um Sie herum gesoffen wird?
Ich mag alkoholfreies Bier. Als ich mal aus Versehen richtiges Bier getrunken habe, musste ich das ausspucken wie Gift.
Können Sie mit Berlin noch was anfangen, seit Sie nicht mehr in Clubs unterwegs sind?
Jetzt wieder. Wenn ich heute reinfahre, verstehe ich, warum ich die Stadt liebe. Die Leute, die Straßen, den Geruch. Ich habe meine prägenden Jahre hier verbracht, überall gewohnt, Simon-Dach-Straße, Warschauer Straße, Falckensteinstraße …
Immer an den Partymeilen.
Ich würde diese Zeit nicht eintauschen. Magische Nächte. Gehst allein los, ziehst mit Menschen weiter, die du nicht kennst. Verbrüderst dich. Verbringst mit denen Tage, lässt dich treiben.
In Friedrichshain sind Sie 2001 zur Schauspielschule gegangen. Obwohl Sie nur selten da waren, weil Sie meist breit im Bett lagen.
Ich wusste, ich bin kein guter Schauspieler. Mit 19 hatte ich Probleme, mich zu öffnen, heulend und nackig vor Leuten zu stehen. Sonst habe ich viel mitgenommen, Sprecherziehung, Körpergefühl. Wie man richtig atmet. Das sind alles Sachen, die du für die Musik brauchst. Sich nicht klein zu machen, nicht wegzudrehen vom Publikum.
Danach haben Sie Hartz IV bezogen. Warum haben Sie keinen Job gefunden?
Mit Musik war es nicht einfach. Jeden Tag sagten mir 100 Leute, das ist das falsche Pferd, Hip-Hop ist tot. Ich bin da durchgegangen. Das ist die große Leistung meines Lebens. Ich war auch in der Elektroszene unterwegs, da lachten alle: Ihr wollt doch nur Mütter ficken! Dabei hat sich Rap als Jugendsprache weltweit durchgesetzt. Wenn ich im Song „Aliens“ sage, „nur das ganze Ungeziefer folgt nem König oder Führer“, dann ist das eine Message, die bei einem 20-Jährigen eher ankommt, als wenn sie ein Politiker spricht.
"Hunterchampion: Mein geiler erster Move"
Sie hätten es leichter haben können. Sie haben in der U 17-Jugendnationalmannschaft Fußball gespielt und sind mit 17 nach New York gezogen, man hatte Sie als Model entdeckt.
Ich wusste nach drei Tagen, das ist nicht mein Job. Modeln ist scheiße. Ich wollte ausführender Mensch sein. Als Fußballer kannste ein Spiel gestalten, als Designer Kleider, als Model – ich bitte dich. Ziehst etwas an, bist ’ne Puppe, rennst irgendwo lang. Das erfüllt niemanden.
Trotzdem haben Sie Reimbücher vollgeschrieben.
Zuerst lag ich heulend mit Heimweh im Bett. Meine Mutter musste mir Geld schicken, weil selbst das kleinste Apartment in Chelsea 1000 Dollar die Woche kostete. Dann hab ich entdeckt, dass New York die schönste Stadt der Welt ist. Und letztlich hab ich das alles für die Weltreise gemacht: nach Paris zu Castings für die Pret-à-porter, nach Mailand, London und wieder Paris.
Sie landeten in einer Glamourwelt, die Sie aus Ihrer Heimat Rostock nicht kannten.
Ich kam gerade vom Fußball und war null drogenaffin. Mich hat das nur abgeturnt, diese Partys, mit Jachten voll Kokain und Pillen, die Leute haben sich fünf Gramm mit einem Zug reingeballert.
Sind Sie als Außenseiter aufgefallen?
Ich und zwei Kumpels sind oft rausgeflogen, weil wir uns geprügelt haben. Wir waren nicht ganz die Robin Hoods der Modelszene, aber ich fand das einfach ein mieses Bild, diese alten ekligen Typen mit Goldketten und zwei 17-jährigen Models im Arm. Das hat mir viele Jobs vermasselt. Ich erinnere mich an ein Armani-Casting, ich kam an, 700 andere Bewerber vor mir – da bin ich lieber in den Park, um zu kiffen und zu skaten.
Und haben den „Hunterchampion“ erfunden.
Mein geiler erster Move! Ich hatte einen falschen Ausweis, war in einem Fake-College eingeschrieben, damit ich mit 17 in Clubs gehen konnte. Dann in eine Bar in Manhattan, habe mir als dummer Ossi gedacht, Jägermeister, und sage zum Barmann: „Zwei Hunterchampions, please.“
Ossi sein – ist immer noch wichtig für Sie.
Ich hatte eine schöne Kindheit. Ferienlager, Gemeinschaft, auf der Straße rumrennen. Ich bin der letzte Pionierjahrgang, blau-weißes Halstuch, darauf bin ich stolz, komischerweise. Und die Blocks. Runter zu Peter in den 18. Stock gehen. Ich hab da ein Faible für, ob in Zagreb oder Berlin, ich liebe Plattenbausiedlungen. Real talk. Marzahn!
Sie hängen an diesen Erinnerungen.
Ich mag Traditionen, auch wenn sie veraltet oder furchtbar sind. Ein Musiker aus meiner Band beispielsweise, der ist aus Granada in Spanien, einer harten Stierkampfregion. Er verbindet mit den Kämpfen Kindheitserinnerungen, mit seinem Vater, seinem Opa. Die Stiere sind für ihn Helden. In jedem Wohnzimmer stehen ihre Bilder, die werden vergöttert.
Bei Ihnen zu Hause hängt ein Blauer Marlin.
Er ist ein Mysterium für mich. „Der alte Mann und das Meer“, die berühmteste Kurzgeschichte der Welt, eine Angelgeschichte von Ernest Hemingway. Da ging es um diesen Fisch. Für mich war es besonders, dass ich ihn von Jamaika aus gefangen habe: dasselbe Meer, nur von der anderen Seite aus.
Würden Sie es wieder tun?
Nein. Es hat sich richtig angefühlt, ihn auszunehmen und mit dem kompletten Dorf, in dem wir gewohnt haben, zu teilen. Der Moment, in dem ich ihn an der Angel hatte, war verrückt. Der zieht und springt, kämpft drei Stunden lang um sein Leben. Das ist der Unterschied zwischen Jagen und Angeln. Du zielst auf ein Tier und schießt. Der Angler überlistet den Fisch. Eins gegen eins. Ganz oft gewinnt er, manchmal du. Das macht es so fair.
Was lernt man, wenn man die Welt vom Wasser aus beobachtet?
Das ist eine irre Perspektive. Beispiel Las Vegas. In der Nähe gibt es den Lake Mead, da stehen oben auf dem Hoover Dam 1300 Touristen und machen Fotos vom See. Du bist unten auf dem Boot und fängst Streifenbarsche. Wenn ich keinen Zugang zum Wasser habe, drehe ich durch. Mein Vater ist Seemann, ich bin Wassermensch, das ist meine DNA. Wenn du plötzlich zwischen 150 Delfinen bist, Grauwale und Blauwale vor deinem kleinen Boot hochkommen, das bleibt für immer. Und dann steht deine Frau mit einer Träne auf der Wange neben dir und kann es nicht fassen.
Wasser kann auch sehr bedrohlich sein.
Ich gerate oft in Gefahrensituationen. Mich will keiner mehr versichern. Stürme, brenzlige Beaufort-Stärken. Auf Fiji hatte ich einmal einen Thunfisch an der Angel. Ich saß auf diesem Holzboot mit Zehn-PS-Motor, habe ihn fast im Boot, auf einmal knallt es mir in die Angel. Ich gucke runter, sehe einen vier Meter langen Makohai. Größer als mein Boot, vom Thunfisch hing nur noch das Auge und ein Stück vom Gehirn dran. Ich habe gemerkt, okay, ich bin hier nicht der Boss.
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