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Kokain zerstört den Regenwald und tötet Hundertausende Unbeteilige in Südamerika. Aber in Berliner Clubs ist es noch immer angesagt.
© dpa/David Ebener

Veganer und Drogen: Hört erst mal auf zu koksen!

Kapitalismus ist böse, Massentierhaltung auch, finden junge Berliner gern, während sie eine Droge genießen, die Menschen versklavt und die Umwelt zerstört. Die Anklage einer Bigotterie aus dem Juni war einer unser meistgelesenen Texte 2015.

In einer Kreuzberger WG: „Woah, megaleckerer Aufstrich!“ – „Pastinake-Chili.“ – „Noch nie gegessen!“ – „Ich davor auch nicht, hab ihn zufällig im Biomarkt entdeckt.“

Während der junge Mann die Vorteile eines Bio-Vollsortimenters aufzählt, setzt sich eine Freundin daneben, nickt aufmerksam und legt ihr iPhone auf den Esstisch. Aus ihrer Handtasche zieht sie eine metallene Ampulle, dreht den Verschluss auf und klopft mit dem Zeigefinger ein wenig weißes Pulver auf das Smartphone. Sie zieht ihre Mensakarte aus dem Geldbeutel und arrangiert den Pulverhügel vorsichtig in einer Linie auf dem Display.

Am selben Abend noch werde ich mit dieser Frau ein Gespräch über „ekelhafte Wurstfresser“ führen. Wie können die nur? Da werden Lebewesen in Lagern konzentriert und industriell vernichtet! Das ist doch wie damals bei den ... Ich unterbreche hier. In Wirklichkeit habe ich weiter zugehört, vor mich hingenickt und mein leeres Bier zum Anlass genommen, kurz ein neues holen zu gehen und nicht wiederzukommen. Was folgt ist, was ich gerne gesagt hätte:

70.000 Tote im Drogenkrieg seit 2006

Meinst du das eigentlich ernst? Vor ein paar Stunden hast du dir noch Zeug in die Nase gezogen, dessen langer Weg nach Berlin Kilometer für Kilometer mit Leichen gepflastert ist. In Peru, wo Bürgermilizen Koka-Bauern versklaven. In Kolumbien, wo die US-Drogenbehörde jahrelang Entlaubungspestizide über den Regenwald streute, um versteckte Kokain-Labors ausräuchern zu können. In Honduras, wo San Pedro Sula seit Jahren die Stadt mit der höchsten Mordrate der Welt ist. Am schlimmsten ergeht es Mexiko: 70 000 Tote im Drogenkrieg seit 2006, zwischen 50 000 und 100 000 Menschen werden vermisst, rund 230 000 Menschen sind wegen der Gewalt im Drogenkrieg auf der Flucht.

Und du regst dich vollgekokst über die inhumane Behandlung von Tieren auf?

Jeder zieht seine persönliche moralische Grenze anderswo. Die industrielle Massentierhaltung, die Fließbandtötung, das Schreddern von Küken wird, da bin ich mir sicher, von künftigen Generationen als unmenschliche Barbarei angesehen werden, als Schande für uns und unsere ethischen Grundsätze.

Wie kann es aber sein, dass das Stereotyp des Innerring-Berliners unter 30 versucht, vegetarisch oder vegan zu leben, auf Märkten biologisch angebaute, regionale Lebensmittel kauft, sich beim Bikram-Yoga körperlich und seelisch optimiert, den Kapitalismus kritisiert und gegen Waffenlieferungen ist, Ökostrom bezieht und Deutschunterricht für Geflüchtete gibt – und dann Freitag bis Sonntag vollgekokst im Sisyphos hängt?

Ammoniak, Kerosin, Aceton - in den Lungen der Laboranten

Man muss sich nur die Herstellung von Kokain ansehen. In Dschungel-Labors wird die Kokapflanze verseift und mit Benzoylchlorid verestert – dabei entstehen ätzende Chlorwasserstoffdämpfe. Dann kommt das Zeug in eine Plastiktonne zur Säure-Base-Extraktion, unter anderem mit Ammoniak, Kerosin, Salzsäure, Schwefelsäure und Aceton. Alles, was nicht von den Hobbychemikern eingeatmet wird, wird ganz bestimmt biologisch korrekt recycelt. Am Ende wird die Paste mit Kaliumpermanganat gebleicht. Kann nur gut sein, hilft ja auch gegen Fußpilz und Algenbefall. Bio-Koks: geht nicht.

Jedes Gramm Kokain zerstört vier Quadratmeter Regenwald, nur 1,1 Prozent des Profits des weltweiten Drogenhandels geht an die Bauern. Fair-Trade-Koks: geht nicht.

Der Großteil des Kuchens geht an die dicken Fische: Kartelle und Gangs, Waffenproduzenten und -händler, Schmugglerbanden. Pazifistisches Koks: geht nicht.

Blut von Ermordeten in der Nase

Kokain ist eher Wall Street als Weserstraße, eher Bundestagstoilette als besetztes Haus. Trotzdem ist die oben beschriebene WG-Situation durchaus üblich auf Partys in Neukölln, Kneipenabenden in Kreuzberg oder Clubnächten in Friedrichshain.

Drogen zu kritisieren, wird in Berlin gern als spießig oder lustfeindlich wahrgenommen. Deshalb noch mal deutlich: Mir ist es egal, wer was wann nimmt. Ich halte es nur für unerträglich verlogen, wenn mir jemand moralisch überlegen daherkommt, während in seinen Schleimhäuten Blut von ermordeten Mexikanern klebt.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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