Hip Hop in Berlin: "Ein Stift und ein Blatt Papier reichen"
Hip-Hop ist eine der einfachsten Formen, sich musikalisch auszudrücken. Mirza Odabasi hat einen Dokumentarfilm über die Anfänge der Berliner Szene gedreht.
Saiid Ismati lehnt sich auf einem Sofa des Koffäin Café in Kreuzberg zurück und lächelt etwas müde, als er den ersten Schluck von seinem Espresso nimmt.
„Für meinen Freundeskreis war es nie denkbar, dass jemand etwas anderes als Hip-Hop oder R’n’B hört“, sagt er dann. Und das ist immer noch so.
Der 35-Jährige hat sechs Jahre lang Demokratie- und Antirassismus-Workshops an Berliner Schulen und Bildungsstätten gegeben. Hip-Hop- und Rap-Musik waren dabei nicht nur für ihn sondern auch für die Jugendlichen, die er coachte, besonders wichtig: „Hip-Hop hat mit Ausgrenzung zu tun, mit Widerstand“, sagt der Kreuzberger. „Und Hip-Hop ist ein Instrument zur Identitätsbildung.“
Saiid Ismati ist ein Kenner der Berliner Hip-Hop-Szene und einer der vielen Protagonisten im Dokumentarfilm „LeidenSchafft“, der am Mittwoch um 21 Uhr, auf Einsfestival läuft.
Anfänge einer ehemaligen Subkultur
Der Dokumentarfilm des deutsch-türkischen Fotografen und Filmemachers Mirza Odabasi beschäftigt sich in 43 Minuten mit den Anfängen einer Subkultur, die heute Mainstream ist: Von Kollegah bis Böhmermann gibt es mittlerweile für jeden Bedarf einen Rap-Stil. In „LeidenSchafft“ geht Odabasi, der in Remscheid geboren wurde und lange selbst Musik gemacht hat, zurück zum Ursprung der Berliner Rapszene. Zuvor hatte der 28-Jährige mit einer Fotoausstellung „Zwischen Kultur“ und dem Dokumentarfilm „93/13 – Zwanzig Jahre nach Solingen“ den Brandanschlag von Solingen aufgearbeitet. Hip-Hop habe ihn schon lange beschäftigt, sagt Odabasi: „Seitdem ich selbstständig ein Gefühl für Musik bekommen habe, habe ich Rap gehört.“ Außerdem habe er gemerkt, dass Fotografie und Film die beste Möglichkeit sei, „mich auszudrücken und gewisse Dinge zu übersetzen“,
"Allein dein Können war relevant"
Für „LeidenSchafft“ hat sich Odabasi mit verschiedenen Vertretern der Rap-Szene getroffen, um mit ihnen über die Bedeutung der Musik für die eigene Identitätsentwicklung zu sprechen. Zu den Interviewten zählen nicht nur aktuell bekannte Größen wie Sänger und Rapper Marteria oder Chefket sondern auch weniger bekannte Wegbereiter des Untergrund-Rap in Berlin wie der deutsch-türkische Rapper Killa Hakan oder der Journalist Marcus Staiger. Sie alle sprechen im Film auch über Ausgrenzungserfahrungen: „Hip-Hop war die einzige Plattform bei der es unwichtig war, wo man herkam“, sagt Odabasi. „Allein dein Können war relevant. Wenn du ein guter Rapper warst, warst du ein guter Rapper. Wenn du ein guter Sprayer warst, warst du ein guter Sprayer.“
Klare politische Positionierungen sind selten geworden
Auf den Titel seines Dokumentarfilms kam Odabasi in Reflektion über seine künstlerische Arbeitsweise: „Leidenschaft ist meine Herangehensweise an Themen. Leid und Gegenwind treiben mich an.“ Damit ist er nicht allein: „Viele Rapper reflektieren sich und ihr Leben in der Musik, die oft von der eigenen Lebensrealität, Nachbarschaft oder der Familie handelt“, sagt er. Für den Regisseur kommt es daher nicht von ungefähr, dass ausgerechnet das Genre des Sprechgesangs als Raum für die sozial Schwachen der Gesellschaft dient: „Hip-Hop ist eine relativ leichte Umsetzung von Musik“, sagt er. „Du brauchst weder teuren Klavierunterricht noch andere Utensilien. Ein Stift und ein Blatt Papier reichen.“ Rap diente so lange als Gegenpol zum Mainstream der Mehrheitsgesellschaft. Dabei sind klare politische Positionierungen heutzutage eher selten: „Eko Fresh positioniert sich klar“, sagt Odabasi. Sein neuestes Musikvideo „Nur für dich“, ein Liebeslied für AfD-Sprecherin Frauke Petry, ist eher eine Ausnahme – Rap ist heute von Entertainment und öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten geprägt.
Jugendclubs, in denen vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund ihr Talent entwickeln können, gibt es immer weniger, vieles findet nun im Internet statt. Das findet auch Szenekenner Saiid Ismati, der in Odabasis Film von seinen Erfahrungen und Begegnungen mit Jugendlichen erzählt: „Nicht nur Hip-Hop, auch die Gesellschaft muss politischer werden“, sagt er und blickt durchs Fenster des Cafés auf die belebten Straßen Kreuzbergs. „Wenn die Gesellschaft apolitisch ist, ist es auch die Kunstform.“ Dennoch ist Hip-Hop für ihn noch immer ein wichtiger Bestandteil der Jugendkultur: „Kein Deutschlehrer schafft es, die Jugendlichen so für die deutsche Sprache zu begeistern wie die Deutsch-Rapper“, sagt Ismati und schmunzelt.
Ausgrenzungserfahrungen sind kein rein migrantisches Thema
„LeidenSchafft“ ist ein Rückblick auf die Berliner Jugend- und Rap-Szene der vergangenen Jahre und eine Bestandsaufnahme der aktuellen Hip-Hop-Landschaft. Die schillernden Persönlichkeiten und die Themen, mit denen sie sich künstlerisch beschäftigten, werden in dem Film vor verschiedenen Berliner Kulissen porträtiert. Das ist zwar alles nichts Neues, aber trotzdem nett anzusehen. Es werden Zusammenhänge und Wünsche der Menschen klar, die den musikalischen Untergrund geprägt und für sich genutzt haben. Ausgrenzungserfahrungen sind dabei übrigens kein rein migrantisches Thema, wie an einer Anekdote von Marteria klar wird: Der Rostocker Rapper schildert im Film eine Auseinandersetzung mit Neonazis, die ihn verprügelten, weil er einen Pullover der New Yorker Hip-Hop-Gruppe Wu-Tang Clan trug. Der Film sei sehenswert für „jeden, der Deutsch spricht“, sagt Odabasi. Und auf jeden Fall für jeden, mit einer Leidenschaft für Hip-Hop und Rap.
„LeidenSchafft“ von Mirza Odabasi läuft am heutigen Mittwoch um 21 Uhr auf Einsfestival. Mehr Informationen unter: www.kukue.tv/leidenschafft