Streitgespräch zwischen Linke und AfD in Berlin: „Sie wollen Spaltung!“ – „Und Sie wollen Experimente!“
Linke und AfD kämpfen teilweise um die gleiche Wählerschaft, doch nicht nur in der Flüchtlingspolitik trennen sie Welten. Im Tagesspiegel treffen die Spitzenkandidaten Lederer und Pazderski erstmals aufeinander.
Kein Händedruck. So geht es los. Zum ersten Mal treffen die Berliner Spitzenkandidaten der Linken und der Alternative für Deutschland (AfD) aufeinander – und hätten beim vom Tagesspiegel organisierten Streitgespräch kaum reservierter sein können. Das gemeinsame Interview mit Linke-Landeschef Klaus Lederer und Berlins AfD-Vorsitzenden Georg Pazderski verläuft kontrovers; es steht mehrmals vor dem Abbruch – und wird doch sehr interessant.
Herr Pazderski, die Europameisterschaft läuft. Jubeln Sie eigentlich für das deutsche Team? In Ihrer Partei ist die Mannschaft einigen ja nicht deutsch genug.
PAZDERSKI: Ich habe 20 Jahre Fußball gespielt. Selbstverständlich fiebere ich mit der deutschen Mannschaft mit. Sie spielen auf die Aussage unseres Vizevorsitzenden, Alexander Gauland, an. Hierzulande herrscht eine Doppelmoral. Eltern fahren kilometerweit, um ihre Kinder in bestimmte Schulen zu bringen. Oder zahlen für Privatschulen, damit sie nicht in Klassen gehen, in denen fast nur Einwanderer sitzen. Das war der Punkt, den Herr Gauland ansprechen wollte. Wir haben 30 Jahre bestimmte Einwanderer nicht integriert – und nun sollen wir das in drei Jahren schaffen?
Wurden Fehler bei der Integration gemacht, Herr Lederer?
LEDERER: Es gibt diesen Satz von Norbert Blüm: Wir suchten Arbeitskräfte, und Menschen kamen. Wir reden erst seit 15 Jahren von einem Einwanderungsland. Klar sind Fehler gemacht worden, es bestand oft gar nicht die Absicht, die Neuen zu integrieren. Wenn wir Ressentiments schüren, machen wir diese Fehler wieder. Die AfD setzt den Herausforderungen nichts außer Angst entgegen. Und wenn man AfD-Politiker darauf anspricht, wollen sie nichts gesagt haben.
PAZDERSKI: Ich wundere mich, dass diejenigen, die Missstände ansprechen, wie deren Verursacher behandelt werden. Die Linke hat jahrelang in Berlin regiert, was haben Sie gemacht, damit es besser wird? Danach haben Sie fünf Jahre als Opposition geschwiegen. Es gibt ein Riesenproblem – und die Linke hat zugeschaut, das ist massives Oppositionsversagen. Wir schüren keinen Rassismus, wir sprechen Missstände an. Wenn das nicht erlaubt ist, erinnert mich das an die DDR.
LEDERER: Herr Pazderski, Sie hetzen Minderheiten gegeneinander auf. Auf der einen Seite werfen Sie Muslimen pauschal Homophobie vor. Auf der anderen Seite erklärte ein AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt auf den Hinweis, dass in Marokko Homosexuelle im Gefängnis landen, das müsse man hierzulande auch machen. Wann sperren Sie mich als Homosexuellen eigentlich ein?
PAZDERSKI: Sie wissen, dass diese Aussagen nicht stimmen, Herr Lederer! Das wurde auch schon korrigiert.
LEDERER: Sie schüren Angst und wünschen sich die gute, alte Zeit zurück. Die 50er, in der Frauen am Herd standen.
PAZDERSKI: Ich weiß ja nicht, was Sie mit guter, alter Zeit meinen – etwa als Sie noch regiert haben? In einem aktuellen Wohlstandsindex landet Berlin auf Platz 400 von 402 deutschen Städten und Kreisen. Die Kriminalität ist hoch, viele Menschen brauchen Sozialleistungen.
LEDERER: Das müssen wir ändern …
PAZDERSKI: … haben Sie bislang aber nicht gemacht! Sie sitzen doch seit Ewigkeiten im Abgeordnetenhaus. Nennen Sie mir übrigens einen muslimischen Staat, in dem Toleranz und Demokratie herrschen. Es gibt Studien aus Großbritannien, wonach ein Drittel der britischen Muslime die Scharia anerkennt. Wir müssen uns klarmachen, wen wir ins Land holen. Die Übergriffe in Köln, Darmstadt, beim Berliner Karneval der Kulturen sind erste Auswüchse. Meine Tochter hat Angst, wenn sie Gruppen bestimmter Männer am Bahnhof sieht.
Wollen Sie Einwanderer einem Gesinnungstest unterziehen?
PAZDERSKI: Wir sind für Religionsfreiheit und für das Grundgesetz. Aber es gibt auch Muslime in Deutschland, die sagen, für sie steht die Scharia über den deutschen Gesetzen. Es gibt eine Paralleljustiz, in vielen Familien schreibt der Vater seinen Töchtern das Kopftuch vor. Denen müssen wir sagen: Ihr habt nicht eure Kultur nach Deutschland zu bringen, sondern euch unserer Kultur anzupassen.
LEDERER: Wie viel Steinigungen gab es eigentlich in Berlin in den vergangenen zehn Jahren?
PAZDERSKI: Das ist doch polemisch.
LEDERER: Wenn Sie so etwas zum Islam sagen, müssten Sie Ähnliches auch zu anderen Religionen sagen. Nicht nur der Koran, auch die Bibel ist nicht per se mit dem Grundgesetz vereinbar. Und Sie werden in Ihren Reihen christlichen Fundamentalismus finden.
PAZDERSKI: Ach, Herr Lederer …
LEDERER: Der Staat muss die Grundrechte durchsetzen, wenn Religiöse sie beschneiden wollen. Das Christentum hat sich säkularisiert. Das passiert in Teilen auch schon im Islam. Das Grundgesetz garantiert Religionsfreiheit auch für Zuwanderer. Wer sie ausgrenzt, treibt sie in die Arme von Fundamentalisten. Von den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes haben Sie mit zehn ein Problem. (Lederer hält ein kleines Grundgesetz hoch)
PAZDERSKI: Das ist doch Quatsch. Sie werfen alles durcheinander. Zuwanderer sind Menschen, die wir haben wollen …
LEDERER: Wer entscheidet das?
PAZDERSKI: … Lassen Sie mich doch ausreden! Ich habe zwei Jahre in Kanada und fünf Jahre in den USA gelebt. Das sind Einwanderungsländer, aber dort gibt es keinen unregulierten Zuzug, diese Staaten suchen sich ihre Einwanderer aus. Zu uns kamen zuletzt aber 65 Prozent Analphabeten.
LEDERER: Gegen Analphabetismus kann man was tun.
PAZDERSKI: Sie werfen Armutsmigranten, Kriegsflüchtlinge und Zuwanderer durcheinander. Wer politisch verfolgt wird, soll Asyl bekommen. Auch jene, die vor Krieg fliehen. Aber wir können nicht alle aufnehmen, die nach Deutschland wollen. Zu uns kommen viele Wirtschaftsmigranten aus sicheren Herkunftsländern. Wenn Sie, Herr Lederer, falsch parken, bekommen Sie eine Strafe. Die Kanzlerin hat geltendes Asylrecht gebrochen – und das soll in Ordnung sein?
LEDERER: Die meisten, die 2015 kamen, waren Kriegsflüchtlinge. Was wäre Ihr Vorschlag gewesen: an der Südgrenze Europas auf sie zu schießen?
PAZDERSKI: Ich dachte, wir unterhalten uns hier ernsthaft. Die Kanzlerin sagte, wir können die Grenze nicht schützen, die Balkanstaaten können das komischerweise. Und wir verlangen auch von der Türkei, ihre Grenze zu schützen.
Seite 2: Die Angst nehmen
Herr Lederer, hat die Kanzlerin auch Fehler gemacht?
LEDERER: Ja, als sie Griechenland in der Euro-Krise hängen gelassen hat. Aber nicht, als sie Herz bewiesen hat. Ich erwarte von der Bundesregierung aber endlich, dass sie mehr tut – für Schulen, Unterkünfte, Arbeit.
Zuletzt gab es bei Kämpfen zwischen arabischen Familien in Berlin wieder Verletzte. Die Beteiligten sind einschlägig bekannt und oft in Berlin geboren. Auch bei Autorennen, Überfällen, Eifersuchtstaten fallen immer wieder bestimmte Männer auf.
LEDERER: Tatsächlich muss die Justiz so etwas ohne Ansehen der Person verfolgen. Dazu gehört auch eine vernünftige Ausstattung der Polizei.
PAZDERSKI: Was haben Sie dafür eigentlich all die Jahre im Abgeordnetenhaus gemacht, Herr Lederer?
LEDERER: Sie wissen doch nicht, wovon Sie reden …
PAZDERSKI: … Nichts haben Sie getan!
LEDERER: Unfug, wir haben eine bessere Ausstattung der Justiz gefordert. Das hat die SPD-CDU-Koalition abgelehnt. Und Leute, die in dritter Generation hier sind, können wir wohl nicht abschieben.
Aber es gibt ein Problem mit muslimischen Einwanderern?
LEDERER: Wir können nicht alle über einen Kamm scheren. Aber als Linker und Schwuler habe ich zweifellos Probleme mit islamischem Fundamentalismus, mit christlichem übrigens auch.
PAZDERSKI: Ich warte noch auf Ihre Argumente, Herr Lederer, wie genau Integration aussehen soll. In Berlin sind tausende Männer aus arabischen Clans aktiv, die eine Parallelgesellschaft bilden. Es erinnert mich an das New York der 80er. Dort konnte man nicht durch den Central Park laufen, Raub, Totschlag, Drogen. In den 90ern hat Rudolph Giuliani als Bürgermeister mit der Null-Toleranz-Politik durchgegriffen. Auch unser Staat muss das Gewaltmonopol zurückholen. Und Europa kann es nicht. Herr Lederer, Sie haben recht: Die Griechen wurden alleingelassen.
Wie wollen Sie den Berlinern, wie wollen Sie Ihrer Tochter die Angst nehmen?
PAZDERSKI: Jugendrichterin Kirsten Heisig hat mit ihrem Modell für jugendliche Intensivtäter schon vieles richtig gemacht …
LEDERER: … übrigens ein Modell unter Rot-Rot. Ich habe daran mitgearbeitet.
PAZDERSKI: Ja, gut. Wir fordern 2000 Polizisten mehr. Die Beamten werden in Berlin schlechter bezahlt als in anderen Bundesländern – und sind 40 Tage im Jahr krank, weil die Belastung in Berlin noch größer ist als in anderen Städten. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz. Um das Sicherheitsgefühl zu erhöhen, helfen auch Kontaktbereichsbeamte.
LEDERER: Wir müssen mehr Beamte einstellen. Das fordern übrigens alle – nicht erst die AfD. Und ja, der Rechtsstaat muss sich durchsetzen. Aber das Problem lösen wir nicht nur mit Polizei und Justiz. Wir müssen in die Bildung investieren. Die Linke ist deshalb für die Gemeinschaftsschule …
PAZDERSKI: … ach ja, richtig. Sie wollen immer neue Programme, immer neues Geld verteilen. Fangen Sie lieber damit an, dass jeder neunte Schulabgänger keinen Abschluss hat. Berlin ist bundesweit oft Schlusslicht bei der Bildung.
LEDERER: Soziale Spaltung ist eine Ursache für Gewalt. Und die Spaltung wird durch das dreigliedrige Schulsystem verfestigt. Sie sind doch so ein großer Globetrotter, Herr Pazderski. Sie kennen die europaweiten Vergleiche, wonach das deutsche Bildungssystem besonders unsozial ist. Die Elitenkinder gehen auf das Gymnasium, für die Kinder von unten gibt es die Restschule – ohne Chancen auf beruflichen Erfolg. Sie wollen Spaltung, nicht Zusammenhalt.
PAZDERSKI: Sie wollen einfach noch mehr Experimente!
LEDERER: Die Gemeinschaftsschule bedroht doch nur Ihre Ausleseideologie!
PAZDERSKI: In den 60ern und 70ern was das System durchlässiger als heute, es gab den zweiten Bildungsweg – trotz gegliedertem Schulwesen schafften es Arbeiterkinder nach oben. Die Schulen sind in Berlin heute so heruntergekommen, dass Eltern sie renovieren. Ja, wir müssen massiv in Bildung investieren. Wir erwarten aber auch eine Bringschuld von Einwanderern. Das Problem ist oft die Sprache: Sieben Prozent der Berliner sind mehr oder weniger Analphabeten. Ein türkischer Freund von mir ist ein gutes Beispiel für Anstrengung, Bildungsanspruch, Integrationswillen. Seine Söhne arbeiten heute als Professor und Autoentwickler.
Herr Lederer, haben Einwanderer eine Bringschuld?
LEDERER: Der Begriff ist mir zu abstrakt. Der Staat muss die Bedingungen für Integration bereitstellen. Die aktuelle Politik verhindert aber, dass Flüchtlinge schnell Deutsch lernen und Arbeit finden. Und ja, wir brauchen mehr Polizisten, mehr Lehrer – wie will die AfD das eigentlich bezahlen?
PAZDERSKI: Wir haben 23 Staatssekretäre in Berlin, wir finanzieren einen Großflughafen, der nicht fertig wird, wir lassen überall Geld versickern.
LEDERER: Selbst wenn Sie 15 Staatssekretäre streichen – das reicht lange nicht für die Milliarden, die wir für die Schulen brauchen. Sie sind doch die Partei, die keine Vermögenssteuer, keine Erbschaftssteuer will, aber den BER. Ausweichmanöver nennt man das, damit kennen Sie sich aus, Sie waren ja beim Militär.
Recht und Ordnung bei Verschlankung des Staates – geht das?
PAZDERSKI: Ja, die Bürger sollen mehr Verantwortung bekommen. Und wir müssen Schwerpunkte setzen. 600 000 Berliner leben von Hartz IV, aber das Opernhaus bekommt 130 Millionen Euro Subventionen im Jahr. Das Studentenwerk wurde in Studierendenwerk umbenannt, was rund 800 000 Euro gekostet hat. Dafür ist merkwürdigerweise Geld da.
LEDERER: Fakt ist, der rot-rote Vorgängersenat hat den Haushalt saniert, damit Geld ausgegeben werden kann. Der aktuelle Senat aber hat falsche Schwerpunkte gesetzt. Der öffentliche Dienst funktioniert nicht. Da müssen wir ran. Eine Schuldenbremse und Steuergeschenke, wie die AfD sie will, verhindern nötige Investitionen.
PAZDERSKI: Bald ist Steuerzahlergedenktag. Rein rechnerisch arbeitet man erst ab Juli für sich selbst, vorher geht das Geld an den Staat. Es wäre falsch, Bürgern noch mehr Geld abzunehmen. Und dann geben Sie es auch noch falsch aus.
LEDERER: Ihre Sorge ist doch, dass Sie als weißer Mittelstandsmann zu viel zum Gemeinwohl beitragen könnten.
PAZDERSKI: Und Sie wollen bloß pauschal umverteilen.
LEDERER: Und Sie trauen sich nicht an die Reichen und Mächtigen. Das ist feige!
PAZDERSKI: Überlegen Sie mal, wer diesen Staat eigentlich trägt! Die Steuerzahler, die für allerlei Projekte aufkommen müssen. Der Mittelstand …
LEDERER: … Es ist der Staat aller!
PAZDERSKI: Man muss doch fragen, was sinnvoll ist und wo Geld versickert. Und während überall Geld knapp ist – für die Flüchtlingsunterbringung wurde welches mobilisiert. 5200 Euro kostet ein unbegleiteter Minderjähriger an Betreuung und Unterkunft im Monat. Von dem Geld müssen im Schnitt zwei Berliner Familien leben.
LEDERER: Ich zitiere den Vize-Chef der Zehlendorfer AfD, der Flüchtlinge in Lagern unterbringen will, für die man nichts brauche als „Bauholz, Hämmer, Sägen und Nägel“ – wollen Sie so Geld sparen? Stehen Sie hinter dieser Aussage?
PAZDERSKI: Ich finde es richtig, Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimat unterzubringen, also im Nahen Osten zu versorgen.
LEDERER: Ihr Zehlendorfer Vize-Vorsitzender will eine moderne Form des Konzentrationslagers …
PAZDERSKI: … war ja klar, dass das von Ihnen kommt. Ausgerechnet bei der Geschichte Ihrer eigenen Partei.
LEDERER: Sie sind AfD-Spitzenkandidat! Stehen Sie hinter der Aussage Ihres Parteikollegen oder nicht?
PAZDERSKI: Am besten wäre es, die Flüchtlinge schon im Nahen Osten zu versorgen.
LEDERER: Ausweichmanöver! Keine weiteren Fragen! (Lederer beginnt, seine Tasche zu packen)
Seite 3: Ist die Linke heute zu wenig Protestpartei
Wie sollen wir mit den Flüchtlingen umgehen, die schon in Berlin sind?
PAZDERSKI: Wir sollten die Flüchtlingshilfe zunächst mal europäisieren: Wir zahlen in Europa am meisten Geld an jeden. Deshalb wollen so viele zu uns – und manche schicken davon noch Geld nach Hause. Es muss in Deutschland genauso viel geben wie in Griechenland. Und wer keinen Aufenthaltstitel bekommt, muss ausgewiesen werden.
Herr Lederer, Sie haben in anderen Bundesländern viele Wähler an die AfD verloren. Ist die Linke heute zu wenig Protestpartei, zu sehr Establishment?
LEDERER: Wir ziehen jedenfalls nicht mit Ressentiments in den Wahlkampf. Wir sind die Partei der Solidarität und des Gemeinsinns.
PAZDERSKI: Erklären Sie mir, warum die AfD in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt unter Erwerbslosen und Arbeitern die stärkste Partei geworden ist?
LEDERER: Wir fahren in den vermeintlichen AfD-Hochburgen in Berlin immer noch gute Ergebnisse ein. Wer rassistische Ressentiments hat, wird eher AfD wählen. Wenn uns unsere Haltung zwei Prozent der Stimmen kostet, kann ich damit leben.
Herr Lederer, auch in der Linken gibt es Vorwürfe, Sie betrieben eine antideutsche Politik.
LEDERER: Damit kann ich nichts anfangen, ich betreibe eine antinationalistische Politik.
Sie beschreiben sich als Kosmopolit, Herr Pazderski. Was bedeutet Deutschsein für Sie?
PAZDERSKI: Ich will erst mal was zu Herrn Lederer sagen. Die Linke spekuliert auf eine Regierungsbeteiligung. Doch für Berlin wäre Rot-Rot-Grün eine Horrorvorstellung.
LEDERER: Wollen lieber Sie regieren?
PAZDERSKI: Wir werden Oppositionsarbeit machen – was Sie fünf Jahre lang nicht geschafft haben. Wenn Sie in der Regierung sitzen, können Sie sich warm anziehen. Zur Frage nach meinem Deutschlandbild: Ich beziehe mich auf Theodor Heuss, den ersten Bundespräsidenten. Der sah Europa auf drei Hügeln gebaut: Golgota bei Jerusalem für die christlich-jüdische Kultur, die Akropolis in Athen für Demokratie, das Kapitol in Rom für die Herrschaft des Rechts. Dazu zähle ich den deutschen Kulturraum.
LEDERER: In den Reden Ihrer Parteimitglieder wird was anderes deutlich: Sie wollen eine völkisch-nationalistische Abgrenzung.
PAZDERSKI: Das ist Quatsch. Sie agitieren und polemisieren. Was anderes fällt Ihnen nicht ein.
Kommt das Familienbild der AfD islamischen Vorstellungen nicht viel näher als das der Linken, Herr Pazderski? Sie fordern kein Adoptionsrecht für Homosexuelle, keine Homo-Ehe.
PAZDERSKI: Reden Sie mal mit der Frau und dem Mann auf der Straße. Die sagen Ihnen: Eine Familie sind Mutter, Vater, Kinder. Heute arbeiten Mütter, um eine andere Frau zu bezahlen, damit die ihre Kinder erzieht.
Die Einschulungsuntersuchungen ergeben, dass Kinder, die Kitas besuchen, besser integriert sind. Sprachkompetenz und Bildungsaussichten steigen enorm. Wollen Sie nicht genau das?
PAZDERSKI: Wir sind gegen eine Kitapflicht. Wollen Sie die Kinder im Notfall von der Polizei abholen lassen? Wir sind für die Vorschule, aber Dreijährige sollten nicht zwangsweise zur Kita müssen. Linke wollen immer alles regulieren.
LEDERER: Mit Regulierung haben Sie keine Probleme, wenn es um Aufklärung und Forschung geht!
PAZDERSKI: Wo steht das?
LEDERER: In Ihrem Programm.
PAZDERSKI: Lesen Sie mir mal vor!
LEDERER: „Die Aufklärung über unterschiedliche Sexualpraktiken, sexuelle Wünsche oder sexuelle Orientierungen obliegt weiterhin dem Elternhaus.“ Sie warnen vor „Frühsexualisierung von Kindern“ in der Schule. Dabei, Herr Pazderski, hätte ich mir gewünscht, jemand hätte mir in der Schule erklärt, dass es Homosexualität gibt.
PAZDERSKI: Sexualaufklärung muss altersangemessen sein.
LEDERER: Hört sich an wie bei den Mullahs. Und an den Universitäten wollen Sie die Forschung beschneiden.
PAZDERSKI: Gender-Forschung ist keine Wissenschaft, so wie Astrologie auch nicht.
LEDERER: Ach, Herr Pazderski …
Herr Lederer, was machen Sie eigentlich nach der Wahl, wenn es keine Koalition mit der Linkspartei gibt?
LEDERER: Wir werden Opposition machen – aber in Abgrenzung zu den völkischen Nationalisten der AfD.
PAZDERSKI: Wir sind keine völkische Partei, wir sind eine Volkspartei. Wenn wir ins Abgeordnetenhaus einziehen, sind wir Opposition. Konstruktiv – aber anders als die Linke benennen wir Missstände.
Und Sie beide persönlich? Herr Lederer, welcher Senator wollen Sie werden, wenn es nach der Wahl dafür reicht?
LEDERER: Die Frage ist zurzeit irrelevant, wir kämpfen für ein gutes Ergebnis.
PAZDERSKI: Wenn wir ins Abgeordnetenhaus einziehen, werfe ich zur Wahl des Fraktionschefs meinen Hut in den Ring.