Konflikte in Berliner Flüchtlingsheimen: Aus der Heimat geflohen, Hass im Gepäck
Ahmed, Abdul und Mohammed leben in einem Berliner Flüchtlingsheim. Aus ihrer Heimat haben sie ihren Ehrenkodex mitgebracht. Und den Hass auf Schwule, Schwarze und Andersgläubige. Es wird lange dauern, bis sie wirklich ankommen.
Lustlos steht Tamer, der Wachmann, vor dem Flüchtlingsheim. Es nieselt, ein trüber Tag. In dem Gebäude leben rund 300 Asylbewerber in Zwei- bis Vier-Bett-Zimmern. Drei von ihnen sitzen in der Heimküche.
Juden? Kontrollieren die Medien. Im Westen, aber auch in Russland und Iran. Sagt Ahmed, drahtig, 20, aus Syrien.
Schwarze? Einige „Affen“ seien nett, die meisten eine Plage. Sagt Mohammed, gut genährt, Anfang 20, aus Ägypten.
Homosexuelle? Widerlich, ginge es nach Gott, sollten sie nicht leben. Sagt Abdul, hager, 30, aus Afghanistan.
Unaufgeregt, freundlich, sanft erklären die drei Männer: Frauen gehorchen dem Mann. Schläge seien erlaubt, aber unnötig. Frauen wollten ja gehorchen.
Besuche in Asylunterkünften müssen eigentlich angemeldet werden. Weil es aber um ziemlich Betrübliches geht, scheint an diesem Tag ein Gespräch ohne Heimleiter ratsam. Es geht um die Ansichten von Asylbewerbern, die nicht zum Bild passen, das sich wohlmeinende Bürger von Flüchtlingen machen. Ist es nach Clausnitz, nach unzähligen Brandanschlägen legitim, über Hass und Vorurteile von Flüchtlingen zu sprechen?
Versuch einer Stichprobe
Bis zur Kölner Silvesternacht interessierte die Menschenverachtung unter Flüchtlingen oft nur bekennende Asylfeinde. Als 2014 in Berlin tschetschenische Muslime syrische Christen niederprügelten, folgte dem keine Debatte. Ein Jahr später versuchten arabische Flüchtlinge in Suhl, einen Mann zu lynchen, der den Koran beleidigt haben soll. Kurz darauf drangsalierten Asylbewerber in Dresden homosexuelle Flüchtlinge. Anfang 2016 überfielen auf Fehmarn ein Syrer und ein Afghane einen Juden.
Vor einigen Tagen rückten Beamte in der Notunterkunft in Tempelhof mit Hunden an, um christliche Iraner vor muslimischen Schlägern zu schützen. Kurz darauf wurde bekannt, dass sich Afghanen in derselben Unterkunft darüber unterhalten haben sollen, wie man christliche Mitbewohner wohl töten könne. Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte: „Religiöse Gewalttäter haben unseren Schutz nicht verdient.“ Nicht jeder Asylsuchende sei nur ein Opfer, das Hilfe brauche, sondern womöglich auch Täter.
Vielleicht sind einige Flüchtlinge einfach beides. Fast 45 000 Asylbewerber leben in den 100 Berliner Sammelunterkünften. Großfamilien, Paare mit Kleinkindern, vor allem junge Männer, oft aus Syrien, Irak, Afghanistan.
Versuch einer Stichprobe.
Was die drei sagen, wird übersetzt
Auf den Fluren des Heimes im Osten der Stadt mischt sich das Grummeln alter Männer mit dem Kreischen kleiner Kinder. In den Zimmern stehen einfache Betten, zwei Schränke und Einkaufstüten. Vor der Küche stehen Frauen mit Kopftüchern und tippen auf ihren Telefonen. An den Tisch setzen sie sich nicht.
Wer asylberechtigt ist, ist dies unabhängig von der Gesinnung, auch wenn dies manchmal schwer auszuhalten ist. Das Menschenrecht auf Schutz vor Verfolgung geht vor.
schreibt NutzerIn fuehrerscheinnichtnutzer
Dass Ahmed an diesem Tag über seine Ansichten spricht, hat mit einem Tetra Pak zu tun. Vor einigen Wochen hat er mit Kugelschreiber einen Galgen auf den Tetra Pak gekritzelt. An dem Galgen hing ein gemalter Davidstern. Eine Arabisch-Übersetzerin, selbst Tochter libanesischer Exilanten, sah das. Sie wollte deutlich machen, womit sie seit Jahren zu tun hat, und fragte Ahmed, Mohammed und Abdul, ob sich ein Reporter mit ihnen unterhalten darf.
Was die drei sagen, wird größtenteils übersetzt. Sie sprechen kein Englisch, allerdings schon ein paar Brocken Deutsch. Juden, sagt Ahmed, seien für das Elend dieser Welt verantwortlich. Sie hätten die Massaker von Paris angezettelt und den Muslimen untergejubelt: „Weil Frankreich zuvor Palästina anerkennen wollte!“
Juden stützten auch Baschar al Assad. Der sei kein Muslim. Tatsächlich ist Syriens Präsident Alawit, eine Spielart des Islam. Ahmed weiß es besser: Nur Sunniten – wie er – seien Muslime, auch Schiiten und Drusen seien Verräter, Zionisten, Teufel. Und Gewalt gegen Teufel sei legitim.
Die Übersetzerin versucht es mit einem Pluralismus-Crashkurs
Ahmed – Trainingsjacke, Jogginghose, Flip-Flops – stammt aus einem Dorf in Nordsyrien und sollte Handwerker werden. Auf Wunsch der Familie floh er vor ein paar Jahren in die Türkei, verrichtete Hilfsjobs, bevor er 2015 über den Balkan nach Deutschland kam. „Die Deutschen“, sagt Ahmed, „haben alle ein Auto.“
Die Vorarbeiter in der Türkei hätten gesagt, man brauche in Deutschland einen wie ihn. Einen, der anpacken könne. Sie hätten den Kontakt zu dem Mann hergestellt, der ihm einen Platz auf einem Boot nach Griechenland verkaufte. Ahmed wundert sich nun in Berlin, warum ihm niemand einen Job anbietet. Auf dem Flur habe er erfahren, dass die Deutschen Juden lieber mögen als Araber.
Ahmed erzählt nicht, ob er in Syrien gekämpft hat. Sein Dorf sei jedenfalls lange von der Al-Nusra-Front regiert worden. Das seien anständige Menschen gewesen, sagt er. Die Al-Nusra-Front steht Al Qaida nah, viele ihrer Kämpfer schlossen sich dem „Islamischen Staat“ an.
Ahmed wünscht sich Arbeit, Frau und Kinder. Seine Frau, die noch zu finden wäre, müsse Jungfrau sein. Und … – Mohammed aus Ägypten mischt sich ein: Stimme es, dass deutsche Frauen nackt in der Sonne lägen? Ja, einige tun das, an der Ostsee gibt es Strände für Nackte. Mohammed ist skeptisch: Wieso dürfen die das, wo sind deren Männer!?
Die Übersetzerin versucht es mit einem Pluralismus-Crashkurs. Alle haben die gleichen Rechte, zumindest formal. In Schulen, Cafés, Parks. Eine Frau muss ihren Mann nicht fragen. Manchmal leben Frauen auch mit Frauen zusammen. Mohammed verzieht den Mund: mehr Unglaube als Unbehagen.
"Geheime Mächte" in Ägypten
Mohammed – Pullover und abgetragene Anzughose – sagt, Ägypten sei das beste Land der Welt. Leider stürzten es geheime Mächte ins Chaos. Dazu komme die Invasion von „Affen“ aus dem Süden. Von Alexandria aus ist Somalia weiter weg als Rom. Mohammed, der in einer Bank gearbeitet hat, sagt: „Ägypter sind wertvoller als Schwarze.“
Die Männer in der Küche sprechen nur für sich. Nicht alle Ägypter denken wie Mohammed und nicht alle Syrer wie Ahmed. Vielleicht sind sie in der Minderheit, Syrien war einst gar arabischer Vorzeigestaat: Vor allem Alawiten, Kurden, Aramäer, Drusen und Armenier, aber auch sunnitisch-arabische Akademiker sind oft aufgeklärter. Dennoch wird im Nahen Osten anders über Frauen, Straftäter, Minderheiten gedacht. Dass viele Frauen ihren Mann nicht selbst auswählen, sondern deren Väter das tun, stört Mohammed nicht. Sind solche Ansichten verbreitet?
Die Übersetzerin sagt: Ja – wobei es „enorme Unterschiede“ gebe. In der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Tiergarten sitzt ein paar Monate zuvor Amill Gorgis beim Tee. In Syrien geboren, lebt der Ingenieur seit 1970 in Deutschland. Er sagt: „Viele bringen überhaupt keine demokratischen Prinzipien mit.“ Wer unter Sittenwächtern groß wird, hinterfragt Dogmen selten. Da reichten die deutschen Gesetze nicht, sagt Gorgis, da müssten Kultur und Bildung gesellschaftlichen Integrationsdruck erzeugen. Gorgis schlägt vor, Flüchtlinge sollten einmal die Woche ehrenamtlich helfen.
Die Integration wird dauern
Anruf bei einem, der einen Überblick hat, den Flüchtlinge, Helfer und Politiker schätzen. Thomas de Vachroi ist Projektleiter der Diakonie und hat für den Arbeiter-Samariter-Bund die Unterkunft im Rathaus Wilmersdorf aufgebaut: 1300 Bewohner, davon 400 Kinder, 13 Sozialarbeiter, dazu Dutzende – darunter jüdische – Freiwillige. „Ja, es gibt Ansichten, die schlimm sind. Es gibt Gewalt. Aber so richtigen Hass habe ich zumindest bei uns nicht erlebt“, sagt de Vachroi, der seinen christlichen Glauben offen lebt. Doch die Integration werde dauern.
Sie haben damit schon begonnen. Im Rathaus hängen mehrsprachige Aushänge, die homophobes Verhalten untersagen. In den Deutschstunden unterrichten Lehrerinnen. Prügelnde Paschas werden des Hauses verwiesen. De Vachroi, der in Britz für die CDU zur Abgeordnetenhauswahl antritt, beobachtet, dass viele Flüchtlinge in Clan-Kategorien denken, individuelle Rechte müsse man trainieren. „Doch das läuft. Einige Frauen haben bei uns ihre Kopftücher abgenommen, weil sie sehen, dass das geht.“
Helfer aus anderen Heimen berichten, dass es Christen, Homosexuelle, Frauen schwer haben. Namentlich will sich niemand zitieren lassen. „Das schadet in der aktuellen Debatte doch eher“, sagt einer. „Sieht man ja in Sachsen." Viele Männer kämen nicht damit klar, wird berichtet, dass sie in ihrer Heimat als Familienoberhäupter tun konnten, was sie wollten – und in Deutschland unten anfangen müssen. „Zum Müllaufsammeln bückt sich keiner“, sagt eine Helferin. „Manche haben eine Herrenmenschenattitüde.“ Es gebe Halbwüchsige, die beschwerten sich so laut über nicht genehme Speisen, als gebe es ein Recht auf Kobe-Rind.
In Berlin wird in Heimen täglich die Polizei gerufen
Viele Schlägereien entzünden sich daran, dass einer die Frau eines anderen anschaut. In einem Heim hat ein Afghane mal aus Rache auf dem Bett eines Irakers seinen Darm entleert. Die intellektuell Unterlegenen lassen ihren Frust an den körperlich Unterlegenen aus.
In Berlin wird in Heimen täglich die Polizei gerufen, oft wegen Nötigung und Körperverletzung. Das Präsidium teilt mit, erst im Laufe des vergangenen Jahres seien Straftaten in den Unterkünften gezielt erfasst worden. Bekannt ist, dass es regelmäßig Hausverbote gibt. Sie sind nicht immer durchzusetzen, denn der Heimleiter muss sichergehen, dass der Täter unterkommt. Turnhallen, Ex-Büros, alte Kliniken sind belegt. Der Senat baut für 78 Millionen Euro nun Wohncontainer mit 15 000 Plätzen.
Auch integrationspolitisch will der Senat aufrüsten. „Wer die Sprache eines Landes nicht kann, versteht oft dessen Werte nicht“, sagt Christoph Lang, der Sprecher von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Zu den Flüchtlingen, die in Berlin die vom Bund bezahlten Integrationskurse besuchen, bietet Kolat zusätzlich Deutschklassen an, die das Land selbst bezahlt. Immerhin 6000 Männer und Frauen nahmen 2015 daran teil, nun sollen es mehr werden. Im Unterricht gibt es bald auch Wertemodule, sozusagen Einführung in den Westen. Die ersten 2200 Asylbewerber arbeiten als Ein-Euro-Jobber. Sie sollen außerhalb der Unterkünfte helfen, um andere Menschen kennenzulernen.
Geschätzt 50 Prozent sind Analphabeten
Eine reguläre Arbeitserlaubnis erhalten Asylbewerber frühestens nach drei Monaten. Es gibt Schätzungen, wonach 50 Prozent von ihnen Analphabeten sind. Auf dem Arbeitsmarkt haben sie keine Chance, wenn selbst Ahmed und Mohammed – die Arabisch schreiben und schon deutsche Phrasen können – keinen Job bekommen. Laut Bundesagentur für Arbeit werden nach einem Jahr zehn Prozent der Flüchtlinge arbeiten.
Zurück in die Heimküche. Abdul aus Kabul hat bislang wenig verstanden, denn er ist Turkmene. Abdul spricht wie in Afghanistan üblich Persisch, vor allem aber Turkmenisch, das mit dem Türkischen verwandt ist. Gut, dass der nächste Türkisch-Übersetzer vor der Tür steht. Wachmann Tamer ist Berliner mit türkischen Eltern. Gemächlich schreitet er zur Küche. Dass er nicht für immer in einem Heim arbeiten will, ist ihm anzusehen.
„Schwul, na ja, ganz normal ist das echt nicht“, schöpft Tamer ein wenig aus seinen eigenen Vorurteilen. Aber? „Abdul aber sagt, dass Schwule gar nicht auf die Erde gehören, wenn ich’s richtig verstanden habe.“
Abduls Frau, mit Kopftuch, und die Tochter setzen sich dazu. Abdul sagt, in Kabul habe man ihm erzählt, in Deutschland gebe es 3000 Euro Begrüßungsgeld. Der Mann, der ihm vom Begrüßungsgeld berichtet habe, sei angesehen – Tamer übersetzt es mit: ein Mann, dem viel gehört – ihm könne man glauben. Verweigere ihm die deutsche Regierung sein Geld?, will Abdul wissen.
Was, Mädchen dürfen nicht heiraten?
Wenn er erst mal eine Wohnung hat, will Abdul mehr Kinder. Und die Tochter soll heiraten. Mit 14, 15. Was, in Deutschland dürfen Frauen nackt am Strand liegen, Mädchen aber nicht heiraten?
Es gibt Mittagessen. Abduls Frau hat gekocht. Der Syrer und der Ägypter sind eingeladen. In den kommenden Monaten wird sich in ihrem Leben wenig ändern. Ohne Perspektive wärmt man sich leicht an den eigenen Ressentiments. Sollten für Neuankömmlinge die gleichen Maßstäbe gelten wie für Alteingesessene, dann jedenfalls säßen in dieser Heimküche drei Rechtsextreme.
Die vom Mob verfolgten Iraner aus Tempelhof sind bei einem Pfarrer untergekommen. Und Senatorin Kolat hat kürzlich ein Heim für schwule, lesbische und transsexuelle Flüchtlinge eröffnet. Gut, dass es das gibt.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel am 26. Februar 2016.
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