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 Beamte bei einer Kontrolle.
© picture alliance / dpa

Dealer und Polizei in Berlins Görlitzer Park: Willkommen in der Krampfzone

Voller Einsatz gegen Drogen, null Toleranz im Görlitzer Park! Das beschloss Berlins Innensenator vor einem Jahr. Heute patrouillieren mehr Polizisten, sorgen sich noch immer Anwohner. Während sich das Problem zunehmend verlagert.

Dylan und Taylor wissen genau, was sie im Görlitzer Park wollen. Die beiden Studenten aus Alabama sind weit gereist und nun als Touristen in Berlin unterwegs. Sie gehen auf einen dunkelhäutigen jungen Mann zu. Die drei sprechen kurz miteinander, dann geht alles ganz schnell. Sie bilden einen kleinen Kreis, kommen sich nahe, sprechen im Chor. „Bless me, oh Lord“, beten sie gemeinsam.

„Wir sind einfach nur hier, um Menschen zu segnen“, erklärt Dylan kurze Zeit später. Von einem Bekannten haben sie vom Görlitzer Park, dem „Görli“, erfahren, von den Drogen, die es hier gibt, und von den vielen Besuchern. Sie wollen helfen – und mit den Menschen beten. Die beiden ziehen etwas zu gut gelaunt weiter, gehen auf jene zu, die Tag für Tag im Görli abhängen.

Der Park sieht heute aus, wie man ihn kennt. Auf den Bänken und an den Eingängen drücken sich die üblichen Verdächtigen rum, verkaufen Gras und vielleicht auch nicht nur das. Andere stehen einfach nur dabei, quatschen, schlagen die Zeit tot, von der sie viel zu viel haben. „Hey, you want some weed?“, willst du Gras?, oder einfach nur „Weed?“ sind die Fragen, die jedem Parkbesucher beim Eintritt gestellt werden. Einige laufen mit gesenktem Kopf schnell vorbei und tun so, als hätten sie nichts gehört. Andere sind genau deswegen hier.

Null Toleranz! - Das gilt sein einem Jahr

Seit knapp einem Jahr gilt im Görlitzer Park: null Toleranz. Ende März vergangenen Jahres hat der Senat – allen voran Innensenator Frank Henkel – den dortigen Drogenhändlern den Kampf angesagt. Für den Park gibt es seitdem eine Sonderregel: Cannabisbesitz für den Eigenbedarf wird nicht mehr toleriert, sondern bestraft. Schon seit November 2014 besteht eine Taskforce aus Polizei, Innenverwaltung und Ausländerbehörde, die den Drogenhandel eindämmen soll. An diesem ersten schönen Frühlingstag fast anderthalb Jahre später floriert das Geschäft.

Bernd Mastaleck.
Bernd Mastaleck.
© Kai-Uwe Heinrich

„Die haben mich hier schon abgecheckt“, sagt Bernd Mastaleck, noch bevor er den Park überhaupt betritt. Er ist Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Polizei und tätig in der Direktion 5, die zuständig ist für die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Mastaleck arbeitet seit rund 40 Jahren als Polizist und kennt die Brennpunkte: den Görlitzer Park, das RAW-Gelände, die Hasenheide und mittlerweile auch das Kottbusser Tor. Beim Rundgang durch den Park wirkt er etwas nervös. Mit seinem schwarzen Mantel sehe er nicht wie ein typischer Parkbesucher aus, schon gar nicht wie jemand, der hier Drogen kauft.

Resigniert schaut er sich um, an den Eingängen, auf den Bänken, das übliche Bild. Ein Jahr Null-Toleranz-Politik – war das erfolgreich? Mastaleck zieht die Augenbrauen nach oben. „Finden Sie das erfolgreich?“

Ein süßlicher Geruch in der Luft

Etwas optimistischer sagt er: „Über die Leute hier kommen wir an Zwischenhändler und Hintermänner ran.“ Und wenn das gar nicht alles Dealer sind, die hier rumhängen? „Doch“, sagt Mastaleck, „das sind keine Freunde, die sich treffen und einfach die Sonne genießen.“ Regelmäßig sind im Park Polizisten im unteren zweistelligen Bereich unterwegs. Nicht 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, aber oft, teils in Zivil, teils in Uniform. Im vergangenen Jahr wurden sie aus unterschiedlichen Dienststellen der Direktion 5 hierher abgezogen. Wer dann dauerhaft hier bleibt, der macht das freiwillig. „Das ist auch ein Stück weit Überzeugung“, sagt Mastaleck. Reichen würde es trotzdem nicht, es gebe einfach nicht genug Personal. Die Polizisten, die nun im Görli im Einsatz sind, fehlen an anderer Stelle. „Wenn man die Decke zum Kopf zieht, weil man friert, sind die Füße kalt.“

Rund 58 000 Einsatzkräftestunden der Polizei gab es 2015 im Görlitzer Park, das sind fast 20 000 Stunden mehr als 2014, wie die Polizei auf Anfrage mitteilt. 1746 Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln gab es 2015 – das sind nicht einmal 300 mehr als im Vorjahr.

Im Park genießen an diesem Tag einige Menschen die Sonne, trinken Kaffee. Es liegt ein Geruch in der Luft, etwas süßlich ist er. Ein verbotener Geruch, sozusagen, der Geruch von Marihuana. Wo er genau herkommt, lässt sich nicht sagen. Doch Null-Toleranz heißt eigentlich auch Null-süßlicher-Geruch. Eigentlich.

Die Nerven liegen schon länger blank

„Wir können hier nicht einfach irgendwelche Leute kontrollieren“, sagt Mastaleck. Auch an einem Brennpunkt dürfe man das nur, wenn es einen konkreten Verdacht gebe. Wenn man nun einfach Menschen durchsuche, die durch den Park laufen, würde man die nur gegen sich aufbringen, findet er. „Das bringt nichts und abschrecken wird das auch niemanden.“ Viel frustrierender sei es, dass aufgegriffene Dealer meist nichts zu befürchten hätten. „Da verstecken sich viele hinter dem Jugendstrafrecht.“

Mag die Ankündigung des Innensenators, im Görlitzer Park härter durchgreifen zu wollen, auch erst ein Jahr her sein, die Nerven liegen dort schon länger blank. Bereits im Sommer 2014 machte die Polizei deutlich, dass sie sich nichts mehr gefallen lassen will. Da kursierte plötzlich ein Video im Netz, das zeigt, wie sich drei Polizisten vor dem Park auf einen Mann mit Clownsnase stürzen und ihn niederringen. Der Clown wird brutal auf die Straße gedrückt, wehrt sich. Es hieß, er habe einen Einsatz der Beamten gestört.

Die heftige Reaktion der Polizei hat damals viele schockiert. Eine Debatte um Polizeigewalt entbrannte. Doch das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen die Polizisten wurde im Januar 2016 eingestellt. Das ergab eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer, der für die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus sitzt und Mitglied des Innenausschusses ist.

Für viele Politiker war es bald an der Zeit, umzudenken und alternative Lösungen zu finden. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann schlug vor, den Verkauf weicher Drogen wie Haschisch und Marihuana zu legalisieren – und scheiterte mit ihrem Antrag.

Verlagerung der Kriminalität

Für einige Kollegen, unter ihnen auch Christopher Lauer, ist das nicht verständlich. Er sagt: „Diese Prohibitionspolitik wird nur aus plumpen, ideologischen Gründen aufrechterhalten.“ Sie fördere nur eines – die organisierte Kriminalität. Er fordert eine Entkriminalisierung und Legalisierung von Drogen. Die Null-Toleranz-Politik im Park führe lediglich zu einer Verlagerung der Kriminalität.

Das beobachten auch Anwohner. „Na ja, im Park sind schon weniger Dealer“, erzählt Lorenz Rollhäuser in einem Café gegenüber. Rollhäuser ist Anfang 60, sein graues Haar leicht verwuschelt. Seit mehr als 20 Jahren wohnt er am Görli. Er engagiert sich auch in der Anwohnerinitiative Görlitzer Park. „Wenn ich eigentlich dafür bin, Drogen zu legalisieren, kann ich nicht damit froh sein, wenn Leute im Knast sitzen, die zweimal was verkauft haben.“ Die Dealer, das betont Rollhäuser, seien nun eben in die umliegenden Straßen verdrängt wurden. Während der Park unterdessen zur politischen Bühne wird, zum Austragungsort vieler Kämpfe, ideologischer und alltäglicher.

„Der Ansatz aus Null-Toleranz, Polizeipräsenz und hohem Fahndungsdruck zahlt sich zunehmend aus. Wir brauchen dennoch einen langen Atem“, verteidigt Innensenator Henkel sein Vorzeigeprojekt auf Nachfrage. Die Verdrängung der Kriminalität in die angrenzenden Viertel habe man im Blick, heißt es in einer Mitteilung.

Die berühmte Frage: „Weed?“

Nicht nur die Politik hat das im Blick, auch Spaziergänger. Wer in Richtung Görlitzer Bahnhof geht, auf der angrenzenden Skalitzer Straße weiter zum Kottbusser Tor läuft oder in die entgegengesetzte Richtung, nach Friedrichshain, der hört auch dort des Öfteren die berühmte Frage: „Weed?“ Und was bei Tageslicht oft nur unangenehm ist, macht im Dunkeln vielen Angst. Unlängst wurde das Kottbusser Tor zur neuen No-go-Area erklärt. Es scheint, als habe der Görli sich ausgeweitet, als sei er plötzlich irgendwie überall.

Dennoch will Frank Henkel Erfolge vermelden. Anfang März konnte die Polizei bei Wohnungsdurchsuchungen sechs Männer festnehmen und 23 Kilogramm Marihuana beschlagnahmen. Die Drogen seien zum Verkauf im Görli bestimmt gewesen. „Solche Erfolge sind außerordentlich wichtig, um den Sumpf trockenzulegen“, sagt Henkel.

Ihn stören die Touristen: „Die halten die Nachfrage hoch“

Der Polizeigewerkschafter Bernd Mastaleck sagt: „Das hat den Verkauf hier vielleicht für einen halben Tag eingeschränkt.“ Was soll das Ganze? – könnte man da fragen. Machen auch einige. So wie Lorenz Rollhäuser von der Anwohnerinitiative. Die Antwort auf diese Frage weiß er allerdings auch nicht. Die Initiative stört sich an der aggressiven Stimmung und der Verwahrlosung des Parks. Sie will mehr Rücksicht und Respekt, weniger Dreck. Was sie nicht wollen, ist eine grundlegende Veränderung, eine strenge Law-and-Order-Politik. „Es geht uns nicht darum, jemanden zu vertreiben“, sagt Rollhäuser. Allerdings könne der Park auch nicht sich selbst überlassen werden und zu einem Ort werden, an dem das Recht des Stärkeren gilt.

Rollhäuser kennt den Görlitzer Park sehr gut, obwohl er dort gar nicht so oft ist, höchstens morgens zum Joggen. Dennoch ist er hartnäckig, will die Situation dort verbessern. Als er beim Spaziergang entdeckt, dass einer der Wege offenbar gerade neu gemacht wurde, freut er sich.

Eine Frau fällt ihm auf, die einen großen Handwagen behäbig vor sich herschiebt. Durch eine Glasscheibe an der Vorderseite des Wagens lässt sich erkennen, mit was sie alles unterwegs ist: Cola- und Wasserflaschen, Clubmate, Snacks. „Das ist die Frau, die immer Essen verkauft“, sagt Rollhäuser und winkt ihr lächelnd zu. Sie winkt zurück und bleibt kurz stehen. „Wie geht es dir?“, fragt sie in gebrochenem Deutsch. Gut, gut, versichert Rollhäuser. Die Frau macht wenig später halt bei den Dealern. Auch bei ihnen ist sie bekannt und beliebt. Und dann ist da noch „Frisbee-Boy“, wie ihn seine Familie nennt. Der junge Mann wirft die Plastikscheibe unermüdlich seinem Gegenüber zu. „Der ist immer hier“, sagt Rollhäuser und scherzt: „Irgendwann fällt ihm noch der Arm ab.“

Ein gemütliches Miteinander - so scheint es

Der Park wirkt ganz friedlich, jeder macht, wonach ihm der Sinn steht, auf der Wiese spielen Kinder. Ein gemütliches Miteinander, so scheint es. Warum muss sich überhaupt etwas ändern? „Das ist es ja“, sagt Rollhäuser, „niemand soll den Park verlassen müssen.“ Nur seien mit dem Drogenhandel eben auch andere Delikte in den Park gekommen. Raub, Diebstahl, Gewalt. „Und das ist ein Problem.“ Im vergangenen Jahr wurde hier ein Mann mit einer Machete niedergestochen. Nach einer anderen Messerstecherei fanden Kinder die blutige Tatwaffe auf dem Spielplatz im Park.

Doch was tun? Sogenannte Parkworker schlägt die Initiative vor, eine Mischung aus Sozialarbeitern und Ordnungskräften. Ihre Aufgabe soll es nicht sein, gegen Drogenhandel vorzugehen, sondern für die Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln zu sorgen, zu vermitteln und zu moderieren. Eine Art Bürgerwehr? „Nein, auf gar keinen Fall“, betont Rollhäuser, das ist ihm ganz wichtig. „Das würde ganz schnell rassistisch.“ Das Bezirksamt stehe der Idee aufgeschlossen gegenüber, doch bis sich vielleicht irgendwann mal etwas in der Richtung tut, das dauert.

Den Einsatz der Polizei im Park sieht Lorenz Rollhäuser kritisch. Denn die meisten, die hier stehen und dealen, würden vermutlich gern etwas anderes machen. Wenn sie denn nur könnten. Stattdessen haben sie meist keine Bleibeperspektive in Deutschland und dürfen nicht arbeiten. „Es werden nur die Schwächsten gejagt.“ Die Symptome würden bekämpft, aber nicht die Ursachen.

Wer sind die Dealer?

Und ihn stört noch etwas ganz anderes: die Touristen. „Die halten die Nachfrage hoch“, sagt er und fragt sich gleichzeitig, warum die Stadt den Tourismus noch vorantreiben will. Irgendwann müsse doch Schluss sein, das sei nicht mehr gut.

Wenn die Dealer im noch kahlen Gebüsch verschwinden, um ihr Zeug zu verkaufen, folgen ihnen nicht selten Touristen, die etwas nervös den Stoff eilig in der Tasche verschwinden lassen. Das alles geht ganz schnell. Sie wissen ja: Im Görlitzer Park gibt es Drogen, das steht im Netz, das steht in den Reiseführern. Nichts Neues im Görlitzer Park.

Doch wer sind die Menschen, die hier Geschäfte machen, vor denen manche Angst haben? Wer sind die Dealer? „Dunkelhäutige Afrikaner“, sagt Bernd Mastaleck. „Die Opfer einer verfehlten Politik“, sagt Lorenz Rollhäuser.

Auf dem Weg vorbei am Sportplatz erkennt er schon von Weitem einen Bekannten. Einer von den Dealern, oder, wie Lorenz Rollhäuser es sagt: „Ein Mensch, der eben leider auch dealt.“ Er hält kurz an, sagt „Hallo“. Der junge Mann lächelt, freut sich. Gut gehe es ihm, sagt er auf Englisch und erkundigt sich nach Rollhäusers Befinden. Ob er vielleicht kurz reden will, ein bisschen von sich erzählen? Da wird er nervös, schaut sich um. „Maybe later, maybe later.“ Vielleicht später. Angst haben hier alle.

Dieser Text erschien am 29. März 2016 auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel.

Julia Naue

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