Berliner Schulbau: Vor Schattenhaushalten wird gewarnt
Zur eigenen Entlastung plant der Senat, einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Schulbauaufgaben zu übertragen. Alte Rechnungshofberichte zeigen die Risiken.
Soll er oder soll er nicht? Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) steht aktuell vor der Frage, ob sich die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Howoge für das Berliner Schulbauprogramm verschulden soll oder ob das Land selbst direkt die Milliardenkredite aufnimmt.
Seit dem Sommer 2016 lief es auf diese Frage hinaus: Damals wollte die SPD vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus punkten und stellte ein großes Investitionsvorhaben für die Schulen vor. Und auch damals schon wurde die Möglichkeit angesprochen, dass eine noch zu gründende Howoge-Tochter nicht nur bauen, sondern den Bau auch finanzieren sollte – falls es die bundesweite Schuldenbremse unumgänglich machen würde.
Schulraumnot: Auch vor 45 Jahren
Was 2016 als Überraschungscoup wahrgenommen wurde, nämlich die Einbeziehung einer kommunalen Wohnungsbau-GmbH, ist in Wirklichkeit ein alter Hut, denn die SPD griff, wie berichtet, schon einmal auf dieses Instrument zurück, um die Schulraumnot zu lindern. Das war vor 45 Jahren.
Wer nun aber erwartet hätte, dass der Senat aus den damaligen Erfahrungen lernen könnte, sieht sich getäuscht: Alle beteiligten Senatsverwaltungen winken ab, wenn man sie nach den damaligen Eckdaten fragt. Einzig der Landesrechnungshof weiß mehr: Seine alten Berichte, die er auf Tagesspiegel-Anfrage auswertete und die HIER nachzulesen sind, werfen kein gutes Licht auf das damalige Geschäft.
Der erste Bericht befasste sich 1974 mit der Frage, ob es richtig sei, die Finanzierung staatlicher Aufgaben in die Hände privatrechtlich konstruierter Gesellschaften zu legen. Der Rechnungshof schrieb dazu, dass er bei der „Finanzierung öffentlicher Bauten über Dritte“ Zurückhaltung empfehle. Die Einschaltung privatrechtlicher Bauträger führe nur scheinbar zur Überbrückung finanzieller Schwierigkeiten“. Der Begriff "Schattenhaushalte" fiel.
Warten auf die Schlussabrechnung
Im Jahr 1982 folgte der zweite Bericht. In der Zwischenzeit waren alle 15 Mittelstufenzentren gebaut worden – und die Beschwerden über Baumängel nahmen Überhand, weshalb der Rechnungshof Aufklärung forderte. Die aber war nicht zu bekommen. Im Bericht heißt es dazu, dass der Bausenator „einige Jahre vergeblich versucht“ habe, von der Degewo die Schlussabrechnung zu erhalten.
Diese berief sich darauf, dass die endgültige Abrechnung erst nach Fertigstellung der Restarbeiten vorgelegt werden könne – eine Ansicht, die der Rechnungshof nicht teilte, „weil absehbar war, dass sich die Beseitigung der zahlreichen Baumängel über Jahre hinzieht und die Prüfung damit zwangsläufig weiter verzögert wird“.
Letztlich schaltete der Senat eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein, die der Degewo „schwerwiegende Verstöße“ ankreidete. Als die Degewo „in allen wesentlichen Punkten widersprach“, gab der Bausenator auf: Er konnte die Unterlagen „aus personellen Gründen“ nicht überprüfen.
So ärgerten sich die Bauverwaltung und der Rechnungshof noch eine Weile über widersprüchliche Daten, und die Schulen - unter ihnen die Neuköllner Clay-Sekundarschule, die Spandauer Bertold-Brecht-Schule oder und auch die Lichtenrader Carl-Zeiss-Schule - litten unter nicht funktionierenden Klimaanlagen und Trennwänden – bis sie 15 Jahre später alles stehen und liegen lassen mussten, weil ihre Neubauten mit Asbest verseucht waren.
Erst Degewo, jetzt Howoge
Obwohl man da bereits das Jahr 1989 schrieb, ist die Aktenlage der Senatsverwaltungen auch hier schlecht. Zur Frage des Tagesspiegels, wie denn nach 1989 mit den Leasingraten verfahren wurde, die das Land an die Degewo laut Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) zu zahlen hatte, gab es keine Aufklärung.
Selbst die Finanzverwaltung, die aktuell entscheiden soll, welche Art von Vertrag mit der Howoge abgeschlossen werden soll, weiß nach eigenen Angaben kaum etwas über die damaligen Konditionen und somit auch nichts über etwaige Fehler, die damals gemacht wurden.
Angesprochen auf die damaligen Erfahrungen mit der Degewo teilte sie nur mit, dass die landeseigene Howoge „über umfangreiche Expertise bei großen Neubauvorhaben verfügt“. Sie sei der anspruchsvollen Schulbauoffensive im Bereich Neubau und Sanierung gewachsen. Auch die Bildungsverwaltung lobte die Howoge, die ausgewählt worden sei, weil sie sich als „finanziell starke und strukturell stabil aufgestellte Gesellschaft“ erwiesen habe.
Der Rechnungshof klingt zurückhaltender. Auf die Frage, ob er es heute für ratsam hielte, größere bauliche Maßnahmen im Schulbereich auf eine Tochtergesellschaft der Howoge zu übertragen, hieß es, diese Frage könne ohne entsprechende Prüfung nicht beantwortet werden. Der Rechnungshof verfüge „bislang aber nicht über hinreichende Prüfungsrechte, um die Wirtschaftlichkeit der Bautätigkeit der Howoge prüfen zu können“.
Alle Rechnungshöfe warnen auf Schattenhaushalten
Anders verhält es sich mit der Frage, ob der Rechnungshof es auch heute – wie 1974 – kritisch sieht, wenn eine kommunale Tochter-GmbH für das Land die Kredite aufnimmt. Da gibt der Rechnungshof zu bedenken, da es sich bei der Howoge um eine „privatrechtliche Konstruktion“ handele.
Somit ähnele das Vorhaben einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft: In Sachen „ÖPP“ warnen die Rechnungshöfe einhellig, dass sich die öffentliche Hand mittels ÖPP „nichts leisten darf, was sie aus eigenen Mitteln nicht leisten kann“. Zudem dürften die ÖPP-Projekte nicht zu einer Umgehung von Neuverschuldungsverboten führen: „Die Belastung künftiger Haushalte muss klar erkennbar sein“, fordert der Landesrechnungshof.
Grüne: "Kontrolle ist auch bei der öffentlichen Hand schwierig"
Auch die grüne Haushälterin und Schulbauexpertin Stefanie Remlinger ist hellhörig geworden: „Die kritischen Anmerkungen des Rechnungshofs geben uns gute Hinweise, worauf wir auch heute achten sollten, unter anderem auf starke Steuerung, gute Verträge und aktives Controlling aller Vorgänge“, sagte sie auf Anfrage.
Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einer GmbH-Gründung lasse sich für sie aber nicht ableiten. "Zum einen dürfte uns dieses Controlling bei der GmbH auch nicht schwerer fallen als bei Bauvorhaben in der Verantwortung der öffentlichen Hand. Im Gegenteil", vermutet die Abgeordnete.
Zum anderen benötige Berlin die Neubau-GmbH vor allem aus sehr praktischen Gründen: Das Bauvolumen könnten die öffentlichen Verwaltungen und Baueinheiten allein nicht schaffen. Die GmbH werde "wesentlich schneller und unkomplizierter Bauen können und auch kostengünstiger", erwartet Remlinger.
Davon getrennt zu betrachten sei aber die Frage der Finanzierung: Es sei keineswegs zwingend, dass die Howoge-Tochter die Finanzierung übernehme, meint die Haushälterin. Angesichts „komfortabler Haushaltsüberschüsse“ müsse „neu diskutiert werden“, ob das Land die Kredite nicht selbst aufnehmen könne.
Die Initiative "Gemeingut" will Gehör im Parlament
Für Carl Waßmuth, den Sprecher von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). steht fest: "Aus der Katastrophe der Degewo-Schulen sollte man lernen! Wer Wohnungen baut, kann nicht automatisch auch Schulen bauen". Wenn in "zentralisierter Planung" Fehler passierten, potenzierten sich die Folgen. "Und eine Finanzierung von Schulbau über den Kapitalmarkt vervielfacht die Kosten. Wie berichtet, hat Gemeingut inzwischen eine Volksinitiative gestartet, "um zu erzwingen, dass Bürgerinnen und Bürger zum Schulbau im Abgeordnetenhaus angehört werden", wie Wasmuth betont.
Wovor der Rechungshof warnte - wir dokumentieren
Schülerboom 1970
Wie aktuell reichten auch ab 1970 die Berliner Schulplätze nicht: Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Degewo wurde mit der Finanzierung und Abwicklung des Baus von 15 Oberstufenzentren beauftragt. Der Rechnungshof hakte nach.
Rechnungshof 1974
Zur Kreditaufnahme der Degewo: „Der Rechnungshof empfiehlt Zurückhaltung bei der Finanzierung öffentlicher Bauten über Dritte. Die Einschaltung privatrechtlicher Bauträger führt nur scheinbar zur Überbrückung finanzieller Schwierigkeiten.
Die Annahme, der Staat könne so ohne Erhöhung der Verschuldung zusätzliche Investitionen vornehmen, ist irrig; die Schulden werden nur nicht ordnungsgemäß ausgewiesen. Finanzierungen außerhalb des Haushalts sind keinesfalls wirtschaftlicher."
Rechnungshof 1982
Zur Abwicklung des Baus durch die Degewo hieß es rückwirkend: „Der Vorgang mit seinen vielen ungeklärten und teilweise wohl auch unklärbaren Fragen zeigt die Misslichkeiten, die die Übertragung von öffentlichen Aufgaben auf Unternehmen des Privatrechts mit sich bringen kann, selbst wenn die Unternehmen im öffentlichen Eigentum stehen.
Der Rechnungshof gibt der Erwartung Ausdruck, dass öffentliche Bauten künftig in unmittelbarer staatlicher Verantwortung errichtet sowie im Rahmen des Haushalts finanziert werden.“