Berlins Asbest-Schulen: Späte Wiedergutmachung
Vor 30 Jahren mussten 15 Schulen wegen Asbests Provisorien beziehen. Einige bekamen Neubauten. Jetzt dürfen die letzten hoffen.
An manchen Tagen wird die Vergangenheit schlagartig lebendig. Freitag war so ein Tag. Dabei ging es eigentlich nur um einen Spatenstich am Ende der Stadt. Und doch war sie plötzlich wieder präsent – die unendliche Geschichte der asbestverseuchten Mittelstufenzentren zwischen Neukölln und Spandau, Reinickendorf und Steglitz.
Man muss 27 Jahre zurückgehen, um das, was sich da Freitagfrüh in Buckow abspielte, würdigen zu können. Denn der 30-Millionen-Euro-Neubau für das Leonardo-da-Vinci-Gymnasium ist nicht irgendeine größere Investition, sondern eine Art späte Wiedergutmachung – nachdem mehrere Schüler- und Lehrergenerationen in einem Provisorium abgefertigt wurden. Im Sommer 2020 soll das neue Haus stehen. Dann werden 30 Jahre seit dem Auszug vergangen sein.
Neukölln lag mit vier Schulen an der Spitze
Neukölln hat sich diese Hängepartie allerdings nicht selbst zuzuschreiben. Es war einfach nur besonderes Pech, denn mit vier der 15 asbestverseuchten Schulzentren stand der Bezirk wohl an der Spitze, als das Problem erkannt wurde. Die anderen Bezirke waren eher weniger betroffen, brauchten aber auch Jahrzehnte, um ihr Asbestproblem zu lösen. Denn die Umsetzung des sogenannten Asbest-Sanierungsprogramms von 1989/90 scheiterte zweimal: Erst am immensen Ost-Berliner Investitionsbedarf und dann an den Sparzwängen, die daraus folgten.
So kam es, dass keine der Schulen wie geplant nach fünf oder zehn Jahren aus ihren Provisorien ausziehen konnte. Stattdessen wurde Flickschusterei betrieben: In immer kürzeren Abständen mussten die maroden Container saniert werden. Jahrelang war nicht einmal Geld da, um die asbestverseuchten Gebäude abzureißen. Auf 150 000 D-Mark jährlich wurden schon im Jahr 2000 die Unterhaltungs- und Sicherungskosten beziffert. Zudem lagen wertvolle Immobilien brach, bis es nach rund 20 Jahren so weit war, dass die ersten Schulen ihre Neubauten beziehen konnten: Die Carl-Zeiss-Schule in Lichtenrade und die Otto-Hahn-Schule in Britz gehörten zu den ersten, weil sie als besonders marode galten. Dann war wieder Schluss.
Mittel- und Oberstufe bald wieder vereint
Erst Jahre später kam erneut Bewegung in die Neubauplanungen, und die Steglitzer Kopernikus-Schule ist die nächste, die umziehen kann: Nach den Sommerferien dürften wohl Freudentränen fließen, wenn Mittel- und Oberstufe der Schule erstmals wieder unter einem Dach vereint sein werden – auch ihre Trennung war asbestbedingt.
Aber auch in Marienfelde tut sich was: Die Gustav-Heinemann-Schule soll einen Neubau bekommen, über den aber gestritten wird, weil die – ursprünglich viel zu niedrig angesetzten – Kosten von 26 auf 42 Millionen Euro klettern sollen. Und dann ist da noch die Rudower Clay-Schule, für die 2018 der erste Spatenstich erfolgen wird: 2021 soll der Bau fertig sein. Schon 2013 hatte sie gegen „unzumutbare Zustände“ in den zugigen Containern protestiert, immer wieder verzögerte sich der Umzug – zuletzt wegen Ausgrabungen auf dem avisierten Gelände.
Viel Geduld braucht auch die Heinrich-Böll-Schule in Spandau. „Schon 2012 hatte man mich mit dem absehbaren Neubau gelockt“, erzählt Schulleiterin Birgit Faak. Dann zog es sich aber weiter hin, bis 2016 die Bedarfsplanung einsetzte. „Am 24. August 2017 tagt das Preisgericht für die Entwürfe“, kann Faak inzwischen aber gut gelaunt berichten. "Zum jetzigen Zeitpunkt liegt noch kein Bauplan vor. Die grobe Terminplanung sieht einen möglichen Baubeginn für den Schulneubau ab Mitte 2019 vor. Damit wäre von einer möglichen Fertigstellung bis Herbst 2022 auszugehen", schrieb Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) in der Antwort auf eine Anfrage der SPD-Abgeordneten Bettina Domer, die am 20. Juli veröffentlicht wurde. Die Schule selbst kann sich aber angesichts der Vorgeschichte auch vorstellen, dass es 2023 wird.
Auch ein Provisorium kann man sich nett einrichten
Übergangsweise hat man es sich aber „nett gemacht“, nachdem die Schule überall Spenden für frische Farbe gesammelt hatte, berichtet Faak. Die Schule hat sich also ganz gut im Provisorium eingerichtet, und es gibt hier wie auch an der Gustav-Heinemann- und früher auch an der Otto-Hahn-Schule nicht wenige Lehrer, die den „dörflichen“ Charakter der eingeschossigen Provisorien viel schöner finden als die mehrgeschossigen Neubauten und lieber nicht umziehen würden.
Und dann gibt es Fälle wie die Spandauer Bertolt-Brecht- und die Buckower Heinrich-Mann-Schule, die in ihren Provisorien bleiben, weil deren Bauten qualitativ besser und somit reparabel sind. Dazu passt, was einige Stadträte schon 2001 gegenüber dem Tagesspiegel avisierten: Bei „guter Pflege“ könnten die Gebäude noch 20 oder sogar 50 Jahre halten.
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Eigenschaften
Bei Asbest handelt es sich um eine Silikatmineralie, die seit den 60er Jahren massenhaft verbaut wurde, weil sie nicht brennbar, hitzebeständig und chemisch stabil ist. Diese Eigenschaften führten dazu, dass man sie nicht nur beim Hausbau, sondern etwa auch als Bremsbelag oder Abdichtungsmaterial nutzte. Die Jahresproduktion lag in den 80er Jahren bei weltweit zwei Millionen Tonnen.
Krebsgefahr
Bereits Ende der 60er Jahre war bekannt, dass der Stoff beim Einatmen der Fasern die Gesundheit gefährdet: Asbest-Krebs wurde schon um 1970 als Berufskrankheit anerkannt. Seit 1980 wurde konkret über ein Verbot diskutiert, das aber erst 1993 erfolgte. Vorher behalf man sich mit besonderen Auflagen bei der Verarbeitung des Stoffs und bei der (Atem-)Schutzkleidung von Bauarbeitern.
Verbreitung
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz geht laut Stiftung Warentest davon aus, das sich „80 Prozent der ursprünglich verwendeten asbesthaltigen Bauteile noch im heutigen Gebäudebestand befinden“. Entsprechend vorsichtig muss bei Reparaturen vorgegangen werden. Bekannteste Beispiele für Asbestbelastung sind der abgerissene Palast der Republik, der Steglitzer Kreisel und das sanierungsbedürftige Berliner ICC.