WHO-Agentur zu Krebsrisiko durch Wurst: Wer sich falsch ernährt, ist selbst schuld am Krebs?
Ja, jeden Tag rotes Fleisch und Wurst essen, schadet der Gesundheit. Problematisch ist allerdings auch der Umkehrschluss: Wenn ich mich richtig verhalte, alle Regeln beachte, bekomme ich keinen Krebs. Ein Kommentar.
Die gut gemeinten Ratschläge kommen, sobald die Krebsdiagnose da ist. Grüner Tee verhindere Metastasen. Heidelbeeren helfen. Brokkoli. Die Liste ist endlos, jeder hat irgendwas gelesen. Zwischen den Zeilen schwingt der perfide Vorwurf mit, dass man selbst schuld sei an der Krankheit. Der Stress, die ungesunde Ernährung – kein Wunder.
Wer so denkt, fühlt sich nun bestätigt. Wurst erhöht das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, um 18 Prozent! Zudem ordnet die WHO verarbeitetes Fleisch in die gleiche Kategorie ein wie Zigaretten! Rotes Fleisch sei „wahrscheinlich krebserregend“. Diese Warnungen klingen ernst, so unmissverständlich, dass jede Einordnung in den Verdacht gerät, man wolle die Gefahr kleinreden. Trotzdem ist sie nötig, um eine informierte Entscheidung für das eigene Leben zu treffen.
Ein um 18 Prozent erhöhtes Risiko? Viele deuten diese Zahl falsch
Ja, jeden Tag rotes Fleisch und Wurst zu essen, schadet der Gesundheit. Das wussten Ärzte bereits vor der Bewertung der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO, und das ist weiter gültig. Schließlich macht Wurst auch dick – mit allen Konsequenzen. Ebenso gut belegt ist die Tatsache, dass beides das Risiko erhöht, an Darmkrebs zu erkranken.
Bevor man nun das letzte Stück Salami oder Steak bitter bereut und sich bereits im Krankenhaus dahinsiechen sieht, lohnt es sich aber, einen Schritt zurückzutreten. Für die Medizin gilt, dass Laien Gefahren besser einschätzen können, wenn man sie als absolutes Risiko beschreibt: Unter denen, die sich gesund ernähren, erkranken 56 von 1000 Menschen an Darmkrebs. In einer Gruppe, die mehr als 50 Gramm Wurst täglich isst, sind es 66 von 1000. Ein im Durchschnitt um 18 Prozent erhöhtes (relatives) Risiko, das wenig über den Einzelnen aussagt. Schließlich gibt es noch viele andere Lebensstil-Faktoren, die Gene und den Zufall. Ohne Bezugspunkte ist die Zahl irreführend.
Wurst zu essen, ist nicht genauso gefährlich wie Rauchen
Wieso landet Wurst dann in der gleichen Schublade wie Zigaretten? Das liegt an den Kategorien der WHO-Agentur. Sie stuft ein, wie sicher sich Forscher sind, dass etwas Krebs auslösen kann, und nicht die Gefährlichkeit für den einzelnen Menschen. Hier hilft ein Vergleich. Bananenschalen können ganz sicher Verkehrsunfälle verursachen. Das Gleiche gilt für Autos. Die Wahrscheinlichkeit, durch das eine oder das andere umzukommen, ist trotzdem grundverschieden.
So weit die Statistik. Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass übermäßiger Fleischkonsum der Massentierhaltung mit all ihren Problemen Vorschub leistet und das Klima belastet. Wer weniger Fleisch und Wurst isst, tut also sich und anderen etwas Gutes. Das Krebsrisiko ist ein Puzzlestein von vielen.
Das größte Krebsrisiko ist, älter zu werden
Problematisch ist der Umkehrschluss: Wenn ich mich nur richtig verhalte, wenn ich alle Regeln beachte, bekomme ich keinen Krebs. Dieser Machbarkeitswahn bürdet Patienten, die ohnehin um ihr Leben kämpfen, unnütze Selbstzweifel auf. Manche werden so in die Arme von zwielichtigen Heilern getrieben.
Warum ausgerechnet ich? Diese Frage stellt sich vermutlich jeder Krebspatient. Es gibt darauf meist keine Antwort, so unerträglich es ist. Krebs ist ein formidabler, ein heimtückischer Gegner. Er macht Forscher bescheiden. Denn Krebszellen nutzen alle Mechanismen der Evolution, um dem Immunsystem oder der Behandlung zu entgehen. Von den Babyboomern wird jeder Zweite im Laufe seines Lebens an Krebs erkranken. Je länger man lebt, je öfter sich unsere Zellen teilen, desto mehr Gelegenheiten gibt es, dass Kopierfehler im Erbgut passieren und dadurch Krebs entsteht. Oft ist das reiner Zufall. Schicksal. Pech. Es kann jeden treffen.