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Der Jäger der Ozeane soll ein Heilmittel für viele Dinge in sich tragen, auch für Krebs.
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Gesundheitsmythen: Auch Haie bekommen Krebs

Krebs – allein der Name macht Angst. Und es ranken sich zahllose Mythen um das gefürchtete Leiden. Warum es kein Allheilmittel gibt und man einen Tumor nicht aushungern kann.

Es war im Jahr 1902, als der deutsche Biologe Theodor Boveri eine geniale Idee hatte. Krebs könnte darauf beruhen, dass etwas mit den Erbträgern, den Chromosomen, nicht stimmt. Wenn sie bei der Zellteilung nicht gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden, könnte das zu entfesseltem und zerstörerischem Wachstum einer Tochterzelle führen, spekulierte der Würzburger Forscher. Also zu Krebs.

Boveris Annahme stieß auf wenig Gegenliebe. Verständlich, da zu jener Zeit noch kaum etwas über das Innenleben einer Zelle bekannt war. Doch die Intuition des Wissenschaftlers stellte sich Jahrzehnte später als richtig heraus. Nach allem, was wir heute wissen, entsteht Krebs in einer einzigen Zelle. Ursache sind genetische Veränderungen in den Chromosomen, die dazu führen, dass die entartete Zelle sich immer weiter teilt. Aus dem Zellhaufen wird eine Geschwulst, die Absiedlungen in andere Organe streut.

Nachdem das Erbgut des Menschen, sein Genom, komplett entziffert war, stürzten sich die Forscher in den letzten zehn Jahren auf das Krebs-Genom. Sie entdeckten eine Unzahl von genetischen Veränderungen, Mutationen, und viele Wissenschaftler hoffen, dank des Detailwissens neue Behandlungsmöglichkeiten zu erschließen. Längst bekannt sind dagegen Gefahren, die zu Krebs führen können.

Etwa der Lebensstil (Rauchen, zu viel Alkohol, zu fettes Essen, zu viel rotes Fleisch), Gefahren aus der Umwelt (Strahlung, Schadstoffe, aber auch biologische Ursachen wie Viren oder Schimmelpilzgifte) und schließlich Einflüsse, an denen wir nichts ändern können, etwa vererbtes Risiko, das Geschlecht und schließlich das Alter als vielleicht wichtigster Faktor. Man kann sein Krebsrisiko zwar vermindern, aber es nicht aus der Welt schaffen.

Dennoch, noch immer gibt die Entstehung von Krebs manches Rätsel auf, sein plötzliches Auftreten aus heiterem Himmel erscheint so schicksalhaft wie lebensbedrohlich. Verständlich, dass über keine Krankheit mehr Legenden und Spekulationen kursieren – und leider auch unseriöse Heilsversprechen. Im Folgenden stellen wir einige Mythen und Legenden über eine immer noch unheimliche (und oft unheilbare) Krankheit vor.

Mythos: "Immer mehr Menschen erkranken an Krebs"

„IMMER MEHR MENSCHEN ERKRANKEN AN KREBS“

Die Zahl der Fälle wächst tatsächlich. In der Bundesrepublik erkranken jedes Jahr knapp eine halbe Millionen Menschen an dem Leiden. Doch die Zunahme hat vor allem damit zu tun, dass die Deutschen immer älter werden – das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für Krebs. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei Frauen bei 68 und bei Männern bei 69 Jahren. Zugespitzt gesagt: Die Menschen werden so alt, dass sie ihren Krebs noch erleben. Mehr Krebsleiden sind also durchaus zu erwarten und nicht das Zeichen eines zivilisatorischen Niedergangs. Schon im alten Ägypten registrierten die Ärzte Tumoren. Der Name „Krebs“ leitet sich von der Beobachtung griechischer Ärzte ab, das Ausläufer von Geschwülsten unter der Haut den Beinen von Krebsen ähneln können.

Die Heilungschancen haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Vor 1980 starben nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg mehr als zwei Drittel der Patienten an ihrem Krebsleiden. Heute ist eine dauerhafte Heilung in mehr als der Hälfte der Fälle möglich.

Mythos: "Krebs hat seelische Ursachen"

„KREBS HAT SEELISCHE URSACHEN“

Warum gerade ich? Was habe ich falsch gemacht? Viele an Krebs Erkrankte stellen sich diese Frage und suchen die Ursache – und die Schuld – oft auch in sich selbst. Kann es sein, dass seelische Belastung das Immunsystem schwächt und so einen Tumor wachsen lässt? Zwar führt Stress nicht selten zu riskanter Lebensweise wie Rauchen, zu viel Alkohol und schlechte Ernährung. Doch Stress allein ist ebenso wenig wie psychische Erschöpfung, Trauer oder Depression die Ursache von Krebs.

Eine „Krebspersönlichkeit“, die alles in sich hineinfrisst und von negativen Gedanken erfüllt ist, existiert nicht, ebenso wenig wie eine mentale „Wellness-Formel“, mit der wir uns gegen den Tumor abschirmen können. Die Krebsexpertin Jimmie Holland vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York warnt vor einer „Tyrannei des positiven Denkens“. Ihre Faustregel für Krebskranke: „Glauben Sie nicht, dass Sie die ganze Zeit gut gelaunt sein müssen und dass Niedergeschlagenheit und Sorgen Ihr Leben verkürzen.“

Glückliche Menschen haben mehr vom Leben, aber dass sie seltener an Krebs erkranken als unglückliche, ist nicht belegt. Auch für die Behauptung, dass eine positive Lebenseinstellung für sich genommen die Überlebenschancen verbessert, gibt es wenig Anhalt. Sie kann jedoch einen gesunden Lebensstil fördern.

Mythos: "An Krebs sind Schadstoffe schuld"

„AN KREBS SIND SCHADSTOFFE SCHULD“

Der Einfluss von Umweltschadstoffen auf das Tumorrisiko existiert durchaus, wird aber oft überschätzt.

Krebs hat im Prinzip drei Ursachen: Anlage, Umwelt – und Pech. Während Letzteres in wissenschaftlichen Abschätzungen nicht auftaucht, ist die Umwelt mit 90 Prozent der Hauptübeltäter. Allerdings verstehen Forscher und Laienpublikum darunter etwas anderes. Für die Wissenschaft ist der Begriff „Umwelt“ weit gefasst, dazu zählen etwa Ernährung, Rauchen, Sexualität, Viren, Sonnenlicht, kosmische Strahlung, kurzum alles, was nicht vererbt wird, aber das Krebsrisiko beeinflusst. Der Laie verbindet mit „Umwelt“ dagegen Feinstaub, Pestizide oder andere Gefahrenquellen der modernen Zivilisation.

Der Beitrag der Umweltschadstoffe zum Krebsrisiko fällt jedoch geringer aus als gedacht. Nach einer Studie der Oxford-Epidemiologen Richard Doll und Richard Peto aus dem Jahr 1981 (25 Jahre später weitgehend bestätigt) sind die drei größten Risikofaktoren Rauchen (33 Prozent), Ernährung (30 Prozent, inbegriffen Fettsucht und Inaktivität) und Infektionen (18 Prozent). Umweltverschmutzung, Industrieprodukte und Zusatzstoffe in der Nahrung rangieren mit jeweils um die ein Prozent weit unten. Etwas größer ist die Gefahr, wenn Menschen beruflich mit krebserregenden Stoffen zu tun haben, das bekannteste Beispiel dafür ist das Risiko von Lungenkrebs und Brustfelltumoren (Mesotheliomen) für Asbestarbeiter. Auch hier gilt das Grundgesetz aller Gifte: Entscheidend ist die Dosis. Es zählt nicht das „ob“, sondern das „wie viel“.

Allerdings müssen Risiken auch neu bewertet werden. So teilte die Weltgesundheitsorganisation im Oktober mit, dass Luftverschmutzung Ursache von Lungenkrebs ist und jährlich bei rund 220 000 Menschen zum Krebstod führt, überwiegend in China und anderen ostasiatischen Ländern, in denen Smog herrscht. Kaum Anlass zur Sorge sehen Experten dagegen bei Mikrowellenöfen, Fotokopierern, Teflonpfannen und Mobiltelefonen. Letztere sind nicht wegen ihrer Strahlung gefährlich, sondern weil sie Autofahrer ablenken. Auch das Risiko durch Hochspannungsleitungen ist laut der Organisation „Cancer Research UK“ extrem gering.

Zwar machen Häufungen von Krebsfällen in bestimmten Regionen immer wieder von sich reden, aber meist handelt es sich bei diesen „Clustern“ (Haufen) um statistische Trugbilder, Produkte des Zufalls. Das gilt nach Expertenmeinung auch für den bekanntesten Cluster, Krebshäufungen in einer kalifornischen Kleinstadt, die auf eine Chromverbindung im Trinkwasser zurückgeführt wurden. Der Film „Erin Brockovich“ aus dem Jahr 2000, in dem Julia Roberts die Umweltaktivistin Brockovich verkörperte, machte den vermeintlichen Skandal weltweit bekannt.

Mythos: "Zusatzstoffe in Lebensmitteln erhöhen das Risiko"

„ZUSATZSTOFFE IN LEBENSMITTELN ERHÖHEN DAS RISIKO“

Zu den Dauerbrennern unter den vermeintlichen Gefahren gehören Süßstoffe wie Saccharin und Aspartam. Sie erhöhen aber nicht das Krebsrisiko, lautet dieEinschätzung von „Cancer Research UK“. Gleiches gilt für Plastikflaschen und Konservierungsmittel wie Natriumnitrat und Natriumnitrit, befindet der australische „Cancer Council“. Doch kursieren im Internet gefälschte Listen mit angeblich krebserzeugenden Zusatzstoffen, warnt der Krebsinformationsdienst. Pestizide bergen in der geringen Menge, in der sie sich auf Obst und Gemüse finden können, keine Gefahr – doch Abwaschen schadet nicht. Ungeklärt ist, ob das durch Backen, Braten und Rösten entstehende Acrylamid das Tumorrisiko erhöht.

Auch Kosmetik steht unter Verdacht. Aber weder Deos, Lippenstifte, Haarfärbemittel, Tattoos noch Büstenhalter haben es auf die Liste ernsthafter Krebsgefahren geschafft.

Mythos: "Haie bekommen keinen Krebs"

„HAIE BEKOMMEN KEINEN KREBS“

In den 1970er Jahren stellten die amerikanischen Forscher Henry Brem und Judah Folkman von der Harvard-Universität fest, dass Knorpel das Sprießen von Blutgefäßen unterdrückt. Eigene Blutgefäße sind für einen Tumor zwingend erforderlich, damit er wachsen kann. Knorpel könnte also ein Anti-Krebs-Rezept in sich bergen – einen Faktor, der das Wachsen von Blutgefäßen und damit das von Geschwülsten hemmt.

Haie haben ein Skelett, das vollständig aus Knorpel besteht, und sie erkranken ziemlich selten an Krebs. Zumindest war das der Wissensstand vor rund 20 Jahren, als der US-Ernährungswissenschaftler William Lane in seinem Buch „Haie bekommen keinen Krebs“ scheinbar eins und eins zusammenzählte und Haiknorpel zur neuen Krebstherapie erklärte. Die Jagd auf Haie war eröffnet. Auch Lane selbst begann mit Haiknorpel-Pillen zu handeln. Die Folgen waren verheerend. Vielerorts schrumpften die Haibestände dramatisch. Nicht nur, aber auch wegen des angeblich heilsamen Knorpels.

Inzwischen ist klar, dass Lane und seine Anhänger sich getäuscht haben. Haiknorpel erwies sich bei der Krebsbehandlung als komplett unwirksam. Alle angeblichen Heilungen sind nicht nur nicht belegt, sie sind widerlegt, schreibt das Magazin „Scientific American“. Wie sich zudem herausstellte, erkranken auch Haie an Krebs. Selbst in Haiknorpel finden sich Tumoren. Alles andere wäre auch eine Riesenüberraschung. Krebs ist eine Hypothek, mit der höher entwickelte Lebewesen existieren müssen. Unter den Billionen von Zellen, die einen Organismus ausmachen, entstehen naturgemäß immer wieder solche, die alle Wachstumsschranken ignorieren und auf Kosten des Körpers wuchern.

Mythos: "Man muss den Tumor aushungern"

„MAN MUSS DEN TUMOR AUSHUNGERN“

Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse kann das Krebsrisiko senken. Allerdings ist es schwierig bis unmöglich, mit einer speziellen Ernährung einen bereits ausgebrochenen Tumor zu bekämpfen oder zu heilen. Das liegt daran, dass Krebszellen wendig sind, was ihre Fähigkeit angeht, bestimmte Bestandteile der Nahrung wie Kohlenhydrate oder Fette zu nutzen. Trotzdem kursieren etliche Formen von „Krebsdiäten“. Häufig arbeiten sie mit Verboten bestimmter angeblich giftiger Nahrungsmittel wie Schweinefleisch oder Kaffee oder mit radikalen Ernährungsumstellungen und mitunter gefährlichen Fastenkuren. „Keine der oft in Zeitschriften oder Ratgebern propagierten ,Krebsdiäten’ hat eine nachgewiesene heilende Wirkung“, heißt es dazu vom Krebsinformationsdienst.

Besonders im Brennpunkt steht zur Zeit der Kampf gegen den Zucker, hat Ulrich Keilholz festgestellt. „Viele Patienten wollen damit den Krebs aushungern“, sagt der Leiter des Krebszentrums der Berliner Charité. „Aber mit diesem Zuckerentzug können sie sich selbst in Gefahr bringen.“ Zwar trifft es zu, dass manche Krebsarten besonders viel aus Kohlenhydraten gewonnenen Zucker „verbrennen“. Dem „zuckersüchtigen“ Tumor soll seine Droge entzogen werden. Ob das in der Praxis funktioniert, ist jedoch zweifelhaft. Die kohlenhydratarme „ketogene“ Diät wird zwar in den Medien propagiert, aber sie ist in der Krebsbehandlung wissenschaftlich nicht belegt und hat Nebenwirkungen. Zumal auch ein anderes Organ Zucker dringend benötigt: das Gehirn.

Mythos: "Es gibt ein Allheilmittel gegen Krebs"

„ES GIBT EIN ALLHEILMITTEL GEGEN KREBS“

Es gibt mehr als 200 verschiedene Formen von Krebs, darunter unheilbare, gut behandelbare und sogar weitgehend harmlose; jedes Organ und jede Gewebeart kann grundsätzlich betroffen sein, jedes Stadium bedeutet eine andere Form der Bedrohung. Dementsprechend unterschiedlich fällt die „schulmedizinische“ Behandlung aus. Ein Medikament wird niemals alle Tumoren bekämpfen können. Nicht so bei den Allheilmitteln, die von Heilern angepriesen werden. Sie sind für Kranke oft der letzte Strohhalm. Aber das Ergebnis ist ernüchternd. Vitaminkuren, Kräuterextrakte, Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin, Magnettherapie, Homöopathie, Amygdalin („Vitamin B 17“) und andere alternativmedizinische Methoden mit umfassendem Anspruch haben bei der Krebsbehandlung keine oder keine überzeugenden Belege für ihre Wirksamkeit erbracht, berichten Organisationen wie „Cancer Research UK“.

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