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Bösartig. Eine mikroskopische Aufnahme einer Brustkrebszelle (großes Foto). An diesem Tumortyp forscht Robert Weinberg.
© Fotex

Im Profil: Der Krebs-Erklärer

Robert Weinberg erforscht seit etwa drei Jahrzehnten die Ursachen der Volkskrankheit. Trotzdem überrascht sie ihn immer wieder.

Während vor den riesigen Fenstern des Berliner Congress-Centers am Alex Menschenmassen zum Samstagseinkauf strömen, sind die zwei deutschen Forscher in dem Eckbüro zwar ruhig, aber nicht weniger erwartungsfroh. Gustavo Barreton, Pathologe am Uniklinikum Dresden und Präsident der 96. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, strahlt über das ganze Gesicht. Barreton deutet eine Verbeugung an: „Es ist uns eine Ehre!“ Jemanden wie Robert Weinberg begrüßt auch er nicht alle Tage.

Wenn die Rede von Robert Weinberg ist, überschlagen sich die Superlative. Seit etwa 30 Jahren gilt er als führend in der Krebsforschung. Der MIT-Wissenschaftler wies als erster nach, dass Krebs eine Krankheit der Gene ist – also Veränderungen im Erbgut unserer eigenen Zellen die Erkrankung auslösen. Ärzte konnten lange nur wahllos mit radikalen Operationen, aggressiven Strahlen- und Chemotherapien auf die bösartigen Wucherungen losgehen und hoffen, den Krebs zu besiegen, ohne ihn wirklich zu verstehen. Es ist das Verdienst von Pionieren wie Weinberg, dass sich dies ändert. Immer mehr zielgerichtete Therapien kommen auf den Markt, mithilfe der Molekularbiologie können Pathologen heute nicht nur genauer diagnostizieren, unter welchen von etwa 200 Krebsarten ein Patient leidet. Sie können voraussagen, ob eine der modernen Therapien anschlagen wird.

Im Februar 1978 waren solche Szenarien weit weg. Boston ächzte unter einem Blizzard, das Leben in der Stadt stand still. Inmitten des Sturms stapfte Weinberg über die Longfellow-Brücke durch hüfthohen Schnee, um zum Labor auf der anderen Seite des Charles River zu kommen. Die Karriere des jungen Mannes ging nicht recht voran, ihm fehlte eine zündende Idee.

Robert Weinberg ist einer der bekanntesten Krebsforscher weltweit.
Robert Weinberg ist einer der bekanntesten Krebsforscher weltweit.
© Kathleen Dooher

Er dachte über die Krebsviren nach, die damals als alleinige Auslöser der Krankheit galten, und über die Möglichkeit, dass der Mensch ebenfalls Krebsgene in sich trägt. Onkogene in einem Virus zu isolieren, war nicht besonders schwer. So ein Erreger hat nur vier bis fünf Gene. Wenn aber die These stimmte und viele Krebsarten gar nicht von Viren, sondern von Mutationen in unseren eigenen Zellen verursacht werden, so vergrößerte sich die Liste der möglichen Schuldigen von einer Handvoll Gene in einem Virus auf mehr als 20 000 in menschlichen Zellen. Das war, als wolle man eine Flocke im Schneesturm fangen. Doch genau das wollte er tun, beschloss Weinberg. Er wusste auch schon, wie.

Es sollte sein „wichtigstes Experiment“ werden, wie Weinberg heute sagt. Aus den Blasenkrebszellen eines 55-jährigen Mannes und aus normalen Zellen isolierte er zusammen mit Kollegen jeweils das Erbgut. Die DNS-Stränge teilten sie dann in tausende Stückchen mit jeweils ein bis zwei Genen und schmuggelten diese Erbgutschnipsel mithilfe eines Trägermoleküls in gesunde Zellen ein. Theoretisch sollten sich in den Zellkulturen nur die Zellen ungebremst vermehren, die eine Mischung mit einem menschlichen Krebsgen abbekommen hatten. Über Monate war unklar, ob es wirklich funktionieren würde. Doch dann sahen die Forscher erste Ergebnisse. Das menschliche Gen, das offenbar Krebs auslöste, hieß Ras. Die Veröffentlichung dieses Ergebnisses begründete nicht nur den weltweiten Ruf von Weinberg. Die Studie veränderte die gesamte Krebsforschung.

Vergleicht man eine Zelle mit einem Auto, so ist Ras das Gaspedal. Normalerweise wird es wohldosiert bedient. Ist aber Ras an einem bestimmten Punkt mutiert, dann steht permanent ein Bleifuß auf dem Gas. Die Zelle bekommt unentwegt das Signal, zu wachsen und sich zu teilen. Mitte der 80er Jahre entdeckten Forscher in Weinbergs Labor einen zweiten grundlegenden Defekt, der beim Menschen zu Krebs führen kann: Auch die Bremsen, also Tumorsuppressor-Gene wie Rb, können versagen und eine mutierte Zelle nicht mehr an der Teilung hindern. Während die Krebsforschung in den folgenden Jahrzehnten immer ausufernder und unübersichtlicher wurde, bewahrte sich Weinberg den Blick auf das große Ganze. Er und Douglas Hanahan waren der Meinung, dass auch Krebs letztlich nach wenigen grundlegenden Prinzipien organisiert ist. Sechs machten sie für die Erkrankung aus und veröffentlichten sie im Jahr 2000 in der Fachzeitschrift „Cell“. Die Zusammenfassung wurde zu einer der meistzitierten Studien der Krebsforschung. „Diese Prinzipien sind bis heute brauchbar“, sagt Weinberg. „Wir haben sie im letzten Jahr um zwei weitere ergänzt – aber es sind nicht 80 daraus geworden.“

Robert Weinberg forscht derzeit an Krebsstammzellen (grün markiert).
Robert Weinberg forscht derzeit an Krebsstammzellen (grün markiert).
© Weinberg Lab / MIT

Weinberg kämpft unterdessen an der nächsten Front: Sein Labor erforscht Krebsstammzellen. Genau wie gesundes Gewebe sind die meisten Tumoren hierarchisch in sich selbst erneuernde Stammzellen und ausdifferenzierte Zellen unterteilt. Die konventionelle Krebstherapie tötet nur die ausdifferenzierten Zellen ab. Der Tumor schrumpft oder verschwindet scheinbar ganz. „Ähnlich wie ein amerikanischer Präsident auf einem Flugzeugträger verkündet der Onkologe dann seinem Patienten den glänzenden Sieg“, sagt Weinberg. Doch der Erfolg ist trügerisch. Jahrzehnte später können die Krebsstammzellen an anderen Orten im Körper einen neuen Krebs entstehen lassen. „Man könnte nun meinen, dass man nur die Krebsstammzellen vernichten muss und die restlichen Krebszellen unwichtig sind“, sagt Weinberg. „Aber auch das wäre zu einfach.“

Sein Labor konnte nachweisen, dass sich ganz normale Krebszellen umprogrammieren können. Statt brav an einem Ort zu bleiben, wie es sich für Epithel-Zellen gehört, aus denen solide Tumoren entstehen, nehmen sie Eigenschaften von Bindegewebszellen an. Sie werden mobiler, aggressiver, können in den Blutkreislauf einbrechen. Mit dieser Umwandlung werden sie selbst zu Krebsstammzellen, die einen erneuten Angriff auf den Körper starten und Metastasen bilden können. „Wir müssen also einen Medikamentencocktail finden, der beide Zelltypen zerstört: die normalen Krebszellen und die Krebsstammzellen“, sagt Weinberg. Für eine Zelle ist es kein Schicksal, ob sie eine Stammzelle ist oder nicht. Es ist ein Zustand. „Aber woher wissen die normalen Krebszellen, dass dem Tumor die Stammzellen ausgehen und es an der Zeit ist, sich umzuprogrammieren?“, fragt Weinberg. „Das würde ich gern wissen!“

Von grandiosen Forschungsprogrammen für die nächsten 30 Jahre hält er nichts: „Unsere Arbeit ändert sich immer wieder. Wohin es geht, kommt darauf an, mit welchen Ideen junge Forscher in mein Labor kommen!“, sagt er. „Der Professor weiß schließlich nicht alles.“ Vorwärts gehe es ohnehin am besten, indem man einen Fuß vor den anderen setzt.

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