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Aspirin
© Tim Boyle, AFP

Eine Tablette pro Tag: Aspirin als Schutz vor Darmkrebs

Aspirin avanciert vom Allerweltsmittel zum (beinahe) Alleskönner. Erstmals empfiehlt nun ein offizielles US-Gremium Gesunden, das Mittel langfristig zur Vorbeugung von Krebs und Herzerkrankungen einzunehmen.

Sie ist klein, weiß und billig. Ihr natürliches Pendant, die Weidenrinde, kennt die Medizin seit 3500 Jahren als Schmerzstiller und Fiebersenker. Seit 116 Jahren können Forscher die wirkungsvollere und verträglichere Acetylsalicylsäure (ASS) im Labor herstellen.

Und der Siegeszug von Aspirin geht weiter. Jährlich werden 40 000 Tonnen verkauft, es ist buchstäblich ein Allerweltsmedikament. Nun erregen immer wieder Studien Aufsehen, die Aspirin fast als Wunderpille erscheinen lassen. Ärzte und Epidemiologen diskutieren, ob und wie gut Aspirin vor Herzleiden und Krebs schützt.

Am Montag hat die „United States Preventative Task Force“ erstmals eine weitreichende Empfehlung ausgesprochen: Gesunde 50- bis 59-Jährige können täglich eine niedrig dosierte Aspirin (75 bis 100 Milligramm) nehmen, falls sie ein um mehr als zehn Prozent erhöhtes Risiko für Herzleiden haben oder sich vor Darmkrebs schützen wollen.

Da Aspirin durchaus Nebenwirkungen hat und der Schutz erst nach Jahren ins Gewicht fällt, ist das aber nicht für jeden sinnvoll. Wer die Tablette in Erwägung zieht, sollte keinesfalls zu Blutungen neigen, eine Lebenserwartung von mehr als zehn Jahren haben und bereit sein, sie für mindestens zehn Jahre tagtäglich zu schlucken. Für die 60- bis 69-Jährigen sei es eine individuelle Entscheidung, ob der erhoffte Nutzen größer als die Risiken ist, schreiben die unabhängigen Experten, die die amerikanische Regierung beraten. Für Menschen, die jünger als 50 oder älter als 70 Jahre alt sind, sei der Nutzen nicht belegt.

Das Mittel kann Blutungen in Magen und Darm verursachen

Noch ist das Dokument ein Entwurf, bis Oktober können es Außenstehende kommentieren. Es sorgt jedoch bereits für Verwunderung, berichtete die „Washington Post“. Denn die Empfehlung widerspricht der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Diese hatte im März 2014 befunden, dass die vorliegenden Daten nicht ausreichen, um Gesunden Aspirin als Schutz vor einem Herzinfarkt und Schlaganfall zu geben (im Gegensatz zu Patienten, die bereits einen Infarkt hatten). Im Sommer hatte sie das Anliegen von Bayer abgelehnt, die „Primärprävention“ von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in die Packungsbeilagen aufzunehmen. Von der Darmkrebsvorsorge war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede.

Doch wie kommt das Mittel zu seiner neuen Rolle? Aspirin hemmt die Cox-Enzyme, zwei Varianten dieses Eiweißes davon kommen im menschlichen Körper vor. Cox-1 hilft dabei, den Blutdruck zu kontrollieren, es reguliert den Blutfluss zu den Nieren, schützt die Magenschleimhaut und sorgt für die Blutgerinnung. Cox-2 aktiviert Botenstoffe, die Fieber und Entzündungen verursachen sowie Schmerzen verschlimmern. Die Wirkung gegen Cox-1 ist gut fürs Herz und schlecht für Magen und Darm. Dort kann es durch Aspirin öfter zu Blutungen kommen – in seltenen Fällen können diese lebensgefährlich sein.

Wie Aspirin vor Krebs schützt, versteht man noch nicht genau

Der Schutz vor Krebs kommt vermutlich zustande, weil Aspirin Cox-2 hemmt. Denn zum einen diskutieren Krebsforscher, dass chronische Entzündungen Tumoren entstehen lassen können. Zum anderen könnte Cox-2 die Bildung von Blutgefäßen unterstützen, die den Tumor versorgen, es könnte bestimmte Wachstumsfaktoren beeinflussen beziehungsweise verhindern, dass Krebszellen in den Zelltod getrieben werden. Sowohl Cox-1 als auch Cox-2 wirken außerdem wie ein Signal für Zellen, Prostaglandine zu produzieren. Diese hormonähnlichen Stoffe sind ebenfalls eine wertvolle Ressource für einen Tumor: Sie lassen ihn schneller und besser wachsen.

„Die molekularen Mechanismen, wie Aspirin vor Krebs schützen kann, verstehen Forscher noch nicht genau“, sagt Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Sie warnt angesichts der Empfehlung vor voreiligen Schlüssen: „Das ersetzt auf keinen Fall die Darmkrebsfrüherkennung, die deutschen Patienten als Kassenleistung zusteht.“

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bedenken

Für Gesunde ohne erhöhtes Darmkrebsrisiko gebe es noch keine Daten, die dem höchsten wissenschaftlichen Standard entsprechen. Vielmehr wurde in den Studien rückblickend beobachtet, dass Patienten, die zehn Jahre lang zur Vorsorge gegen Herzleiden täglich den „Blutverdünner“ Aspirin nahmen, um 30 bis 50 Prozent seltener an Darmkrebs erkrankten und auch seltener daran starben. „Solche nachträglichen Analysen sind fehleranfällig“, sagt sie. Wurde dagegen bereits mehrfach eine Darmkrebsvorstufe entfernt oder liegt eine erbliche Belastung vor, diskutieren auch in Deutschland die Ärzte mit ihren Patienten, ob sie langfristig Aspirin nehmen sollten. Zur Abwägung von Nutzen und Risiko gehören unter anderem Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, sagt sie. „Und in zehn Jahren kann viel passieren.“

Die Tablette zu schlucken, sei einfach. Die Entscheidung, wer das tun sollte jedoch komplex, betonte auch Kirsten Bibbins-Domingo von der Universität von Kalifornien in San Francisco und Mitglied des US-Gremiums, als sie die Empfehlung vorstellte. Es sei nicht ratsam, nun auf eigene Faust in die Apotheke oder in die Drogerie zu gehen, um Aspirin zu kaufen.

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