Streit um Corona-Konjunkturpaket: Warum eine Autoprämie jetzt sinnvoll ist
Die deutsche Autoindustrie von Corona-Hilfen auszuschließen, wäre fahrlässig. Hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Ein Kommentar
Die Bundesregierung plant im Zuge ihres Konjunkturpakets eine Autoprämie. Ist das sinnvoll? Dazu ein Pro & Contra - den Contra-Kommentar von Carla Neuhaus lesen Sie hier.
Als Hildegard Müller Ende Januar den „lieben Peter“ (Altmaier) sowie den „lieben Andreas“ (Scheuer) beim Jahresempfang des Verbandes der Autoindustrie in Berlin begrüßte, gab es in China erste Produktionsunterbrechungen deutscher Autohersteller und Zulieferer. Das Virus war weit weg. Und stoppte ein paar Wochen später erst die Autoproduktion in Europa und dann die Nachfrage: Im April verkauften die Unternehmen 75 Prozent weniger Autos als im Vorjahr.
Und der Mai, in dem die Autohäuser wieder öffnen durften, war kaum besser. Deshalb hat Müller in den vergangenen Tagen nicht nur mit Parteifreunden aus der CDU viel telefoniert, damit die Regierung ihre Branche im Konjunkturpaket bedenkt: „Kaufprämien sind Treiber für Konjunktur und Klimaschutz“, sagt die Autopräsidentin.
Müller ist die Cheflobbyistin der Branche, doch das Image prägen vor allem die Konzernbosse. Und manche Spitzenmanager treten bisweilen immer noch auf, als gehörte ihnen die Welt. Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit haben die Diesel-Affäre überlebt.
Und die Politik zumindest in den Autoländern Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen hat ein offenes Ohr für die Belange der großen Hersteller und Zulieferer, weil Hunderttausende sehr gut bezahlter Arbeitsplätze im Spiel sind. Auch deshalb hat VW-Chef Herbert Diess frühzeitig und in dreister Lautstärke nach der Prämie gerufen.
Jetzt ist mutige Politik gefragt, die das Ganze im Blick behält
Was für ein Skandal, schimpfen die grünen Lobbyisten vom Verkehrsclub Deutschland und plädieren für eine Fahrradprämie. Angeblich ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen staatlich mitfinanzierte Autorabatte; das wäre auch keine Wunder bei dem miesen Image der Branche. Das bedeutet aber in der Folge: Mutige Politik ist gefragt, die sich nicht von Populisten beeinflussen lässt, sondern das Ganze im Blick hält.
Wenn die Nachfrage im wichtigsten Industriebereich wegen Corona einbricht, dann ist die Politik verpflichtet, über Anti-Krisen-Maßnahmen nachzudenken. Bei allem Respekt vor der Not des Einzelhandels und der Gastronomen: Der Wohlstand dieses Landes verdankt sich ganz wesentlich der Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie auf den Weltmärkten.
Mindestens zehn Jahre werden Verbrenner noch gebraucht
Die Mischung aus Konzernen und zigtausenden mittelständischen Firmen prägt die Autoindustrie ebenso wie ihre Innovationskraft: Gut die Hälfte aller privatwirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung hierzulande trägt die Autoindustrie. Ein Euro Wertschöpfung im Fahrzeugbau zieht einen Euro durch direkte Zulieferer und einen weiteren Euro aus anderen Branchen nach sich.
Die modernen Autos mit Benzin- oder Dieselmotor sind viel sauberer als die alten und für viele Menschen im Übrigen auch viel besser geeignet als Elektroautos. Mindestens zehn Jahre werden Verbrenner noch gebraucht, weil es schlicht nicht genügend Batterien beziehungsweise Batteriezellen für E-Autos gibt.
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Und grünen Strom auch nicht. Schließlich betrifft die aktuelle Nachfrageschwäche vor allem Hunderttausende die mit der Produktion des Verbrenners ihren Lebensunterhalt verdienen. Sollen die demnächst Fahrräder montieren?
Das Auto ist zum Hassobjekt geworden
Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Oberflächlichkeit und Chuzpe über die Bedeutung und Rolle dieser Industrie diskutiert wird. Das Auto als Hassobjekt, an dem sich vor allem die in Großstädten lebenden Weltenretter abarbeiten, ist zur Chiffre verkommen für Dreck und Klimawandel, für Betrug und Arroganz.
Der irrationale Blick auf das Auto hilft weder bei der kurzfristigen Problemlösung (Nachfrageschwäche) noch bei der langfristigen Transformation (Elektroauto, autonomes Fahren). Autopräsidentin Müller warnt schon vor einer langen Rezession bis hin zur Depression, wenn die Industrie nicht wieder Fahrt aufnimmt.
Die Unternehmen sollten auch selbst ihren Beitrag leisten
Der dramatisch Ton gehört zu ihrem Job. Nüchtern abwägen und im Sinn der Volkswirtschaft insgesamt entscheiden – das ist Aufgabe der Politiker, die sich seit zwei Monaten mit Maßnahmen gegen die Corona-Folgen beschäftigte. Die Autoindustrie auszuschließen wäre unsinnig und gefährlich.
Klar ist indes auch: Die Unternehmen sollten selbst ihren Beitrag leisten, also die Prämie ergänzen, damit es keine Mitnahmeeffekte gibt. Und die Auswirkungen auf das Klima müssen deutlich werden: Große Autos, die sowieso nur für große Geldbeutel gebaut werden, bedürfen nicht auch noch einer Förderung mit Steuermitteln. Das wird auch Hildegard Müller akzeptieren können.
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