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Weniger Ansteckungsgefahr als in den Öffis: Das Rad wird jetzt vermehrt genutzt.
© Jeff Wheeler/Star Tribune/AP/dpa

Mobilitätswandel in der Coronakrise: Ein Fünftel der Deutschen steigt öfter aufs Fahrrad

Das Rad zählt zu den Gewinnern der Coronakrise, vor allem junge Leute steigen jetzt um. Das Umweltministerium will den Kauf mit bis zu 150 Euro fördern.

Knapp 20 Prozent der Deutschen ersetzen in der Coronakrise Fahrten mit dem Auto oder dem ÖPNV durch das Fahrrad. Vor allem junge Leute wie Studenten haben sich für das Rad als Alternative erwärmt. Mit steigendem Alter lässt die Bereitschaft nach, sich auf den Sattel zu schwingen, statt das Auto oder den Bus zu nehmen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Tagesspiegel Background.

Unterschiede gibt es auch zwischen Stadt und Land: Während es in Gegenden mit niedriger Bevölkerungszahl mehr als 80 Prozent verneinen, wegen Corona auf das Fahrrad umzusteigen, sind es in Großstädten nur etwas mehr als 60 Prozent der Befragten, für die das keine Option darstellt.  

20 Prozent der Deutschen fahren derzeit mehr Rad – das klingt zunächst nicht besonders viel. Zumal durch die Krise nicht wenige Menschen vom ÖPNV auf das Auto umgestiegen sind: Eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Anfang Mai hatte das Auto als Gewinner der Coronakrise ermittelt, allerdings schnitt das Fahrrad als individuelles Verkehrsmittel vergleichsweise gut ab. 

Handelt es sich bei dem viel beschworenen Fahrradboom womöglich nur um ein urbanes Phänomen bei einer erwartbaren Zielgruppe? „20 Prozent sind eine ganze Menge“, sagt Wassilis von Rauch, Geschäftsführer des 2019 gegründeten Bundesverbands Zukunft Fahrrad (BVZF). „Aus meiner verkehrspolitischen Erfahrung weiß ich, dass es relativ schwierig ist, die Menschen zum Umstieg zu bewegen.“ 

Das Mobilitätsverhalten ist oft träge

Auch aus Sicht von Julia Jarass, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DLR, ist ein Anteil von 20 Prozent an neuen Radfahrern nicht zu vernachlässigen. „Das Mobilitätsverhalten an sich ist relativ träge, oft haben sich Routinen über Jahre eingeschliffen“, sagt sie. Wer eine langfristige Mobilitätsentscheidung wie die Anschaffung eines Autos beschlossen habe, der entscheide sich auch immer wieder dafür, es zu nutzen.

Die Verkehrsexpertin gibt auch zu bedenken, dass die weltweiten Ansätze zu Pop-up-Radwegen und autofreien Zonen in den Innenstädten immer noch punktuell sind. Selbst in Berlin bezieht sich das Phänomen größtenteils auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. „Um größere Effekte zu erzielen, muss die Radinfrastruktur deutlich weiter ausgedehnt werden“, sagt Jarass.

Verkehrsberuhigte Stadtzentren kamen bei der Civey-Umfrage übrigens bei etwas mehr als 50 Prozent der Befragten gut an, vor allem bei Grünen-Wählern: Hier votierten 88 Prozent dafür, gefolgt von Wählern der SPD (71 Prozent) und der Linken (68 Prozent).  

Von Rauch räumt ein, dass der Aufschwung des Fahrrads in erster Linie „ein Metropolenphänomen“ ist. Für suburbane Gebiete  und den ländlichen Raum brauche es andere Konzepte als in der Stadt, um Menschen fürs Rad zu gewinnen.  Zum Beispiel attraktive, gut ausgeschilderte Verbindungen zwischen etwa zehn Kilometer voneinander entfernten Ortschaften, und dort jeweils gute Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.

Elektro-Antriebe spielen beim Leasing eine große Rolle

Großes Potenzial sieht der BVZF-Geschäftsführer auch in den geplanten Radschnellwegen, die vom Bundesverkehrsministerium gefördert werden und Pendelverkehre vom Auto aufs Rad umleiten sollen. Das funktioniere vor allem mit E-Bikes.  

Elektro-Antriebe spielen insbesondere bei Leasing-Fahrrädern eine große Rolle. Dabei gewähren Arbeitgeber wie Lufthansa oder die Deutsche Bahn ihren Arbeitnehmern einen Zuschuss zur monatlichen Rate. Das Leasing sei einer der wichtigsten Treiber im Fahrradmarkt, sagt von Rauch, sie machten bereits zwischen zehn und 20 Prozent aller in Verkehr gebrachten E-Bikes aus.

In Baden-Württemberg bietet die Hälfte aller nicht tarifgebundenen Unternehmen ihren Beschäftigten Diensträder an. Die BVZF-Mitglieder – 29 Unternehmen aus allen Bereichen der Fahrradwirtschaft – erwarten, dass sich die Zahl der geleasten Diensträder in diesem Jahr im Vergleich zu 2019 auf 300.000 verdoppelt. 

Hoffnung auf eine zusätzliche Mobilprämie für Räder

Von Rauch hofft, dass sich die Bundesregierung die Neuwagen-Kaufprämie „so umweltgerecht wie möglich“ macht und sich zusätzlich für eine Mobilprämie entscheidet. Damit würden ÖPNV-Abos, eine Bahncard oder Zuschüsse zum Fahrrad gefördert. „Das ist ein Gebot der Fairness und der Vernunft“, sagt er.

Um zu verhindern, dass der öffentliche Nahverkehr wegen Corona viele Kunden ans Auto verliert, könnten Arbeitnehmer, die sich weiterhin für ein ÖPNV-Jobticket entscheiden, einen staatlichen Zuschuss für ein Dienstrad bekommen. „Denn wenn ein Stammkunde erstmal weg ist, hat man als Verkehrsbetreiber viel Mühe, ihn wieder zurückzugewinnen.“

7,5 Milliarden, um den Kauf von Fahrrädern zu fördern

Die von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) in Auftrag gegebene Studie zu Konjunkturmaßnahmen schlägt eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, um den Radverkehr auszubauen: Die Liste reicht vom einer „umgehenden“ Fortschreibung des Nationalen Radverkehrsplans durch das Bundesverkehrsministerium, die (unter Umständen auch dauerhafte) Umwidmung von Verkehrsflächen zugunsten von Rad- und Fußverkehr bis hin zu Zuschüssen beim Radkauf.

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So sollte laut BMU-Studie die Förderung von gewerblichen E-Schwerlasträdern, die momentan mit 2500 Euro bezuschusst wird, bundesweit auf kleinere und nicht elektrische Lastenräder erweitert und bis Ende 2021 verlängert werden. Die Fördersumme soll auf insgesamt eine Milliarde Euro jährlich erhöht werden.

Die unter anderem von der Radlobby geförderte Mobilitäts- oder auch „Umstiegsprämie“ befürwortet die Studie, und zwar befristet bis Mitte 2021. Rund 7,5 Milliarden Euro wären nötig, um bis dahin pro Person bis zu 150 Euro und maximal 70 Prozent des Kaufpreises von Fahrrädern zu fördern.

Die Linke sprach sich für eine Fahrradprämie aus

Weitere jeweils drei Milliarden Euro könnten befristet für den Kauf von Abos und Tickets für den ÖPNV, sowie für Rabattkarten und Tickets für die Deutsche Bahn zur Verfügung gestellt werden (jeweils pro Person bis zu 200 Euro und maximal 70 Prozent des Kaufpreises).

Die Linke sprach sich am Dienstag explizit für eine Fahrradprämie aus, für die der Staat 300 Millionen Euro locker machen soll. „Wir brauchen einen Strauß an verschiedenen Maßnahmen, damit alle auch während der Corona-Pandemie sicher unterwegs sind“, so Andreas Wagner, Sprecher für ÖPNV und Fahrradmobilität.

Die Forderung seiner Fraktion: 200 Euro als Zuschuss für Wartung und Reparatur (einschließlich Ersatzteile) von Fahrrädern, E-Bikes, Lastenrädern, Fahrradanhängern sowie deren Ersatz- und Neubeschaffung. 

Kein Trend zu nachhaltigeren Verkehrsträgern

Die Grünen machen sich unterdessen Gedanken, warum die EU-Zuschüsse für umweltfreundlichen Stadtverkehr offenbar keine Wirkung zeigen: So ergibt der Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes zur Entwicklung nachhaltiger urbaner Mobilität, dass in keiner der acht untersuchten europäischen Städte – für Deutschland wurden Leipzig und Hamburg exemplarisch herangezogen – ein eindeutiger Trend zu nachhaltigeren Verkehrsträgern festzustellen ist. Und das, obwohl die EU-Kommission dafür von 2014 bis 2020 insgesamt 13 Milliarden Euro zur Verfügung stellte.

„Konfrontiert mit diesen Ergebnissen, verweist das Bundesverkehrsministerium auf die Zuständigkeit der Kommunen für dieses Thema“, kritisiert Grünen-Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar. „Eine bundesweite Verpflichtung zur Erstellung von Plänen für nachhaltige urbane Mobilität lehnt es ab.“ Der Bericht soll im Verkehrsausschuss am heutigen Mittwoch vorgestellt werden. 

Jutta Maier

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