Chef des Elektroverbandes: „Mit einer Prämie für E-Autos würden wir nicht viel erreichen“
Michael Ziesemer, Chef des Elektroverbandes, über die Probleme seiner Branche und wie ihr geholfen werden kann. Kaufprämien sieht er skeptisch.
Michael Ziesemer ist der Präsident des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Der Diplom-Ingenieur ist außerdem Vizepräsident des Verwaltungsrats beim BDI. Im Interview erklärt er, wie seine Branche durch die Krise kommt.
Herr Ziesemer, wie viele Corona-Insolvenzen zählen Sie in Ihrer Branche?
Insolvenzen sehen wir im Moment Gott sei Dank erst sehr wenige. Aber wir sehen ein großes Problem auf der Absatzseite. 90 Prozent der Unternehmen melden da Probleme, 45 haben massive Einbrüche.
Wie lange halten kleinere Mittelständler das noch durch?
Bei einer Umfrage von uns Ende März gingen die Antwort in Richtung „einige Monate“. Ein knappes Drittel der kleineren Unternehmen sagte: „Wir brauchen Kredite.“ Aber es ist nicht wie bei einem Ertrinkenden. Die Frage ist eher: Was brauchen die Unternehmen, um langfristig wieder erfolgreich sein zu können? Wie kommen wir wieder ins wirtschaftliche Tun, ohne dass wir unvorsichtig gegenüber dem Virus werden? Wir müssen durch zwischen Skylla und Charybdis.
In der Politik scheint noch viel Unklarheit bei der Formulierung einer Strategie zu herrschen. Welche Variante halten Sie für die bessere für die Wirtschaft: eine Durchseuchung bis zur Immunität oder das Modell Südkorea, das nachverfolgbare Herunterdrücken der Infektionen?
Eindeutig letzteres. Herdenimmunität ist kein Weg, solange wir keinen Impfstoff haben. Wir müssen einen Spagat schaffen: Einerseits eindämmen unter Rückverfolgung der Infektionsketten, wofür die geplante App wichtig sein wird, die schon viel zu lange überfällig ist. Und wir müssen testen. Andererseits müssen wir wieder zu einer geordneten wirtschaftlichen Tätigkeit kommen. Die Läden sind wieder offen, nur kauft kaum jemand ein. Deshalb brauchen wir auch Mut und Zuversicht der Konsumenten und Unternehmen.
Geweckt durch Kaufprämien für Autos?
Ich halte nichts von einer Prämie für den Autokauf. Ja, ohne ein Konjunkturprogramm wird es nicht gehen, aber das muss in der Breite wirken. Steuerliche Maßnahmen sind hierfür am besten geeignet. Verlustrückträge etwa haben den Charme, dass sie die Unternehmen unterstützen, die prinzipiell überlebensfähig sind, weil sie denen zu Gute kommen, die in der Vergangenheit Gewinne erzielt haben. Auch eine degressive Abschreibung der beweglichen Anlagegegenstände ist geeignet, Investitionen loszutreten. Die steuerliche Forschungsförderung auszuweiten, wäre überdies eine sehr gute Möglichkeit, Innovationen anzureizen.
Mal abgesehen vom Auto – wie halten Sie es mit Konsumgutscheinen?
Klar, das klingt erst einmal gut. Aber wenn es uns nicht gelingt, das psychologische Problem zu lösen, frage ich mich: Was ist, wenn die Leute, nachdem sie ihre Konsumgutscheine eingelöst haben, immer noch nicht kaufen wollen? Dann sind wir wieder da, wo wir vorher waren. Ich plädiere dafür, Geld eher in die Bildung zu stecken – nicht nur in ihre Digitalisierung, sondern auch in Personal und Räume. Wir werden so bald nicht zu einem Schulwesen wie vor Corona zurückkehren. Dadurch droht ein enormes soziales Problem in bildungsfernen Schichten.
Nicht mal für Elektroautos möchten Sie eine Prämie?
Wenn schon Autoprämie, dann selbstverständlich für Elektromobile. Aber ich habe den Eindruck, dass wir damit nicht so furchtbar viel erreichen würden. Wenn wir im Moment eine Prämie für E-Mobile einführen, werden die zu langen Lieferzeiten noch länger. Das Beste, was man im Moment tun kann, ist in die Ladeinfrastruktur zu investieren. Ihre Lückenhaftigkeit ist ein wesentlicher Hinderungsgrund für einen klaren Fortschritt bei der Elektromobilität. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, dem im Rahmen eines Konjunkturprogramms einen Schub zu geben – verbunden mit der Digitalisierung der Verteilnetze und mit erneuerbaren Energien, um Verbrauch und Erzeugung ortsnah zusammenzubringen.
Finanzminister Olaf Scholz will Anfang Juni ein Corona-Konjunkturprogramm vorstellen. Umweltministerin Svenja Schulze spricht bereits von 150 Milliarden Euro. Wie groß sollte so ein Konjunkturpaket sein?
150 Milliarden sind ein Wort. Ich zögere, das gutzuheißen oder selbst eine Zahl zu nennen. Denn wie wird sich das in Staatsverschuldung widerspiegeln? Aufgabe des Staates ist zwar, Dinge in Gang zu bringen, Starthilfe zu leisten. Aber seine Aufgabe ist auch, Rahmenbedingungen für private Initiative zu schaffen. Starthilfe ist dort gut, wo Marktwirtschaft noch nicht funktioniert. Wirtschaftsminister Altmaier hatte recht bei den Batteriezellen. Zuerst wollte in diesem Feld kein Unternehmen investieren. Dann, im Zuge der politischen Batterie-Initiative, sind in Europa einige Konsortien entstanden. Jetzt muss es um eine ähnliche Starthilfe gehen beispielsweise bei grünem Wasserstoff, bei Ladeinfrastruktur, bei Verteilnetzen. Doch am Ende muss es in private Initiative münden.
Inzwischen verläuft der Graben bei dieser Frage ja nicht mehr zwischen den Umweltverbänden auf der einen und der Industrie auf der anderen Seite, sondern zwischen Industrien – wie auch innerhalb der CDU/CSU. Wie schätzen Sie diese Neuverteilung ein?
Natürlich haben wir durchaus kontroverse Diskussionen innerhalb der Industrie. Aber es steht nicht unbedingt die eine Branche gegen die andere. Es geht eher um die Frage: Wie schnell kommen gewisse Anforderungen auf uns zu? Wir müssen deshalb darauf achten, dass der Strom nicht zu teuer wird. So wie das EEG konstruiert ist, laufen wir im nächsten Jahr allerdings in einen enormen Anstieg der EEG-Umlage rein. Das belastet viele Unternehmen über Gebühr. Wir müssen uns hier als Industrie zusammenraufen. Wir dürfen kurzfristig Teilbranchen nicht überfordern, aber müssen mittel- und langfristig sehr ambitioniert sein, weil es die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.