Berliner Finanzsenator Kollatz: "Neubau hat Priorität und soll Priorität haben"
Matthias Kollatz sieht den Ankauf von Wohnungen als "letztes Mittel" zum Milieuschutz. Ein Gespräch über Wohnpolitik und deren Kosten.
Herr Senator Dr. Kollatz, die erste Frage vielleicht zum Warmlaufen: Wann wurde bei Ihnen zuletzt die Miete erhöht und bei welchem Quadratmeterpreis sind Sie jetzt gelandet?
Ich lebe seit relativ kurzer Zeit in einer Eigentumswohnung. Insofern kann ich mit einer Antwort nicht dienen.
Sind es schlimme Kaufpreise, die Ihnen beim Kauf Ihrer Wohnung begegnet sind?
Na, die Kaufpreise sind schon deutlich höher als sie in der Vergangenheit waren; ein Kauf ist deshalb nicht jedem möglich. Und Berlin ist eben eine Mieterstadt. Nach den Zahlen, die uns zugänglich sind: zu 85 Prozent. Insofern sind die, die in einer Eigentumswohnung leben, in einer deutlichen Minderheit. Deshalb ist es auch so, dass die Entwicklung von Mieten und der Zahl der Mietwohnungen, einen besonderen Stellenwert in der politischen Debatte genießen.
Die Mieten in der Stadt sollen sinken oder wenigstens nicht mehr steigen...
Das ist falsch! Wir haben bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften gesagt, dass sie durchaus steigen können. Aber nicht mehr als zwei Prozent im Jahr. Um dadurch auch keine Vertreibungseffekte auszulösen. Das ist schon ein wichtiger Unterschied, dass wir uns mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht an spekulativen Erhöhungen beteiligen. Es muss auf der anderen Seite aber auch so sein, dass die Wohnungen das erwirtschaften, was man braucht, um sie nicht dauerhaft am Subventionstropf zu halten.
Um die Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum zu befriedigen, wollen Sie Wohnungen neu errichten und im Bestand Wohnungen kaufen. Es gibt Menschen in der Stadt, die Letzteres ganz schön ungerecht finden. Dabei hat Ihre Partei den letzten Wahlkampf im Bund unter das Motto der „sozialen Gerechtigkeit“ gestellt. Was ist daran gerecht, wenn Sie den einen Mietern auf Kosten der Kommune zu preiswertem – aber teuer bezahltem – Wohnraum verhelfen, den anderen aber nicht?
Ich glaube die Fragestellung ist sehr selektiv und daher auch ungerecht. Die Situation ist erst mal die, dass die Priorität auf dem Wohnungsneubau liegt. Unabhängig von der Zahl der Neubauten, die möglichst hoch sein soll, können immer nicht alle Berliner gleichzeitig in diese Wohnungen einziehen.
Mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen möglichst mehr als 6000 Einheiten pro Jahr gebaut werden. Es ist immer so, dass damit nur einem Teil geholfen werden kann. Trotzdem ist es sozial gerecht, das zu machen. Erstens weil wir gerade im sozialen Wohnungsbau versuchen, das durchaus von Einkommensgrenzen der Mieter abhängig zu machen.
Zweitens soll die wachsende Zahl preiswerter Wohnungen schrittweise den Markt beeinflussen. Und ähnlich ist es, wenn wir in Milieuschutzgebieten kaufen und Vorkaufsrechte wahrnehmen. Es ist ja nicht so, dass wir uns das unbedingt aussuchen.
Erst einmal wurde durch einen demokratischen Beschluss der kommunalen Gebietskörperschaft ein Milieuschutzgebiet ausgewiesen. Und wenn es ausgewiesen wurde, ist es das erklärte kommunalpolitische Ziel, dass dort auch im Kern die Milieustrukturen der Mieterschaft erhalten werden sollen. Das alles sind in nationalen Gesetzen – etwa im Baugesetzbuch – vorgesehene Zielsetzungen.
Wenn man solche Schutzmechanismen nicht schafft, wird sonst die Bevölkerung, die einkommensschwächer ist, auf lange Sicht vertrieben. Schauen wir zwanzig Jahre in die Zukunft, ist es auch politisch richtig zu sagen: Das Berlin der Zukunft soll nicht sein wie London, wo man mit einem normalen Gehalt in der Stadt nicht mehr eine Wohnung mieten kann, sondern allenfalls ein Zimmer.
Das ist eben nicht die Zielstellung für Berlin. Deshalb spielt das Thema Milieuschutz eine solche Rolle. Wenn wir in den Milieuschutzgebieten keine Veranlassung hätten, zu kaufen, wären wir darüber ja nicht böse. Das Kaufen steht ganz am Ende der Kette.
Wenn in diesem Gebieten verkauft wird – wir hätten ja gerne, dass diejenigen, die da sind, gar nicht verkaufen – wenn Firmen sich also entschließen zu verkaufen, kann derjenige, der das dann in der Hand hat, sagen: Ich verhalte mich so, wie es in den Milieuschutzsatzungen vorgesehen ist. Ich schließe eine so genannte Abwendungsvereinbarung ab. Dann werden wir nicht kaufen.
Zu dem Thema Kaufen kommt es nur, wenn ernsthaft milieuschutzgefährdende Themen zu befürchten sind. Es ist ein im gesetzlichen Rahmen bestehendes Recht, von dem wir als letztes Mittel Gebrauch machen.
Das hat etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Es ist sozial gerecht, dass diejenigen, die in Milieuschutzgebieten wohnen, dort auch in diesen Einkommensklassen in Zukunft wohnen können.
Laut einer Meldung der dpa erwarb das Land Berlin 2018 über kommunale Gesellschaften 3746 Wohnungen, davon 638 im Rahmen eines Vorkaufsrechts in so genannten Milieuschutzgebieten. Der Landesrechnungshof wird sich mit der Frage beschäftigen, ob der Ankauf von Wohnungen aus dem Bestand wirtschaftlich sinnvoller ist als der Neubau. Welche Rechnung machen Sie auf?
Aus meiner Sicht ist es nicht sinnvoll, das gegeneinander zu stellen. Neubau hat Priorität und soll Priorität haben. Wir haben im vergangenen Jahr 3500 Wohnungen gefördert, wir wollen in diesem Jahr 4000 fördern, wir wollen im nächsten Jahr 4500 und im übernächsten Jahr 5000 Wohnungen fördern.
Der Neubau hat also auch finanzielle Priorität. Und wenn wir von solchen Vorkaufsrechten Gebrauch machen, ist natürlich auch erst einmal das Ziel, dass dies überhaupt keine Haushaltsbelastungen auslöst. Wenn wir zu Kosten kaufen können, die mit Mieten nachhaltig zu erzielen sind, dann machen wir aus dem Haushalt keine Zuzahlung.
Wenn das aber nicht der Fall ist, dann ist das immer schon ein Hinweis dafür, dass es dort eine spekulative Übertreibung gibt. In diesem Fall des Bestandserwerbs schießen wir in einem sehr begrenzten Umfang etwas aus Steuermitteln zu.
Das muss aber auf jeden Fall deutlich unterhalb dessen liegen, was wir bei Neubau zuschießen. Man darf das nicht gegeneinander stellen. Wir wollen den Bestand der Städtischen Wohnungsbaugesellschaften in zehn Jahren um 100.000 Einheiten erhöhen. Wenn wir jedes Jahr 6000 oder mehr im Neubau machen und jedes Jahr 3000 zukaufen, ist auch klar, dass wir das nicht gegeneinanderstellen. Der Neubau ist das stärkere Instrument und der Zukauf ist das schwächere Instrument – aber gleichwohl ergänzen sie sich.
Möglicherweise kommt man zur Betrachtung, dass der Neubau unter der Voraussetzung billigen Baulandes preiswerter ist, als in bestehende Verträge im Vorkaufsrecht einzusteigen. Was Bauland ist und was nicht, können Sie im Land über die Flächennutzungspläne selbst definieren. Wir bekommen immer wieder Hinweise auf Brachflächen in der Stadt, mal größere, mal kleinere. Kommen Flächenankäufe aus anderen Vermögen infrage?
Ja, Flächen, die zum Bundesvermögen gehören – einerseits gehören sie zur Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), andererseits zum Eisenbahnbereich – sind für uns wichtige Themen.
Mit der Bima haben wir nach langem Hin und Her einen Verfahrensweg gefunden, den ich für ganz erfolgversprechend halte. Nämlich, dass die Bima alle Flächen, von denen sie sich in Berlin trennen will, bevorzugt dem Land Berlin anbietet. Und es gibt dafür auch für kommunale Infrastruktur und sozialen Wohnungsbau Verbilligungsrichtlinien, die theoretisch dazu führen könnten, dass der Preis Null ist. Es ist unwahrscheinlich, dass es dazu kommt, wichtig ist die Verbilligung.
Wir erleben zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Situation, dass die Bahn sagt: Wir halten an dem Meistbieter-Verfahren fest. Es ist aber umgekehrt so, dass die Bahn, wenn sie Grundstücke von uns will, ungern an einem meistbietenden Verfahren teilnehmen will.
Deshalb zielen wir darauf ab, auch mit der Bahn eine Vereinbarung zu finden wie mit der Bima. Weil es nicht sein kann, dass versucht wird, öffentliche Infrastrukturen in einem spekulativen Umfeld meistbietend zu realisieren. Weil das zum einem dem sparsamen Einsatz von Steuermitteln widersprechen würde und zum anderen zu unguten Effekten im Verhältnis öffentlicher Institutionen zueinander führen würde.
Klären Sie uns einmal auf: Warum lässt das Land über die Berliner Immobilienmanagement BIM in Buch seit zehn Jahren Klinikgebäude – das ehemalige Stasikrankenhaus und das ehemalige Regierungskrankenhaus der DDR – bis zur Abbruchreife verfallen und warum werden diese 100.000 Quadratmeter Grundstücksfläche nicht für den Wohnungsneubau genutzt?
Gerade in Buch bemühen wir uns um eine Neuordnung von Flächen, gerade mit dem Ziel, deutliche Wohnungsbaumaßnahmen zu realisieren...
...zehn Jahre Leerstand, Herr Dr. Kollatz?! Wie kann das sein?
Ich bin durchaus auch der Auffassung, dass Sachen schneller gehen müssen. Wo wir jetzt als Land tätig werden, um einen langen Stillstand zu beenden, können Sie beim Haus der Statistik im Stadtzentrum ganz gut sehen. Dort hat der Bund mit einem Gebäude zehn Jahre lang nichts gemacht.
Es ist uns gelungen, das Haus jetzt zu erwerben. Es ist sehr klar, dass wir aus dem Altbau ein Verwaltungsgebäude und daneben ebenfalls ein Verwaltungsgebäude machen werden. Und dahinter werden wir in nennenswertem Umfang Wohnraum realisieren.
Aber es stimmt: Themen könnten schneller gehen, bei einigen Großprojekten wie beim Haus der Statistik ist es gelungen, mehr Geschwindigkeit reinzubringen, bei anderen steht es noch aus.
Bei allem Verständnis für Ihr Engagement für das „Haus der Statistik“. Aber wenn Sie das Gebäude einer Grundstücksfläche von 100.000 Quadratmetern in Buch gegenüberstellen, hinkt doch der Vergleich. Müssten Sie nicht Prioritäten setzen und erst einmal die großen Flächen in Bewegung bekommen?
Also die Flächen im Haus der Statistik sind durchaus mit denen in Buch vergleichbar. Das wichtige Thema ist doch: Bei Buch geht es um die Neuordnung von Flächen. Es ist nicht so, dass wir uns darum nicht bemühen. Und es ist nicht so, dass in Buch in den vergangenen zehn Jahren nicht Einiges geschehen wäre. Und es wird auch in den nächsten zehn Jahren einiges geschehen – und zwar flächenmäßig viel.
Ihr Parteigenosse Hans-Jochen Vogel hat sich mit seinen 93 Jahren eine neue – alte – Mission auferlegt. Er kämpft um die Bodenpreise. Er findet, öffentliche Grundstücke sollten danach vergeben werden, wer das beste Konzept dafür hat. Das schließt bei Vogel private Investoren mit ein. Berlin vergibt seine eigenen Grundstücke aber nur noch an kommunale Gesellschaften. Man muss nicht den Eindruck haben, dass sie in großen Schritten vorankommen. Private Anbieter scheitern in Berlin selbst dann, wenn sie zum Beispiel ein Demenzdorf bauen wollen, wie es am Wernersee in Kaulsdorf geplant war. Warum legen Sie sich diese politischen Fesseln an, die in der Konsequenz vor allem die Neuberliner mit hohen Mietpreisen knebeln? Warum machen Sie nicht mehr mit den Privaten nach Konzept?
In der Frage stecken viele Behauptungen, die nicht richtig sind. Es ist nicht so, dass wir als Land Berlin nicht mit Privaten zusammenarbeiten. Da gibt es ganz viele Beispiele. Das von mir erwähnte Haus der Statistik ist so ein Beispiel, auch wenn wir einen überwiegend öffentlichen Teil dort machen. Was allerdings richtig ist, ist, dass wir – weil der Neubau so wichtig ist – die Flächen bevorzugt an kommunale Wohnungsbauunternehmen geben...
...können die den Neubau besser?
Der private Markt baut ganz überwiegend nicht im preiswerten Segment. Der baut auch nicht im mittleren Segment. Der private Markt baut im oberen Segment. Die Anzeigen von Privatunternehmen, die in Berlin Häuser fertiggestellt haben und im preiswerten Segment vermieten, die werden auch Sie eher mit der Lupe suchen müssen. Alle, die das gerne anders machen wollen, sind sehr herzlich willkommen.
Aber das Thema ist ja gerade: Im preiswerten Segment fehlt es im Neubau. Konzeptverfahren spielen durchaus eine Rolle. Beim Konzeptverfahren versuchen wir zu beschleunigen und versuchen auch Genossenschaften zum Zug kommen zu lassen – das sind ja im rechtlichen Sinne auch Private. In der Frage steckt also eine Reihe nicht richtiger Behauptungen. Als wachsende Stadt haben wir nicht nur das Thema Neubau, sondern auch das einer wachsenden Infrastruktur.
Ein Reizthema ist das Dragoner-Areal in Kreuzberg. Hier fehlt immer noch die Zustimmung des Bundesfinanzministers, des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages sowie des Finanzausschusses des Bundesrates zur Übertragung des Geländes an Berlin im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungvertrages. Woran hakt es nach Ihrem Kenntnisstand? Das BMF schrieb uns: „Das parlamentarische Gremienverfahren wird eingeleitet werden, sobald alle notariellen Unterlagen vollständig vorliegen.“ Das klingt so, als ob noch etwas fehlen würde.
Aus unserer Sicht hat es einen entscheidenden Fortschritt gegeben, nämlich dass der Vertrag zwischen der Bima und uns beim Notar unterschrieben worden ist. Deshalb gehe ich davon aus, dass das andere Thema nun umgehend erfolgen kann Aus unserer Sicht sind die Zusicherungen aus dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag, die wir an anderer Stelle gegeben haben, erfüllt. Wenn es noch Nachfragen gibt, werden wir die beantworten. Es wird in den nächsten Wochen noch ein Treffenzwischen dem Bund und uns geben. Da werden wir das dann hoffentlich abschließend klären.
Die vielleicht heikelste Frage zum Schluss: Was ist denn bei der Berlinovo los, dass dort eine große Zahl von Verantwortlichen dort mit Ihnen Abfindungsvereinbarungen schließen. Von mehr als drei Millionen Euro ist die Rede. Wollen die alle gemeinsam weg und sich einfach einmal neuen Herausforderungen stellen oder stehen die im Wege?
Die drei Millionen sind definitiv falsch, auch wenn Sie im Tagesspiegel standen. Eine Falschmeldung. Das wird auch durch Wiederholung nicht besser.
Sie können es korrigieren, wenn es falsch ist. Was wäre die richtige Zahl?
Richtig ist, dass bei der Berlinovo deutliche Veränderungen anstehen. Und die sind erst einmal in dringendem Interesse der Steuerzahler des Landes Berlin.
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