Milieuschutz und Wohnungsankauf in Berlin: „Massiver Eingriff in die Eigentumsrechte“
Das Institut der deutschen Wirtschaft nimmt den Milieuschutz unter die Lupe: Durch selektive Maßnahmen mache der Senat ganze Stadtviertel unattraktiv.
Berlins Bezirke weisen mehr und mehr Milieuschutzgebiete aus. „Ich begrüße es außerordentlich, dass sich die Anzahl der sozialen Erhaltungsgebiete im Jahr 2018 auf 56 erhöht hat und damit die Umwandlungsverordnung noch breitere Anwendung findet“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) zum Geschehen: „Ich sichere den Bezirken auch im kommenden Jahr meine volle Unterstützung beim Erlass neuer Milieuschutzgebiete zu.“
Dennoch halten sich die Hurra-Rufe in Grenzen. Das renommierte Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (IW) legte jetzt ein Gutachten zum Milieuschutz vor, das dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. Die wichtigste These der Untersuchung: „Das Instrument der Milieuschutzsatzung stellt einen massiven Eingriff in die Eigentumsrechte dar. Begünstigt werden hierdurch Mieter, die in dem Gebiet über eine Wohnung mit geringen Wohnkosten verfügen. Benachteiligt werden jedoch alle Wohnungssuchenden, die aufgrund des Nachfrageüberschusses keine angemessene Wohnung finden können. Die dadurch geschaffene Insider-Outsider-Konstellation wirft enorme gesellschaftliche Fragen auf.“
Anstatt die 'bösen' Vermieter immer weiter und weiter zu gängeln, sollte der rot-rot-grüne Senat Anreize für Vermieter schaffen, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.
schreibt NutzerIn Nala
Zudem, so kritisiert der IW, konterkarierten die weitreichenden Modernisierungsverbote in Erhaltungsschutzgebieten die formulierten Klimaschutzziele für einen langfristig zu erreichenden klimaneutralen Gebäudebestand. Hinzu komme, dass in diesen Gebieten durch die Umwandlungsverbote Chancen auf Eigentumserwerb verbaut werden.
Die sozialen Erhaltungsverordnungen zum Milieuschutz haben gemäß § 172 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch zum Ziel, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in einem Gebiet aus besonderen städtebaulichen Gründen zu erhalten und einer sozialen Verdrängung entgegenzuwirken bzw. vorzubeugen. Damit einher gehen strenge Auflagen für die Modernisierung der Bestände, Umwandlungsverbote und Vorkaufsrechte für die Stadt.
Chancen werden verbaut
In ihrem Jahresbericht zur Umwandlungsverordnung für das Jahr 2017 bilanzierte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, die Genehmigungspflicht der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten zeige nachhaltig dämpfende Wirkung auf das Umwandlungsgeschehen.
Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) kündigte zudem in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ an, verstärkt das gesetzliche Vorkaufsrecht bei Wohnungen in Milieuschutzgebieten nutzen zu wollen. Dabei wolle er dafür plädieren, den Ankaufsfonds weiter aufzustocken. Er gehe von einer Größenordnung von etwa 150 Millionen Euro aus. Als Kriterien für den Ankauf von Wohnungen nannte Kollatz unter anderem, „dass wir in Milieuschutzgebieten kaufen, wo es gelingen kann, Verdrängungsprozesse schützenswerter Mieterschaften zu verhindern“. Zudem sollten durch einen Ankauf Mietwohnungen dauerhaft gesichert werden können.
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Dieses Vorgehen sieht der IW, der seine Expertise im Auftrag des „Vereins zur Förderung von Wohneigentum in Berlin“ fertigte, kritisch. Durch die Schutzvorschrift würden „gesellschaftlich gewünschte Investitionen für mehr Wohnflächen, die Energieeffizienz oder Barrierearmut behindert und Chancen auf den Eigentumserwerb verbaut. Weiterhin entstehen Risiken für den städtischen Haushalt durch den Ankauf der Immobilien zu aktuellen Marktpreisen. Gesellschaftlich lassen sich die Kosten nicht durch den Nutzen aufwiegen“.
Schließlich sei die Erhaltung der Sozialstruktur weder aus arbeitsmarktpolitischen, aus bildungspolitischen oder aus Gründen der Vermeidung von Problemvierteln zu rechtfertigen. Mit weiteren Risiken sei zu rechnen: „Wenn die kaufenden kommunalen Wohnungsgesellschaften die Mieten nicht anheben, droht ihnen langfristig ein Verlust. Anfänglich ist dies kaum merklich, doch mit der Zeit wächst der Unterschied zwischen den Marktmieten und den eingefrorenen Mieten deutlich. Hinzu kommt das Risiko steigender Zinsen, die die Kostensituation der Unternehmen verschlechtern könnte.“
Fluch und Segen
Wolfgang Maennig, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg (Fachbereich Volkswirtschaftslehre) und Mitglied der Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ des Bundes, geht mit Blick auf die extensive Ausübung des Vorkaufsrechtes durch die Stadt, respektive durch den jeweiligen Bezirk noch einen Schritt weiter: „Was finanzmathematisch, bautechnisch, politisch richtig sein kann, ist natürlich volkswirtschaftlich gesehen immer noch ziemlicher Humbug“, sagt er auf Anfrage: „Es nutzt auch den Wählern der Regierungsparteien nur wenig: Wenn sie nicht zu dem kleinen Kreise der Berechtigten gehören, die eine Sozialwohnung erhalten, müssen sie sich auf einem privaten Markt versorgen, der durch die Aufkäufe des Senates sogar noch kleiner geworden ist. Was für eine kleine Zahl zusätzlicher Sozialmieter gut ist, verschlechtert die Situation aller anderen.“
Nach Angaben des Berliner Mietervereins wurden zwischen 2015 und 2017 über das Vorkaufsrecht 16 Mietshäuser mit insgesamt 472 Wohnungen von der Stadt Berlin erworben.
In den sozialen Erhaltungsgebieten verringerte sich die Anzahl der umgewandelten Wohnungen 2017 gegenüber dem Vorjahr nach Senatsangaben um drei Prozent, im verbleibenden Stadtgebiet erhöhte sie sich dagegen um 48 Prozent. Durch den Ankauf von Immobilien in Milieuschutzgebieten zu aktuellen Marktpreisen entstünden – so das IW – aber Risiken: In die alten Bestände muss investiert werden, um die Qualität zu erhalten.
Von unfreiwilligen Eigentümern
Hinzu kommt dieser Marktmechanismus: „Wenn ein Mietshaus in Prenzlauer Berg für 5000 Euro pro Quadratmeter verkauft wird, dann kann das Land zwar dafür einsteigen“, sagt Maennig: „Das ist dem Land aber in der Regel zu teuer. Deshalb lassen sie ein Verkehrswertgutachten ermitteln, welches zu deutlich geringeren Werten kommt – sagen wir 2500 Euro pro Quadratmeter. Für diesen Preis will das Land kaufen, aber bei diesen Bedingungen hat der Verkäufer ein Rücktrittsrecht. Der Senat zahlt die Makler- und Notarkosten. Alles, was bleibt, ist dass Käufer und Verkäufer verunsichert werden und die Zahl der Transaktionen schrumpft. Einige, die beispielsweise aus Altersgründen gerne verkauft hätten, bleiben wider Willen Hauseigentümer. Solche unfreiwilligen Eigentümer werden im Zweifelsfall weniger für die Entwicklung der Häuser tun als jene, die die Häuser gerne hätten. Zusätzliches Angebot, zusätzlicher Wohnraum wird durch den Ankauf jedenfalls nicht geschaffen, egal ob das Vorkaufsrecht ausgeübt wird oder nicht.“
Attraktivität bitte für alle
Seit 2013 sind die Angebotsmieten in Berlin um rund 44 Prozent auf durchschnittlich 12,10 Euro pro Quadratmeter gestiegen, so wurde in dieser Woche auf einer Pressekonferenz der Unternehmen Bauwert AG, Instone Real Estate, Trei Real Estate und Wüest Partner bekannt. Prozentual die höchsten Mietsteigerungen von fünfzig Prozent und mehr seit 2013 verzeichneten unter anderem Wedding (plus 71 Prozent), Tiergarten (plus 68 Prozent), Neukölln (plus 58 Prozent), Hellersdorf (plus 58 Prozent), Reinickendorf (plus 52 Prozent, Marzahn (plus 51 Prozent) und Tempelhof (plus fünfzig Prozent). Die Kaufpreise liegen derzeit bei rund 4113 Euro je Quadratmeter und sind damit seit 2013 um 71 Prozent gestiegen.
Das Ende noch oben ist offen, glaubt man dem IW-Gutachten, vor allem, wenn es in Berlin so weiter geht wie bisher: „Das Ziel einer Stadt sollte nicht darin bestehen, durch selektive Maßnahmen Stadtviertel für Zuziehende unattraktiv zu machen oder den Zugang zu versperren, sondern es sollte das Ziel sein, das gesamte Stadtgebiet zu attraktivieren und zu vergrößern, um möglichst viele gute Wohnstandortalternativen zu bieten und das Wachstum und den Wohlstand der Stadt zu fördern.“
Dies allerdings würde – neben Investitionen in die Infrastruktur – vor allem verstärkten Neubau voraussetzen. „Um eine 10-Euro-Miete im Neubau zu realisieren, bräuchte man die Unterstützung vom Staat zur Senkung der Baunebenkosten“, schlägt Bauwert-Vorstand Jürgen Leibfried vor. Auch Instone-COO Carsten Sellschopf hält mit der Stadt aushandelte Modelle für denkbar, die auf niedrigen Bodenpreisen gegen niedrige Initialmieten basieren.
Berlin noch relativ günstig
Milieuschutzgebiete hin oder her – das Mietpreisniveau in Berlin ist im Vergleich zu den anderen Metropolen wie München, Hamburg und Frankfurt am Main immer noch günstig, so das IW. Durch das immer noch relativ niedrige Mietenniveau ist die Stadt für Zuwanderer aus dem In- und Ausland nach wie vor sehr attraktiv. Trotz des Zustroms auch ins Berliner Umland (Potsdam, Teltow, Bernau, Falkensee, Blankenfelde-Mahlow und Nauen) entspannt sich die Lage in Berlin dadurch nicht.
„Ich glaube, wir Berliner müssen uns dran gewöhnen, dass wenn wir in einer wachsenden Stadt sind, es mit 6,50 Euro pro Quadratmeter nicht geht. Wir müssen uns an so etwas wie 10 Euro plus gewöhnen“, sagt Maennig: „Sie werden in kaum einer anderen europäischen Hauptstadt, auch nicht nicht in Prag, Athen oder Warschau, für 6,50 Euro pro Quadratmeter mieten können. Eine Ausnahme ist Wien, aber das ist ein besonderer Markt mit städtischen Anbietern. In solch eine Wohnungen müssen Sie aber als Neuankömmling auch erst einmal reinkommen.“