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Am Sonntag startet Alba Berlin im ersten Gruppenspiel des Finalturniers gegen Frankfurt. 
© imago

Die Basketball-Bundesliga startet ihr Finalturnier: „2020 die beste Liga in Europa“? Nein – aber immerhin die einzige

Im Jahr 2020 wollte die Basketball-Bundesliga Europas beste nationale Liga sein. Nun ist sie zumindest die einzige, die überhaupt spielt. Eine Bestandsaufnahme.

Tweets von Per Günther sind wie 800er-Tabletten Ibuprofen. Sie werden übers Jahr verteilt nur sehr dosiert verabreicht, aber wenn sie dann doch einmal ausgepackt werden, dann hauen sie richtig rein. Passenderweise ist Per Günther Aufbauspieler beim Basketball-Bundesligisten aus Ulm, dessen Haupt- und Namenssponsoring schon seit Jahren ein lokal ansässiger Pharmakonzern übernommen hat.

Günthers Twitter-Sentenz vom 20. Mai hatte jedoch wenig von nüchtern-naturwissenschaftlicher Synthese, sondern hüllte sich vielmehr in einen Hauch okkulter Esoterik: „Einfach nur mystisch, wie Orakel Pommer nun doch Recht behält. 2020 die stärkste Liga in Europa ... Gänsehaut“, schrieb er am Tag, nach dem die Basketball-Bundesliga (BBL) den Segen der Politik erhalten hatte, ihren Spielbetrieb als erste europäische Basketball-Liga überhaupt mit einem Quarantäne-Turnier in München wieder aufzunehmen.

Hinter „Orakel Pommer“ verbirgt sich namentlich Jan Pommer, 49 Jahre alt, Jurist und Sportmanager. Zwischen 2005 und 2015 lenkte er als Geschäftsführer die Geschicke der Liga und wagte sich dabei im Januar 2011 mit der kühnen Zielsetzung an die Öffentlichkeit, im Jahr 2020 mit der BBL „in Europa die stärkste Basketball-Liga“ sein zu wollen.

Ziel erreicht, könnte man nun seit dem Start des BBL-Finalturniers am Samstag ganz in Günther‘scher Logik folgern: Die einzige europäische Liga, die im Sommer 2020 bislang zu spielen in der Lage ist, muss ja zwangsläufig auch die stärkste sein – und sei es aus Mangel an Mitbewerbern.

So einfach möchte es sich aber natürlich niemand machen. Auch nicht in der aktuellen Führungsriege der BBL. „Streng genommen sind wir 2020 nicht die beste nationale Liga in Europa“, sagt der heutige Ligachef Stefan Holz. „Das ist nach wie vor die spanische.“

Der 53-Jährige hat den Posten des Geschäftsführers vor knapp fünf Jahren von Pommer übernommen, und den ambitionierten 2020er-Vorsatz dabei gleich mit. Schließlich handelte es sich nicht bloß um einen flapsigen Spruch aus dem Munde Pommers, sondern um ein fest vereinbartes Vorhaben der BBL-Klubs, das seit 2011 dem offiziellen Leitbild der Liga vorangestellt ist: „Vision: 2020 die beste nationale Liga in Europa“, so ist es dort festgeschrieben.

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„Es gab damals den Wunsch, sich an einem großen Ziel zu orientieren und an der Herausforderung zu wachsen“, erinnert sich Pommer, wie es zu der erstaunlich offensiven Ansage kam. Im Austausch mit dem Ligapräsidium reifte so die Idee heran, ein „ambitioniertes, langfristiges und konkretes Ziel“ zu schaffen – und zugleich ein messbares. Denn die „beste Liga in Europa“ zu sein, das sollte am Ende nicht bloße Auslegungssache werden.

Bei einem Workshop im rheinhessischen Kloster Eberbach legten Liga und Klubs deshalb gemeinsam konkrete Teilbereiche und Messgrößen fest, anhand derer die Zielsetzung immer wieder überprüft werden sollte – etwa in Form von Reichweiten, Budgets und Standards.

„Das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung gewesen damals“, sagt Pommer, der als Manager inzwischen den deutschen Galoppsport nach vorne bringen will. Immerhin mussten sich die Klubs darauf einlassen, von nun an ihre Ressourcenverteilung noch mehr an den neuen gemeinschaftlichen Zielen auszurichten, um die Standards der Liga dauerhaft anzuheben.

„Profisport und langfristige Planung sind nicht unbedingt siamesische Zwillinge“, sagt Pommer, der mit anderen Vorstellungen zur BBL kam: „Sich gemeinsam hinter einem Ziel zu versammeln, hat enorm dazu beigetragen, sich an das große Ganze zu erinnern, das sonst schnell aus dem Fokus gerät.“

Aus sportlicher Sicht hat es das große Ganze in fast einem Jahrzehnt nun auf folgende Bilanz gebracht: In den den drei höchsten europäischen Klubwettbewerben gingen seit der Saison 2010/11 sieben Titel an Klubs aus Russland, sechs Titel an Klubs aus Spanien und jeweils vier Titel an Klubs aus der Türkei und Griechenland. Aus Deutschland war lediglich 2016 Frankfurt im unterklassigen Europe Cup erfolgreich.

Applaus: Jan Pommer (links) führte von 2005 bis 2015 die Geschäfte der BBL.
Applaus: Jan Pommer (links) führte von 2005 bis 2015 die Geschäfte der BBL.
© Andreas Burmann/Imago

Eine wenig berauschende Bilanz, das weiß auch der aktuelle BBL-Geschäftsführer: „Die sportlichen Erfolge der Klubs sind noch nicht ganz da, wo wir sie gerne hätten“, sagt Stefan Holz. Zuletzt gab es zwar auch die eine oder andere Finalteilnahme deutscher Teams, doch von der europäischen Spitze sind die Klubs noch beträchtlich entfernt.

Ein kurzer Blick auf die sportliche Bilanz lässt das 2020er-Ziel der BBL also im Prinzip schon zu Staub zerfallen. Aber das große Ganze wäre ja nicht das große Ganze, wenn es nicht auch noch ein paar Facetten bereithalten würde, die die Verantwortlichen umso lieber hervorheben, weil sie die Entwicklung der Liga so nett unterstreichen.

Der Gesamtumsatz etwa hat sich gegenüber der Saison 2010/11 mehr als verdoppelt und liegt inzwischen bei rund 128 Millionen Euro. Den Zahlen des Fachmagazins „Sponsors“ zufolge liegt die BBL damit europaweit hinter der spanischen Liga auf Platz zwei. „Wirtschaftlich haben wir uns enorm entwickelt und sind in vielen Bereichen auf Augenhöhe“, sagt Ligachef Holz. Die Anforderungen an den Mindestetat hat die Liga inzwischen auf drei Millionen Euro geschraubt, wenn auch im vergangenen Jahrzehnt drei Klubs aus finanziellen Gründen zwangsabsteigen mussten.

Die Sponsoringeinnahmen haben sich im selben Zeitraum ebenfalls beträchtlich erhöht und machen „Sponsors“ zufolge nun etwa zwei Drittel statt nurmehr der Hälfte des Umsatzes aus. Das hat die Abhängigkeit vom Arenapublikum ein wenig verringert. Denn die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer stagniert seit Jahren bei etwa 4000 bis 4500 Fans pro Spiel, ebenfalls Platz zwei hinter der spanischen Liga.

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Inzwischen hat die Liga nicht nur größere Sponsoren gewinnen können, sondern besitzt seit der Saison 2014/15 auch einen festen TV-Partner, der alle Spiele produziert und überträgt. Seither ist die BBL erstmals in der Lage, ihren Klubs jährlich eine sechsstellige Summe auszuschütten. „Das war damals ein Quantensprung für die Liga“, sagt Holz über den TV-Deal. „Medial müssen wir uns auch nicht verstecken.“

Aber die beste nationale Liga? „Am Ende ist es sekundär, ob dieses Ziel erreicht worden ist. Es ist viel wichtiger, dass dieser Prozess sehr viel ausgelöst hat“, sagt Jan Pommer. Für ihn ist die BBL zumindest „die bestorganisierte Liga“ in Europa: „Das zeigt sich auch in den jetzigen Corona-Zeiten sehr deutlich.“

Der Chef: Stefan Holz ist seit 2015 der Geschäftsführer der BBL.
Der Chef: Stefan Holz ist seit 2015 der Geschäftsführer der BBL.
© Nicolas Armer/dpa

Die Krise hinterlässt natürlich auch in der BBL ihre Spuren. „Wir werden sicherlich nicht mehr in dem Tempo weiterwachsen wie in den letzten Jahren“, sagt Stefan Holz. Über den Sommer sind die 17 Klubs wohl erst einmal auf der sicheren Seite, doch die Frage ist, wie es danach weitergeht – besonders wenn weiterhin vor leeren Rängen gespielt werden muss.

Umso stolzer sind die Verantwortlichen auf ihr Finalturnier in München, in das an diesem Sonntag (15 Uhr/Magentasport) auch Alba Berlin mit dem ersten Gruppenspiel gegen Frankfurt eingreift. Der Re-Start mit dem außergewöhnlichen Hygienekonzept – zehn Teams haben sich in nahezu vollständige Quarantäne begeben und werden in den kommenden Wochen nur noch zwischen Hotel, Trainingshalle und Spielstätte pendeln – soll auch den Weg für die Zukunft bereiten. 

Alba Berlins Vorrundenspiele beim BBL-Finalturnier

  • Sonntag, 07. Juni: Frankfurt – Alba Berlin (15 Uhr)
  • Dienstag, 09. Juni: Alba Berlin – Bamberg (20.30 Uhr)
  • Samstag, 13. Juni: Vechta – Alba Berlin (20.30 Uhr)
  • Montag, 15. Juni: Alba Berlin – Ludwigsburg (20.30 Uhr)

Dabei geht es nicht nur um neue Erkenntnisse, wie sich der Spielbetrieb auch künftig regeln ließe, sondern ebenso sehr um das Signal an Sponsoren, Fans und Medien. „Durch unseren Neustart haben wir bewiesen, dass wir in der Lage sind, für unser Produkt zu kämpfen und es auch in schwierigen Zeiten fortzusetzen“, sagt Holz. Von einem „Investment in die Zukunft“ war deshalb zuletzt auch häufig zu hören. Kurzfristig steckt die Liga mehr als eine Million Euro in das Turnier, mittelfristig soll sich das Ganze dann gewissermaßen als Kundenbindungsprogramm rechnen.

Solidität, Seriosität, Verlässlichkeit – das sind die Werte, mit denen die BBL auch im internationalen Vergleich punkten will. „Sich als erste Basketball-Liga weltweit wieder zu zeigen, das steht auch ein Stück weit für dieses ‚Made in Germany‘“, sagt Holz. „Es mag sein, dass die BBL am Ende im Vergleich zu anderen europäischen Ligen stärker aus der Krise kommt.“ Die beste Liga ist die BBL zwar auch 2020 nicht – aber immerhin die einzige, die überhaupt spielt.

Stellt sich noch die Frage, wie es nun weitergeht. Es braucht schließlich ein neues Leitbild. Sobald sich die Krisenlage etwas entspannt hat, will die Liga eine neue Zielsetzung präsentieren – wieder verbunden mit einer festen Jahreszahl. Eine neue Losung zu finden, die konkret bleibt, aber nicht hinter das sehr ambitionierte 2020er-Ziel zurückfällt, dürfte dabei nicht ganz leicht werden.

Basketball vor leeren Rängen: Am Samstag startete das Finalturnier der BBL in München.
Basketball vor leeren Rängen: Am Samstag startete das Finalturnier der BBL in München.
© Matthias Balk/dpa

Einfach alles nach hinten schieben und „beste nationale Liga Europas bis 2030“ werden? Klingt lahm. Die Ansprüche noch einmal heben und die „beste Liga weltweit“ werden? Das wäre angesichts der Dominanz der NBA nicht einmal ansatzweise ernst zu nehmen – auch wenn die BBL genau hier ihr größtes Wachstumspotenzial sieht.

„Was die BBL bislang noch nicht so richtig geschafft hat, ist, sich selbstbewusst gegenüber der NBA zu positionieren und ihre Stärken herauszuarbeiten“, sagt Holz. „Wir müssen vielleicht etwas weniger nerdig sein.“ Um das junge, NBA-affine Publikum in Deutschland noch mehr anzusprechen, will die Liga vor allem ihre digitales Marketing noch weiter ausbauen. „Für den nächsten Sprung muss man auf die Smartphones und damit in die Herzen der jüngeren Generation“, glaubt auch Pommer. 

Die Liga will ihre Kooperationen mit Influencern vertiefen und „mit coolen Brands ins Gespräch kommen, die die BBL jahrelang nicht auf dem Radar hatten“, wie Holz es ausdrückt. Eine Neuausrichtung der Marke soll deshalb her. „Wir standen schon in den Startlöchern“, berichtet Holz. „Und dann kam Corona.“

Für die junge, coole und vor allem weltoffene Marke BBL braucht es jedoch auch ein wenig Feingefühl. Und das ließ die Liga vor dem Start des Finalturniers vermissen. Politische Äußerungen seien im Ligabetrieb nicht gestattet, erklärte Geschäftsführer Holz trocken, als es angesichts der Geschehnisse in den USA um Protestaktionen und Statements der Spieler gegen Rassismus ging. Es folgte ein großer Aufschrei unter Profis, Klubs und Fans, bis die Liga zurückruderte und dann auch eine eigene Aktion gegen Rassismus initiierte. 

Ulms Aufbauspieler Per Günther – der mit den benebelnden Tweets – hatte das nötige Schmerzmittel natürlich schon vorher zur Hand: „Liebe BBL-Spieler“, twitterte er nach dem ursprünglichen Statement der Liga. „Wenn ihr euch beim anstehenden Turnier äußern und Stellung gegen Rassismus beziehen wollt – fühlt euch bitte frei, das zu tun. Die ersten 10.000 Strafe gehen auf mich!“

Leonard Brandbeck

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