Potsdams Bildende Künstler in der Pandemie: „Da wird die Freiheit in der Kunst zur Chimäre“
Wie geht es Potsdams freien Kunstschaffenden in der Krise? Woran arbeiten, worauf hoffen, worüber verzweifeln sie? Ein Atelier-Rundgang.
Potsdam - Köpfchen unter Wasser, Schwänzchen in die Höh’: Simone Westphal malt derzeit farbenfrohe „Gründelenten“. Was niedlich anzusehen ist, wird angesichts des coronabedingten Lockdowns allerdings zu einem Sinnbild. Auch Potsdams Kreative scheinen abgetaucht, Kunst und Kultur regelrecht aus dem Alltag verschwunden zu sein.
Doch Westphals Bilder, die als Künstlerin mit ihrem Atelier im Rechenzentrum ansässig ist, trotzen auch diesem scheinbaren Schwinden. Dass keine Ausstellungen stattfinden können, sei sehr schwierig, sagt sie, da diese „ein großes Ziel und eine große Motivation darstellen“. Darum postet die Potsdamer Galerie Schindler die Enten auf Instagram, als kleine digitale Ersatzausstellung. Nach dem Lockdown sollen sie vor Ort gezeigt werden.
Die Themen sind existenzieller geworden
Wer sich bei Potsdams bildenden Künstlerinnen und Künstlern umschaut, stellt fest: Westphal ist nicht als Einzige weiterhin aktiv, obwohl die Krise ihre Präsentations- und Verkaufsmöglichkeiten erheblich einschränkt. So wie die Enten unter Wasser nach Nahrung suchen, wird weiter gemalt oder modelliert und nach Wegen geforscht, um sichtbar zu bleiben. Die Gemütslage ist dabei durchaus unterschiedlich.
„Die Themen sind existenzieller geworden“, sagt die Malerin und Drehbuchautorin Jenny Alten, die im Freiland arbeitet. Finanziell ist es nicht ganz einfach: Außer einem Microstipendium greifen staatliche Förderungen bei ihr nicht, weil sie unter anderem im letzten Jahr eine Filmförderung erhalten hat. Weil außerdem Honorare aus früheren Projekten später eingingen, ist die Beantragung der Grundsicherung nicht möglich.
Das Unfertige als Ergebnis akzeptieren
Und obwohl sie sich Gedanken darüber macht, „wie wir die Trauer um die Toten künstlerisch bearbeiten können“, ist sie doch auch „guten Mutes“. Denn die Kunst finde immer neue Perspektiven, weil sie sich stets auf das Unbekannte einlasse. Beim Malen ist die Herausforderung für sie vor allem die Zeit.
Seit Monaten müssen ihre Kinder zu Hause geschult werden, bleiben für den Pinsel nur ein paar Stunden morgens und abends, arbeitet sie bis spät in die Nacht. Ihr Fazit zum unterbrochenen Prozess des Malens ist dennoch positiv: „Ich akzeptiere Rudimente als Form, das Unfertige als Ergebnis.“ Auch das seien irgendwann Werke, die für sich stünden - retrospektiv, nach der Pandemie.
Ein Existenzkampf seit Jahrzehnten
Malen, das ist schon immer eine einsame Tätigkeit - vielleicht sind bildende Künstler daher auf den ersten Blick nicht so hart von der Krise getroffen wie zum Beispiel Musiker. Das weiß auch der im Neuen Atelierhaus Panzerhalle arbeitende Anas Homsi. Eine „erbärmliche Situation“ sei es aber trotzdem, weil keine Ausstellungen stattfinden und Kunstfestivals ausfallen. Für viele bedeute das herbe Einnahmeverluste, sagt Homsi. Stipendien waren es schließlich, die ihm in den letzten Monaten geholfen haben, weiterzumachen.
Die finanzielle Situation vieler Künstlerinnen und Künstler habe sich durch die Krise gar nicht grundlegend verändert, sagt der Maler Detlef Birkholz. „Oft unerwähnt bleibt der seit Jahrzehnten andauernde, alltägliche und prekäre Existenzkampf vieler Kollegen.“ Nur wenige könnten von ihrer Kunst auch leben.
Die Freiheit der Kunst: eine Chimäre?
In der Krise komme jetzt hinzu, dass Zweitjobs weggebrochen seien. „Da wird die vielzitierte Freiheit in der Kunst zur Chimäre, zum Zerrbild.“ Zum einen liegen die Gründe dafür auf der Hand: Arbeitsstunden, die Arbeitnehmer bezahlt bekommen, investieren Künstler unentgeltlich. Sie sind auf Möglichkeiten, ihre Werke zu präsentieren, angewiesen.
Selbst wenn das in Zeiten ohne Corona möglich ist, können so oft nur Grundkosten gedeckt werden. Galerien und Ausstellungsflächen gibt es nicht wie Supermärkte an jeder Ecke, sie sind überall nur begrenzt vorhanden. Stipendien und günstige Atelierräume sind deshalb wichtige Hilfen, um überhaupt künstlerisch tätig sein zu können.
Was hilft: Günstige Ateliers und Stipendien
Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die Zukunft des Rechenzentrums und des geplanten Kreativquartiers in der Vergangenheit immer wieder so emotional diskutiert wurde. Darin, dass Orte wie das Freiland wiederholt um finanzielle Förderung und auch Existenz bangen mussten, sieht Detlef Birkholz eine mangelnde Wertschätzung von Kunst an sich, die sich auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Künstlern niederschlage.
Anne Eichhorn, die wie Jenny Alten im Freiland malt, sagt ebenfalls: „Finanziell hat sich nicht viel verändert, es war schon vor Corona immer wenig.“ Auch bei ihr seien es, wie bei Anas Homsi, glücklicherweise Stipendien gewesen, die halfen. Wie er wisse sie das zurückgezogene Arbeiten zu schätzen - doch Begegnungen, wovon die Kunst auch lebt, fehlen ihr.
Die Themen: Nähe und Berührung
Aus diesem Gefühl heraus ist „Hug you very much“ entstanden: Postkarten in kräftigen Farben von Menschen, die sich umarmen, aber keine Gesichter haben. Der Betrachter erkennt, dass er es mit einer Art Erinnerung zu tun hat, mit Nähe, die lange her ist. Auch diese Motive sind in Ermangelung von Ausstellungsmöglichkeiten gerade nur bei Instagram zu sehen.
Menschliches, Nähe, Berührung: diese Themen scheinen nicht nur Eichhorn im Moment umzutreiben. Durch geltende Kontaktbeschränkungen hat die digitale Kommunikation stark zugenommen. Statt persönlicher Treffen gehören Videokonferenzen zum Alltag.
Dem digitalen Alltag etwas Tradiertes entgegensetzen
Das ist auch für Birkholz ein Grund, auf „tradierte Darstellungs- und Umgangsformen“ zurückzugreifen, wie er sagt - um dieser Entwicklung etwas Haptisches und Sinnliches entgegenzusetzen. Zum Beispiel durch Zeichnen mit Holzkohle. Und auch Jenny Alten treibt verstärkt etwas Körperliches um: Sie zeichnet Modelle, die sich bewegen. Das hat durchaus etwas Optimistisches: Nichts steht still, alles bewegt sich und geht vorüber - auch Krisen.
Andrea Lütkewitz