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Das Rechenzentrum aus der Luft fotografiert. Daneben die Baustelle der Garnisonkirche sowie die Sandfläche (mit Herz) auf dem ein neues Kreativquartier entstehen soll.
© Lutz Hannemann

Welche Vision für Potsdam?: Potsdamer Transformationen: Festival und fünf Jahre Rechenzentrum

Das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum feiert Geburtstag und das Transformale-Festival stellt Potsdam die Frage, wie es sich künftig zeigen will: als homogene Puppenstube oder im Nebeneinander verschiedener Epochen?

Potsdam - Schon Heinrich Heine beschäftigte die Frage des städtischen Charakters Potsdams. In einem Brief an die von ihm verehrte Friederike Robert schrieb er: „Vorgestern war ich in Sanssouci, wo alles glüht und blüht, aber wie! Du heiliger Gott! Das ist alles nur ein gewärmter, grün angestrichener Winter, und auf den Terrassen stehen Fichtenstämmchen, die sich in Orangenbäume maskiert haben“. 

Aufbau für die am 4. September beginnende Transformale, hier in der Werner Seelenbinder Straße.
Aufbau für die am 4. September beginnende Transformale, hier in der Werner Seelenbinder Straße.
© Sebastian Rost

Der Ausspruch ziert aktuell die Fassaden in der Werner-Seelenbinder Straße, die Nagelkreuzkapelle, die Fassade des Langen Stalls und die Jüdische Gemeinde. Als Installation der Künstlergruppe „Situation Room“  ist sie Teil des am 4. September beginnenden Kunstfestivals Transformale, das den öffentlichen Raum unmittelbar um das Rechenzentrum herum bespielt.

Im Zentrum der Potsdamer Transformation: das Rechenzentrum

Im Zentrum der Transformationen, die das Festival thematisiert, steht das Rechenzentrum, das in diesen Tagen 5. Jubiläum feiert. Dass das Kunst- und Kreativhaus überhaupt mal seinen fünften Geburtstag begehen würde, war eigentlich nicht vorgesehen. Gegründet wurde es 2015 aus einer Initiative, die sich für Probenräume für Bands und Ateliers für Künstler einsetzte. Ein Abrissbeschluss für das Gebäude des ehemaligen Computerzentrums lag schon seit Jahren vor, an eine Sanierung oder Verlängerung des Provisoriums war nicht gedacht. 

Schon 2018 wurde jedoch der Nutzungsvertrag bis 2023 verlängert. Dann endet nach jetzigem Stand auch die Betriebsgenehmigung für das Gebäude. „Bis dahin wollen wir eine Lösung finden, die weiter trägt“, sagt Hermann Voesgen, der Vorsitzende des Vereins „Freundliche Übernahme Rechenzentrum e.V.“. Und erst einmal feiert das Rechenzentrum sein fünfjähriges Bestehen mit Ausstellungen und einem Festival. Dabei werden das nahe gelegene, geschichtlich problematische Glockenspiel ebenso thematisiert, wie die umliegenden geschichtsträchtigen Bauten.

Hoffnung auf eine harmonische Zukunft des Areals

Hermann Voesgen hofft im Einklang mit einem Beschluss der Stadt Potsdam auf eine harmonische Zukunft des gesamten Areals, bei dem alle gegenwärtigen Bauten nebeneinander existieren. „Das Kirchenschiff der Garnisonskirche ist nicht realisierbar, nicht finanzierbar und niemand braucht es“, so Voesgen. 

Über die Ästhetik des technischen Zweckbaus, in dem sich einmal die gesammelte Rechenkunst des VEB Maschinelles Rechnen der untergegangenen sozialistischen Republik befand, macht sich auch Vösgen indessen keine Illusionen: „Der Bau ist für viele Leute potthässlich.“ Das könne sich aber ändern, wenn Gestaltungselemente der Fassade, die entfernt worden seien, wieder angebracht würden. Auch findet sich an dem Gebäude das noch zu DDR-Zeiten erstellte Mosaik von Fritz Eisel: „Der Mensch bezwingt den Kosmos“. 

Verrückte, kreative Ideen für die bauliche Zukunft erwünscht

Das Thema des Mosaiks ist für Voesgen brandaktuell: Die Beherrschbarkeit der Natur und die Vereinbarkeit von Natur, Technik und Fortschritt sei das große Thema der Gegenwart. Aufgrund der überragenden künstlerischen Gestaltung und  Platzierung am Rechenzentrum könne das Mosaik auch nicht so einfach an einen anderen Platz verfrachtet werden. Schon deshalb müsse das Rechenzentrum als Kreativhaus weiter bestehen, sagt Voesgen.

In einem Werkstattverfahren wird in den kommenden Monaten die bauliche Zukunft des Areals ermittelt. Zunächst einmal werden Ideen aller beteiligten Gruppen gesammelt und schließlich auf ihre baurechtliche und planerische Machbarkeit geprüft. „Dabei sind viele verrückte, kreative Ideen erwünscht“, so Voesgen. Nachher könne dann immer noch geplant und strukturiert werden.

Kulissenstadt oder Nebeneinander verschiedener Zeitschichten?

Bei der künftigen Nutzung des Areals spielen ästhetische und stadtplanerische Fragen eine Rolle. Wie wird das künftige Potsdam werden? Wird es ein Nebeneinander verschiedener Zeitschichten und Realitäten geben, oder wird sich die Stadt vollends zur Puppenstube und Kulissenstadt à la Disneyland wandeln? Dies sind die Themen, die die Transformale im Stadtraum sichtbar machen will.

Vor dem Rechenzentrum findet sich die Installation von Jay Gard, „Potsdam“ betitelt. Gard bezieht sich in abstrakter Formsprache auf Bauten und Denkmäler in Potsdam und fertigt seine Skulptur aus vielformigen Holzelementen auf einem metallenen Unterbau. Bauten, Farben und Eindrücke aus Potsdam waren der Ausgangspunkt der Abstrakten Elemente. Die von Karl Heinz Adler und Friedrich Kracht entworfene Mauer um das Grundstück thematisiert Christian Göthner mit einer Installation, die geometrische Elemente der Mauer mit Holzformen wieder aufgreift und dort einen „kommunikativen Tresen“ installiert.

Wandlung zum gemeinwohlorientieren sozio-kreativen Zentrum

Immer mehr werde das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum zu einem gemeinwohlorientierten sozio-kreativen Zentrum, konstatiert dessen langjährige Sprecherin Anja Engel. Unter den gegenwärtig 321 Nutzern auf 5000 Quadratmetern befänden sich zahlreiche sozial orientierte Projekte. Der Austausch mit den im Kunsthaus agierenden Künstlern käme beiden Seiten zugute. Sie nennt die Flüchtlingshilfe Babelsberg, das Inklusive Theaterlabor, sowie Initiativen die sich mit Nachhaltigkeitskonzepten auseinandersetzen wie die „Lebensmittelretter“.

Die Besonderheit des Rechenzentrums sieht Engel in der Beteiligung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, wie dem fachpolitischen Beirat, der über Nutzung und Mietverträge des Hauses entscheidet. Dadurch entstehe ein geschütztes kreatives Miteinander auf gemeinwohlorientierter Basis, wie es das nahe gelegene von der Stadt als Alternative geplante Kreativhaus am Langen Stall als Projekt eines gewinnorientiert agierenden Investors nicht bieten könne. 

Das Miteinander verschiedener Nutzungsmöglichkeiten im Blick

Dass ein Bedarf gerade nach der gegenwärtigen Form des Kreativhauses Rechenzentrum bestehe, lasse sich schon an dem gegenwärtig 550.  Antrag auf einen Mietvertrag ablesen, sagt Engel. Mit der aktuellen Ausstellung im Rechenzentrum "A+B+C" soll auf das Miteinander der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten des Areals hingewiesen werden. 

Gibt es ein Nebeneinander? Links die Baustelle des Turms der Garnisonkirche, daran anliegend das Rechenzentrum, rechts die Nagelkreuzkapelle.
Gibt es ein Nebeneinander? Links die Baustelle des Turms der Garnisonkirche, daran anliegend das Rechenzentrum, rechts die Nagelkreuzkapelle.
© Sebastian Gabsch

Nachdem A + B mit dem Rechenzentrum und der Garnisonskirche schon bestehen würden, stelle sich die Frage nach dem C, erklärt Engel das Konzept. Was sie beschreibt, klingt weniger nach der von Heine beobachteten Fassaden-Kultur, als nach einer anderen Vision für die Stadt: „Die Idee einer stadträumlichen Addition und eines dritten Summanden, sei es eine Jugendbegegnungsstätte, eine Leerstelle oder ein Ausstellungsort, hat ihren Fuß in die visionäre Tür bekommen.“

Die Transformale findet vom 4. bis 19.9. rund um das Rechenzentrum statt.

Richard Rabensaat

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