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Steffen Kammradt ist seit 2008 Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Brandenburg.
© Andreas Klaer

Interview | Wirtschaftsförderer Steffen Kammradt: „Potsdam könnte Modellstadt für Smart Traffic werden“

Wirtschaftlich hat Potsdam es in die bundesweiten Top 20 geschafft. Landes-Wirtschaftsförderer Steffen Kammradt über Erfolgsgeheimnis und Herausforderungen der Landeshauptstadt.

Potsdam gilt ja als Selbstläufer. Als Chef-Wirtschaftsförderer im Land haben Sie hier wohl nichts zu tun, ein Glücksfall?
Potsdam läuft in der Tat hervorragend – aber in der Wirtschaftsförderung gibt es leider keine Selbstläufer. Potsdam hat sich diesen Erfolg in 30 Jahren hart erarbeitet, hat alle anderen ostdeutschen Städte hinter sich gelassen, ob Jena, Erfurt, Leipzig oder Dresden. Das zeigte sich schon länger. Im Städteranking der Wirtschaftswoche Ende 2020 ist Potsdam in die Top 20 aller deutschen Großstädte eingezogen, direkt hinter Düsseldorf, Karlsruhe, Freiburg, Wiesbaden und Nürnberg. Das ist die Liga, in der Potsdam heute spielt.

Wer läuft bereits dahinter?
Das hat uns auch interessiert: Städte wie Heidelberg, Köln, die BASF-Stadt Ludwigshafen und Berlin rangieren hinter Potsdam. Auch von den anderen ostdeutschen Städten hat sich Potsdam deutlich abgekoppelt. Aus einer solchen Top-Position kann man viel machen.

Wo hat Potsdam angefangen?
Mancher erinnert sich noch an die Überschriften der 90er Jahre ...

… etwa den Spiegel-Befund der Jammerhauptstadt Ostdeutschlands ...
... ja, das war bei manchen die Außenwahrnehmung. Die eigentliche Frage aber war: Wo sucht und findet diese Stadt ihr wirtschaftliches Profil? Ganz klar: Da ist Sanssouci, die preußischen Schlösser und Gärten. Dass es in Potsdam vor der Wiedervereinigung zum Beispiel auch ein Bahnwerk gab, die Schiffbauergasse ein Industrieareal war, daran kann man sich heute kaum noch erinnern. Potsdam ist heute keine Industriestadt mehr.

Sondern, was ist Potsdam heute?
Potsdam holt seinen Schwung als Technologiestadt, mit einem Verbund aus Forschung und Dienstleistungen.

Das wird kaum öffentlich wahrgenommen, ist auch im Stadtbild wenig sichtbar.
High-Tech ist manchmal nicht so schnell zu sehen wie ein Fabrikschornstein. Aber: Potsdam ist nach unserer Bilanz der Technologieführer Brandenburgs. Nirgendwo im Land haben wir so viele Innovationsprojekte wie hier. Seit 2001 haben wir neben den Ansiedlungen auch 1300 Technologie- und Innovationsprojekte in Potsdam begleitet. Das macht die starke Potsdamer Wirtschaftsstruktur aus: Es ist der Ort für innovative Firmen, die manchmal klein anfangen, nicht mit 100-Plus-X-Jobs starten wie Industrien oder Logistiker, sich dann aber stetig weiterentwickeln.

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Wie sehr hat die Pandemie den Technologiestandort getroffen?
Die technologieorientierten Firmen sind meist gut durchgekommen, einige haben sogar einen Schub bekommen. Anders sieht es bei Handel, Gastronomie und Hotellerie aus, die es hart getroffen hat.

Womit hebt sich Potsdam heraus?
Mit der Medienstadt zum Beispiel. Im Umfeld der großen Themen Film und Serienproduktion mit dem Studio Babelsberg und der UFA haben sich viele Firmen angesiedelt für die Postproduktion von Bild und Ton oder für digitale Effekte. Filme werden heute nicht nur in der berühmten „Berliner Straße“ in Babelsberg gedreht, sondern zum großen Teil auch am Computer produziert.

Was ist sonst typisch für das Profil?
Drei starke Cluster prägen das Profil Potsdams: IT/Medien und Kreativwirtschaft, Gesundheitswirtschaft und der Tourismus. Damit hat Potsdam ein markantes Standortprofil. Das ist ein großer Vorteil.

Was sind das eigentlich für Unternehmen?
Die Palette ist beeindruckend und typisch. Es sind Firmen wie die junge Kreativagentur visionYOU, die digitale Bildungsangebote entwickelt. Oder das Start-up Permetex, 2015 gegründet, das hochinnovative Textilien mit Insektenschutz entwickelt hat. Begeistert hat mich auch Medneo. Die Firma sitzt einen Steinwurf von der Charité entfernt – und geht dann nach Potsdam, um hier gemeinsam mit dem Klinikum Ernst von Bergmann den Einsatz ihrer Teleradiologie-Container zu erproben. Man kann mit diesen Containern an jedem Ort der Welt präzise radiologische Befunde machen, ohne dass Ärzte vor Ort sein müssen, in Krisenregionen zum Beispiel.

Wie läuft hier Wirtschaftsförderung ab?
Es ist Teamwork. Und das läuft mit der Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt ganz ausgezeichnet. Es fällt auf, dass Firmen oft direkt nach Potsdam fragen, nicht nur nach einem Standort in der Nähe von Berlin. Wenn wir international in der Investorenwerbung unterwegs sind, haben wir im Gesundheitssektor oder in der IT-Branche immer Potsdam mit auf dem Radar.

Und wann kommt eine Firma, wann nicht?
Da gibt es viele Faktoren: Fachkräfte, Forschungseinrichtungen, Technologiepartner, gutes Lebensumfeld – das alles bietet Potsdam. Der limitierende Faktor kann in Potsdam die Verfügbarkeit von Flächen werden.

… bei einem Hektar, bei fünf Hektar?
Unternehmen fragen in Potsdam nicht primär nach großen Bauflächen, sondern oft nach Mietflächen, so wie in Berlin. Das ist ein großer Unterschied zu den Landkreisen in Brandenburg. Bei 2000 Quadratmetern geht es vielleicht noch, ab 5000 Quadratmetern wird es dann schon schwieriger.

Wo passiert aktuell etwas?
Wir freuen uns über die Entwicklungen in der Speicherstadt, am Campus Jungfernsee und in Golm. Dort hat Potsdam einen großen Schwung geschafft: Als der Startschuss für das neue öffentliche Technologiezentrum Go:In 2 gegeben wurde, war das wie ein Signal. Gleich danach ist das erste privat finanzierte Technologiezentrum dazu gekommen. Jetzt geht es da Schlag auf Schlag. Am Campus Jungfernsee, rund um die SAP, ist es ähnlich: Die Immobilienwirtschaft erwartet, dass noch mehr Firmen nach Potsdam kommen. Potsdam hat es geschafft: Der Markt ist da. Ich möchte auch das Libeskind-Projekt und das RAW-Gelände in Nähe des Hauptbahnhofes nicht vergessen, die exzellent zum Profil passen.

Was ist am RAW-Gelände in der Pipeline?
Wir werden oft auf das RAW-Gelände angesprochen und sind aktuell in Gesprächen. Mehr kann ich dazu nicht sagen: Wirtschaftsförderung ist ein diskretes Geschäft. Was wir sagen können: Das RAW-Gelände fasziniert viele und das Konzept mit einer Mischung aus Angeboten für größere Firmen und einem Zuhause für Kleine, mit Raum für Co-Working, kommt sehr gut an.

Städte wie Heidelberg, Köln, die BASF-Stadt Ludwigshafen und Berlin rangieren hinter Potsdam

Steffen Kammradt

Ist Co-Working, gemeinsame Großraumbüros für Startups, Freiberufler, Digitalnomaden, nicht eher etwas fürs Land?
Dort auch, aber auch in Potsdam gibt es inzwischen ein breites Spektrum an Coworking-Spaces.

Womit haben Sie am meisten zu kämpfen?
Man muss von Potsdam nicht erst überzeugen. In jeder Ansiedlung steckt trotzdem immer harte Arbeit. Es gibt zwei limitierende Faktoren, die um keinen Standort einen Bogen machen. Die Fachkräftesituation und die Verfügbarkeit von Flächen, die für Ansiedlungen vielleicht noch wichtiger sind. Denn ohne Gewerbeflächen wäre es für Firmen objektiv nicht möglich sich anzusiedeln.

In Potsdam baut man vorrangig Wohnungen. Haben Sie Sorge, dass das Gewerbe in den Hintergrund gerät?
Beides ist wichtig. Man darf auch die Gewerbeflächen nicht aus dem Auge verlieren. Es ist eine gute Balance nötig. Ich bin froh, dass Potsdam keine reine Wohnstadt und Pendlerstadt für Berlin ist. Die Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Forschung macht Potsdam zu einer so lebendigen Stadt und ist zudem gut für die Finanzen, da Geld über die Einkommens- und über die Gewerbesteuer ins Stadtsäckel kommt.

Müssten nicht die Stadt und der Kreis Potsdam-Mittelmark enger kooperieren, also weniger Pförtnerampeln, mehr Synergien?
Das passiert: In der Gesundheitswirtschaft, die als ein Verflechtungsraum wahrgenommen wird, läuft das sehr gut. Man muss berücksichtigen, dass Potsdam-Mittelmark ein großer Kreis mit einer sehr differenzierten Struktur ist. Das alles zu kombinieren ist nicht so einfach.

Wo könnte noch Gewerbe in Potsdam hin?
Im Moment entwickelt sich sehr viel. Wenn aber die Speicherstadt und der RAW-Standort vermietet sind, dann ist Potsdams Zentrum für größere Ansiedlungen belegt. Umso wichtiger ist die weitere Entwicklung anderer Standorte, zum Beispiel in Golm. Potenziale könnten auch im Friedrichspark liegen oder im SAGO-Gelände in Richtung Michendorf. Das wären Reserven für den richtigen Zeitpunkt. Und Potsdam hat noch viele spannende Entwicklungsareale, wenn ich an den neuen Nord-Stadtteil Krampnitz denke. Auch hier besteht die große Chance, eine liebenswerte Wohnstadt mit der intelligenten Arbeitsstadt zu verbinden – die attraktive Potsdamer Mischung eben.

Worauf muss Potsdam achten?
Geographisch bedingt ist immer der Verkehr ein Thema. Wegen des Wassers ringsum gibt es immer Nadelöhre.

So soll das Digitalzentrum RAW Potsdam am Potsdamer Hauptbahnhof einmal aussehen.
So soll das Digitalzentrum RAW Potsdam am Potsdamer Hauptbahnhof einmal aussehen.
© Visualisierung: J. Mayer.H Architekten / The RAW Potsdam GmbH

Ein unlösbares Problem?
Vielleicht eine spannende Herausforderung, die Potsdam zu einer Modellstadt für Smart Traffic Management machen könnte. Firmen, die in solchen Technologien arbeiten, Sensorik und Großdatenverarbeitung zum Beispiel, haben wir ja schon hier und in der Hauptstadtregion. Smart könnte bedeuten: eine Stadt voller Sensoren, wo die Ampeln überall wissen, wie viel Verkehrsfluss gerade besteht – und danach auf Sekunden genau bestimmen, wie schnell die nächste Ampelphase sein muss, damit es flüssiger rollt, ob in der Zeppelinstraße oder der Nedlitzer Straße. Eine Stadt, in der man ab der Stadtgrenze sofort die Parkmöglichkeiten sieht, digitalisiert im Verkehrsraum. Vielleicht auch mit neuen, umweltschonenden Lieferlösungen. Charmant ist, dass Potsdam eine gute Größe für eine Smart Traffic Modellstadt hätte. Wenn man sich ein solches Feld vornimmt, dann tun sich oft Möglichkeiten auf, die man sich vorher gar nicht vorstellen konnte. Nicht zuletzt wäre Potsdam ideal auch für einen hohen Anteil Elektromobilität.

Es gibt bisher nur wenige Ladesäulen.
Was man mit ändern kann. Man muss die Effekte durchdenken: Wenn man Parkplätze in attraktiver Lage für Elektrofahrzeuge vorhält, mit Ladesäulen, schafft man einen Anreiz, elektrisch zu fahren – und bringt ein anderes Bild in den Stadtraum. Dann kommt die Frage nach grünem Strom. Potsdam hat ein Umland, das von erneuerbaren Energien geprägt ist.

Brandenburg will Vorreiter in Deutschland für klimaneutrale Produktion werden. Wo ist Potsdams Rolle?
Ohne Zweifel als ein Technologietreiber. In Potsdam sind renommierte Klimaforschungsinstitute mit europaweiter Ausstrahlung ansässig. Hier können Konzepte entwickelt werden, die Potsdam zu einem Enabler, einem Ermöglicher für die Energiewende machen. Und als Anwenderstadt.

Das RAW-Gelände fasziniert viele und das Konzept mit einer Mischung aus Angeboten für größere Firmen und einem Zuhause für Kleine, mit Raum für Co-Working, kommt sehr gut an.

Steffen Kammradt

Aktuell steht Potsdam wegen des Wahlkreis-Duells der Kanzlerkandidaten bundesweit im Fokus. Wirkt sich das aus?
Es wird natürlich wahrgenommen, in unserer Tagesarbeit spielt es aber keine große Rolle. Wichtig für Unternehmen sind die konkreten Standortfaktoren – und dann vor allem Verlässlichkeit und Kontinuität. Wer sich für eine Ansiedlung entscheidet oder eine kostenintensive Innovation, der tut das mit Blick auf 15, 20 Jahre.

Wie steht es hier um die Verlässlichkeit?
Das ist in Brandenburg eine besondere Stärke: Was hier mit Handschlag besiegelt wird, gilt morgen auch noch. Das steckt in den Menschen, auch in der Politik. Unternehmen können sich auf Brandenburg und seine Landeshauptstadt verlassen.

Das Interview führten Thorsten Metzner und Sabine Schicketanz

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